Ein Renaissanceschloss, das zum Konzentrationslager wurde: Diesen schroffen Wandel in der Geschichte der Lichtenburg im sachsen-anhaltischen Prettin bringt das Buch, das vom Schicksal der „Bewohnerinnen“ des Gebäude-Ensembles handelt, auch durch seine Gestaltung zum Ausdruck: Es kann von zwei Seiten, von vorn und von hinten, gelesen werden. Einmal geht es um Kurfürstinnen, wenn frau das Buch dreht um Häftlingsfrauen im KZ Lichtenburg. Schon der Beginn ist also eine schwierige Entscheidung, umso mehr, da Petra Reichenbach (Konzeption, Recherche, Gestaltung, Satz und Illustration) ein tolles Format und wunderschöne Illustrationen gewählt hat. Beide Teile haben ein eigenes Vorwort (von Elke Stolze und Elke Büdenbender) und zahlreiche Abbildungen, die nicht nur die vorgestellten Frauen, sondern auch die Lichtenburg ihrer Zeit vorstellen.
Womit also beginnen? Ich habe mich zunächst für die ältere Geschichte entschieden, also die Kurfürstinnen. Vorgestellt werden Elisabeth von Brandenburg, Anna von Sachsen, Hedwig von Dänemark, Anna Sophia von Dänemark, Wilhelmine Ernestine von der Pfalz. Es gibt jeweils Selbstzeugnisse, Auszüge aus Briefen, und Darstellungen zu ihrem Leben und Wirken, insbesondere auf der Lichtenburg. Durch zahlreiche Fotografien (von Matthias Ritzmann) sehen wir das Schloss, vor allem die Frauengemächer, zumindest streckenweise mit ihren Augen. Auch ihre Kämpfe und Auseinandersetzungen mit den jeweiligen Ehemännern, mit Zeitgenossen und religiösen Vorurteilen Zeit werden uns plastisch vor Augen geführt. Sie nutzten die ihrer Zeit gemäßen Spielräume hochadliger Frauen, um bestimmte Grenzen zu überschreiten. Schon das war Frauen anderer Schichten verwehrt, insbesondere bezüglich religiöser Toleranz.
Nicht minder anschaulich ist die spätere räumliche und inhaltliche Entwicklung zum ersten zentralen Frauenkonzentrationslager dokumentiert. 1415 weibliche Häftlinge wurden registriert. Die Lichtenburg war seinerzeit eine Ausbildungsstätte für SS-Männer und Aufseherinnen. Damit wurde sie zu einem Ort, an dem systematischer Terror seinen Anfang nahm. Stellvertretend für die verschiedenen Häftlingsgruppen werden die Kommunistin Olga Benario, die Jüdin Lotti Huber, die Zeugin Jehovas Amalie Pellin, die Sinteza Waldfrieda Weiss und die Pazifistin Lina Haag vorgestellt.
Das gesamte Projekt, das sich auch in einer Multimedia-Installation auf der Lichtenburg wiederfindet, entstand dank eines Heimatstipendiums des Landes Sachsen-Anhalt für Petra Reichenbach. Dem Land sei Dank für diese Förderung, der Autorin für die gelungene Nutzung! Die Leipziger Buchmesse ist leider vorbei – für mich wäre es das schönste Buch des Jahres gewesen.
Petra Reichenbach (Herausgeber): Starke Frauen in der Lichtenburg. Vom Renaissanceschloss sächsischer Kürfürstinnen zum Frauen-KZ Lichtenburg. Fünf Kurfürstinnen und fünf KZ-Insassinnen über Ausgrenzung und Verfolgung. Mitteldeutscher Verlag, Halle-Saale 2023, 208 Seiten, 30 Euro.
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Starke Frauen behandelt auch das zweite hier zu besprechende Buch. Bereits vor etwa 40 Jahren konzipierten vier österreichische feministische Forscherinnen und Journalistinnen ein gemeinsames Projekt zur Frage: „Hat es während des Nationalsozialismus österreichische Frauen gegeben, die gegen das Regime Widerstand geleistet und überlebt haben?“ Sie begaben sich auf Spurensuche und dokumentierten ihre Ergebnisse bereits 1985. Ihr damaliges Buch war das erste, das sich umfassend mit dem bis dahin kaum öffentlich wahrgenommenen antifaschistischen Widerstand von Frauen beschäftigte. Es verbreitete sich rasch und wurde in Diskurse der gesellschaftskritischen und feministischen Bewegung einbezogen. Auch in der DDR wurde es 1988 im Verlag für die Frau verlegt.
2023 schätzen die Herausgeberinnen in ihrem Vorwort zur neuen Ausgabe ein, dass es auf Grund der Geschichtsvergessenheit und der mangelnden Abgrenzung von autoritären Tendenzen notwendig sei, die vielfältigen frauenspezifischen Formen des Widerstands erneut in Erinnerung zu rufen; denn bis heute gebe es in Österreich kaum Zeichen des Gedenkens an die vielen mutigen Frauen, die sich dem Terrorsystem des Nationalsozialismus widersetzt hatten. Selbst in der Bundeshauptstadt Wien gibt kein Mahnmal, das ihren Anteil sichtbar machen würde.
Die neue Edition ist jedoch kein bloßer Nachdruck, sie wurde um zwei Texte erweitert, eine Erzählung wurde hinzugefügt. Die Berichte der 27 Frauen, nach Interviews aufgeschrieben, sprechen für sich, es wurden kaum Kommentare hinzugefügt. Die einzelnen Texte gliedern sich in die Kapitel „helfen“ – „organisieren“ – „kämpfen“ – „zersetzen“ – „überleben“. Am Ende des beeindruckenden Buches wird das Projekt ausführlich beschrieben und die Antifaschistinnen werden in Kurzbiografien vorgestellt. Sie hatten auf Grund ihrer Sozialisationsbedingungen kaum die Möglichkeit einer politischen Bildung. Die Motive für ihren Widerstand waren Abscheu vor den Gräueltaten der Nazis, der Wunsch, Verfolgten zu helfen, die Menschlichkeit in dieser Zeit zu bewahren, und ihr Patriotismus.
Karin Berger, Elisabeth Holzinger, Lotte Podgornik, Lisbeth N. Trallori (Herausgeber): Der Himmel ist blau. Kann sein. Frauen im Widerstand. Österreich 1938 – 1945. Promedia Verlag, Wien 2023, 304 Seiten, 27 Euro.
Schlagwörter: Antifaschismus, Konzentrationslager, Lichtenburg, Österreich, Petra Reichenbach, Viola Schubert-Lehnhardt, Widerstand