Mao Zedongs erste Erwähnung in Deutschland also nicht in einer Zeitung – der Roten Fahne vom 23. April 1929 –, sondern in einem Buch? Im 1928 erschienenen „Von Kanton bis Schanghai 1926-27“ des Asiaticus? Mit dem Abdruck des Textes „Die Revolution in den Dörfern“, der später in Maos Ausgewählten Werken in erweiterter Fassung zum strategischen Schlüsseldokument „Untersuchungsbericht über die Bauernbewegung in Hunan“ werden sollte? So ist es wohl.
Die Revolution 1925-27 insgesamt betreffend ist der Originalabdruck dieses Textes übrigens ein stimmiges Zeugnis dafür, wie eng die Zusammenarbeit von Guomindang und Gongchandang (KPCh) in deren erster Etappe gewesen ist. Denn der deutsche Kommunist Asiaticus arbeitete darin ja eben nicht für die Gongchandang, sondern für die nationalrevolutionäre Regierung, die von der Guomindang geführte wurde, und veröffentlichte den Mao-Text in deren Zeitschrift, der Chinese Correspondence. Allerdings standen die Zeichen zum Zeitpunkt des Abdruckes – am 15. Mai 1927 – schon überdeutlich auf Sturm. Einen Monat zuvor – am 11./12. April – hatte Jiang Jieshi in Shanghai ein Massaker unter Mitgliedern der Gongchandang und linker Gewerkschaften anrichten lassen und damit die Zusammenarbeit auf blutige Weise beendet.
In Wuhan jedoch – dort, wo die Chinese Correspondence erschien – hielt sich bis zu ihrer Überwältigung durch Jiang Jieshi im Juli 1927 eine relativ eigenständige linke Guomindangregierung, in der auch Mao Zedong eine Rolle spielte, und Kunde davon gab in Deutschland wiederum ein Buch. Der österreichische Sinologe und Völkerkundler Otto Mänchen-Helfen hat es unter dem Titel „China“ geschrieben, bei Kaden & Comp. in Dresden ist es 1931 erschienen, und es ist darin die Rede von „höchst bemerkenswerten“ Verhandlungen der „Agrarkommission“, die, „eingesetzt von der linken Kuomintang [Guomindang], im Mai 1927 in Wuhan tagte“. Alle „großen Führer“ hätten an den Beratungen teilgenommen: „Wang Ching-wei [Wang Jingwei] und Cheng Kung-po [Chen Gongbo]“ – die Spitzen der Wuhan-Regierung –, weiter „der General Tang Sheng-chi [Tang Shengzhi], Sun Fo [Sun Ke], der Sohn Sun Yat-sens [Sun Zhongshans]“, sowie „die Kommunisten Mao Tze-tun [Mao Zedong]“ – das ist eine schöne Bestätigung für den Anlass des von Asiaticus überlieferten Mao-Berichts – „und Tang Pin-shan [Tan Pingshan – W.A.]“. Alle seien sich „einig“ darin gewesen, dass „die Revolution die Bauern braucht“. „Wie können wir“, habe „Teng Yen-ta [Deng Yanda]“ gefragt, „den Imperialismus schlagen, wie kann die Demokratie siegen, wenn die Bauern nicht die Revolution unterstützen?“
Die Wege der Genannten sollten sich bald entschieden voneinander trennen. Wang Jingwei und Chen Gongbo liefen 1940 zu den Japanern über – Wang als Chef der in Nanjing etablierten Marionettenregierung, Chen Gongbo als Bürgermeister von Shanghai –, Tang Shengzhi und Sun Ke stellten sich Jiang Jieshi an die Seite, Tan Pingshan mäanderte zwischen Guomindang und Gongchandang, Deng Yanda wurde 1931 von der Guomindang als „Verräter“ hingerichtet, Mao ging im Sommer 1927 in die Berge.
Doch nun wieder zur Presse im faschistischen Deutschland in der Mitte der 1930er Jahre. In der Sächsischen Volkszeitung griff am 4. Juli 1936 plötzlich ein erstaunlicher Realismus Platz: Unter dem Eindruck des Vordringens der japanischen Truppen von der 1931 eroberten Mandschurei aus nach Süden stellte das Blatt fest, dass die Frage nicht mehr laute, „ob die Chinesen gegen die Japaner den Kampf aufnehmen, sondern wann sie mit dem militärischen Widerstand einsetzen werden“, und der Mann, von dem das wesentlich abhinge, sei der „Präsident Sowjetchinas, Mao Tse-tung [Mao Zedong]“. Der herrsche in den Provinzen Shensi [Shaanxi] und Shansi [Shanxi] „über einen festgefügten kleinen Sowjetstaat von Hunderten von Dörfern und Marktstädten“ – gemeint ist das im Ergebnis des Langen Marsches entstandene Sowjetgebiet in der Grenzregion der Provinzen Shaanxi, Gansu und Ningxia (siehe Teil V dieser Serie) – und könne sich zudem darauf stützen, dass „in weiten Gebieten Chinas die Kommunisten nicht nur die Bevölkerung allein, sondern vielfach sogar die ihnen entgegengestellten Regierungstruppen für sich gewonnen haben“. Die Gründe dafür lägen vor allem in ihrer „Forderung nach mannhafterem Widerstand gegen die Japaner“, aber auch in den „stets rasch durchgeführten Enteignungen der Großgrundbesitzer und Neuverteilungen der Ländereien unter die armen Pächter“, weiter in den „großzügigen Entschuldungsaktionen unter den Kleinbauern“, der „Abschaffung der hohen Zinssätze“, der „Revision des Steuersystems“, der „Konfiskation der Kloster- und Tempelgüter zum Zwecke des öffentlichen Gebrauches“ sowie in der „Begrenzung der Arbeitszeit“, der „Tarifisierung der Löhne“, der „Massenunterrichtung der Bevölkerung“ und der „strengen Unterdrückung des Mohnanbaues“.
Das waren überraschend positive Bilder, und es ist ein bisschen unklar, wie sie dahin geraten konnten. Am 8. Juli 1931 nämlich hatte selbige Sächsische Volkszeitung für das Agieren der „kommunistischen Elemente“ – damals in den ursprünglichen Sowjetgebieten im chinesischen Südosten – nur jene Verteufelung übrig gehabt, die später für die Nazi-Presse insgesamt typisch werden sollte (siehe Teil IV).
Hier aber nun diese Ausnahme von der Regel, gipfelnd in einer Mitteilung, die vom Verlauf der Geschichte nachdrücklich bestätigt werden sollte: Die Kommunisten, hieß es, setzten jetzt „alles daran“, zum einen „im Norden festen Fuß zu fassen, um einen soliden Riegel gegen die vordringenden Japaner bilden zu können“, und zum anderen, um „Marschall Tschiang Kai-shek [Jiang Jiesh] davon zu überzeugen, daß ihm nur eine Einigung mit den Roten den Erfolg gegen Japan bringen kann“.
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Nachsatz: Zur Schreibweise der chinesischen Eigennamen. In den Zitaten wird die originale Schreibweise verwendet und in eckigen Klammern die heutige Pinyin-Schreibweise angefügt. Nicht hinzugefügt wird die Pinyin-Fassung dann, wenn bereits im Original mit Pinyin gearbeitet ist. Ebenfalls mit Pinyin gearbeitet wird im Fließtext.
Wird fortgesetzt.
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