27. Jahrgang | Nummer 4 | 12. Februar 2024

In tempore belli 2024

von Erhard Crome

Die Zentrale Wahlkommission Russlands hat am 8. Februar mitgeteilt, dass Boris Nadeshdin nicht zur Präsidentschaftswahl im März zugelassen werde. Er und seine Unterstützer hatten zwar Listen mit 105.000 Unterschriften eingereicht, es seien jedoch einige fehlerhaft gewesen. Nadeshdins eigentlicher „Makel“: Er wäre der einzige Kandidat gewesen, der sich offen gegen die Fortsetzung des russischen Krieges in der Ukraine ausspricht. Putin und seine Entourage wollen das Thema so grundsätzlich gestellt augenscheinlich aus dem Wahlkampf heraushalten. Deshalb gilt das „Regime“ (Den Terminus hatten wir doch schon zu anderen Zeiten!) in Moskau hierzulande als autoritär und undemokratisch.

Wolodimir Selenski in Kiew hatte sowohl die ukrainischen Parlamentswahlen, die im Oktober 2023 hätten stattfinden müssen, als auch die Präsidentenwahlen, die im März 2024 anstanden, unter Verweis auf das Kriegsrecht abgesagt. Wahlen würden das Land spalten, jetzt dagegen müsse es sich um den Präsidenten sammeln, um die Kräfte auf „unseren Sieg“ über Russland zu konzentrieren. Selenski gilt als Demokrat und Verfechter „unserer Freiheit“.

Den in der Bevölkerung beliebten Oberkommandierenden der ukrainischen Streitkräfte, Walerij Salushnij, hat Selenski am 8. Februar entlassen. Dessen Verfehlung bestand darin, dass er, ohne den Präsidenten vorher gefragt zu haben, im Herbst 2023 in einem Text für die britische Zeitschrift „The Economist“ eingeräumt hatte, dass die ukrainische Großoffensive des Sommers gescheitert und eine Pattsituation entstanden war, die den Grabenkämpfen des Ersten Weltkrieges glich. Selenski dagegen schwadronierte damals und bis heute weiter vom kommenden großen Sieg. So munkelte man seit Herbst von der kommenden Ablösung des Generals. Zudem berichteten Beobachter der politischen Szenerie in der Ukraine, dieser hätte das Zeug, Selenski in einer Präsidentenwahl zu schlagen.

In Moskau wie in Kiew demonstrieren Frauen und Mütter, die jeweilige Regierung solle endlich ihre Ehemänner und Söhne nach Hause lassen, solange sie noch leben. Oleksandra Matwijtschuk, Chefin eines „Zentrums für bürgerliche Freiheitsrechte“ in Kiew, dagegen betonte, es gebe keine Kriegsmüdigkeit in der Ukraine, die müsse „kämpfen und gewinnen“. Im Westen jedoch sei „ein Mangel an entschlossenem Handeln“ sichtbar. Es sei die Verantwortung der „politischen Führer der internationalen Gemeinschaft“ alles zu tun, „um der Ukraine zum Sieg zu verhelfen“. Verhandlungen mit Russland lehnt Matwijtschuk ab. Ihr Verein hatte 2022 den Friedensnobelpreis erhalten. Orwell lässt grüßen: Krieg ist Frieden und Frieden ist Krieg.

Im US-amerikanischen Kongress wurde derweil das „Hilfspaket“ für die Ukraine ein weiteres Mal auf Eis gelegt. Der Biden-Administration gehen nun die Gelder für die Fortführung des Ukrainekrieges aus. Da wollen sich die deutsche politische Klasse und die Bundesregierung nicht lumpen lassen. Kanzler Scholz flog am 8. Februar nach Washington, um für weitere Unterstützung der Ukraine zu werben. Auf dem Programm stand zunächst ein Dinner mit US-Senatoren. Dabei sei die Hoffnung ausgedrückt worden, dass weiter USA-Gelder fließen würden. Zugleich sei anerkannt worden, Deutschland habe unter Scholz bei dem Ukraine-Thema eine Führungsrolle übernommen – hieß es mit stolz geschwellter Brust in den deutschen Nachrichten. Biden freut sich gewiss auch, wenn ihn der deutsche Pudel umwedelt.

Bei der stolzen Brust wollte auch das ZDF nicht fehlen. Deutschland habe bis 31. Januar 2024 an die Ukraine Waffen im Wert von 17,13 Milliarden Euro geliefert, das sei Platz 2 nach den USA mit 43,86 Milliarden Euro, gefolgt von Großbritannien mit 6,57 Milliarden Euro. Italien hätte nur 690 Millionen und Frankreich 540 Millionen Euro beigesteuert. Deshalb habe Scholz die „Partner“ aus NATO und EU öffentlich kritisiert. Sie sollten sich zusammenreißen und mehr für den Krieg tun.

Anton Hofreiter, einer der lautesten Bellizisten von den Grünen, erklärte der staunenden Bevölkerung: „Schuldenbremse in Kriegszeiten ist eine Albernheit“. Während deutsche Schulklos, Straßenbrücken und Bahnschienen weiter der Schuldenbremse unterworfen sind.

Christoph Heusgen, Vorsteher der sogenannten Münchner Sicherheitskonferenz, teilte kürzlich mit, die AfD werde 2024 nicht eingeladen. Dabei bezog auch er sich auf die „jüngsten Enthüllungen“. Die WerteUnion des früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen wurde auch nicht eingeladen. Das könnte man natürlich ebenfalls auf die „Enthüllungen“ schieben. Doch das linke Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) wird gleichfalls nicht eingeladen, obwohl es zehn Abgeordnete im Deutschen Bundestag hat. Damit ist der eigentliche Grund klar, die Veranstalter wollten keine kritischen Stimmen in München dabei haben, die vier Parteien (hier CDU und CSU als eine gedacht), die seit 1949 die BRD regieren, wollen kriegsertüchtigungs-politisch unter sich sein. Sonst könnte die deutsche „Führungsrolle“ in Sachen Ostfront Risse bekommen.

Angesichts der realen Lage im Ukraine-Krieg betonte Heusgen zunächst zutreffend: „Es darf nicht so ausgehen wie im Ersten Weltkrieg mit Hunderttausenden von Toten. Es ist deshalb richtig, dass man überlegt, wie man zu einer Verhandlungslösung kommt.“ Er fügte dann jedoch hinzu: „Und ich denke, man kann sich dabei durchaus am Minsker Abkommen orientieren.“ An dessen Zustandekommen war er als außenpolitischer Berater von Kanzlerin Merkel bekanntlich unmittelbar beteiligt. Inzwischen hatte Merkel aber öffentlich kundgetan, dass das eigentlich nicht ernstgemeint war, sie habe der Kiewer Regierung nur Zeit zur Aufrüstung verschaffen wollen. Es dürfte ausgeschlossen sein, dass sich Russland noch einmal von der deutschen Diplomatie über den Tisch ziehen lässt.