Immanuel Gottlieb Genähr, zum Zeitpunkt seiner in Teil III zitierten China-Artikel aus den Jahren 1931 und 1932 bereits 75jähriger Missionar der Rheinischen Mission in China und in dieser Funktion Nachfolger seines Vaters und Missionsgründers Ferdinand Genähr (1823-1864), hatte ein Gespür für die Weltbedeutung der Krisen und Kämpfe in China. Zum Abschluss seines Textes „Zur Gesamtlage in China“ im Aufwärts. Christliches Tageblatt vom 31. Mai 1932 prognostizierte er zum einen, dass „China nur als Einheitsstaat mit starker Zentralregierung“ seine gewaltigen Probleme meistern könne, und zum anderen, dass, wenn Japan sich den „fetten Brocken“ Mandschurei „einzuverleiben“ beabsichtige, wie es vorher schon „Korea sich einverleibt hat“, es „totsicher [sic] zu einem Zusammenstoß mit Rußland und Amerika“ und somit zum „von Bagusche vorausgesagten ‚kommenden Weltbrand Ostasiens‘“ kommen werde. (Hermann Paul Otto Bagusche, 1910-1944 Chefredakteur der Heidelberger Neuesten Nachrichten, hatte 1918 ein Buch mit dem Titel „Ostasiens kommender Weltbrand. Die Rollenverteilung der verschiedenen Nationen“ veröffentlicht.)
Ein anderes die Christenheit im Namen führendes Blatt – die in Dresden erscheinende Sächsische Volkszeitung. Für christliche Politik und Kultur – zeichnete am 8. Juli 1931 ein von Revolutionsangst beseeltes Bild des „Kommunismus in China“ und nannte auf die schon bekannte Weise auch Maos Namen. Im „labyrinthisch irren Lauf“ des „chinesischen Bürgerkrieges“, bei dem die Guomindangregierung ein neuerliches Mal von inneren Konflikten zerrissen werden könnte, drohe die Gefahr, dass die Kommunisten „die Rolle des ‚Tertius Gaudens‘“ – des lachenden Dritten – spielen könnten. „Unter der Führerschaft von Chu Teh [Zhu De] und Mao Tse-tung [Mao Zedong]“, die „über ein Heer von etwa 50.000 Gewehren verfügen [sollen]“, habe sich eine „aufständische Bewegung“ entwickelt, gegen die von der Nanjing-Regierung „bis zu 500.000 Mann […] ins Feld geschickt“ worden seien, deren „Erfolge […] allerdings hinter den Erwartungen zurück“ blieben, denn „die Roten führen einen Guerillakampf, verschwinden beim Herannahen der Truppe und kehren wieder, wenn die Truppen abgezogen sind.“
Zur Darstellung des Agierens der „kommunistischen Elemente […], welche das Elend der chinesischen Volksmassen in Dorf und Stadt zu ihren politischen Zwecken auszunutzen suchen“, bediente sich der Artikel eines Berichtes des mit dem Kampf gegen eben diese beauftragten „Kriegsministers Ho-Ying-ching [He Yingqin]“, demzufolge von diesen „Banden“ allein in der Provinz Jiangxi „nicht weniger als 186.000 Menschen erschlagen und mehr als 2.100.000 gezwungen worden sein [sollen], ihre Wohnsitze zu verlassen“. Auch sollen „mehr als 100.000 Häuser […] verbrannt und Eigentum im Werte von etwa 650 Millionen Silberdollar zerstört worden sein“. Für die Provinz Hunan sei von 72.000 Ermordeten, 120.000 verbrannten Häusern und einer Eigentumsvernichtung im Wert von 300 Millionen Silberdollar die Rede. „Wo die ‚Roten‘ die Macht ergreifen“, hieß es weiter, setzten sie einen „Ausschuß für ‚Ausrottung der Reaktionäre‘“ ein, dessen Aufgabe darin bestehe, „Landeigentümer, Kaufleute, Regierungsbeamte usw. zu bestrafen oder zu vernichten. […] Ferner wird die Bevölkerung gezwungen, in kommunistische Organisationen einzutreten. […] Das Privateigentum von Gutsbesitzern, Kaufleuten usw. wird beschlagnahmt“ und – man höre und staune! – „die Arbeiter werden veranlaßt, Erhöhung der Löhne, Verringerung der Arbeitszeit usw. zu verlangen“.
Der Weg von dieser China-Darstellung zur nazi-faschistischen war nicht weit. Was die Nazis draufsattelten, war die kompromisslose Einbindung des Kampfes gegen die chinesische Revolution in den weltweiten Kampf gegen den Kommunismus überhaupt. Mao – in einen Nebel aus Unkenntnis, Lüge und Dämonisierung getaucht – wurde zum „Bösen“ schlechthin.
Das in Mannheim erscheinende Hakenkreuzbanner. Das nationalsozialistische Kampfblatt Nordwestbadens meldete am 16. April 1935 unter der Überschrift „Kommunistenkrieg in Fernost“ „schwere Kämpfe zwischen den Regierungstruppen Tschiang-Kai-Tscheks [Jiang Jieshis] und dem Kommunistenstaat in der Provinz Kiangsi [Jiangxi]“, der „an Ausdehnung größer als das Deutsche Reich“ sei und „mehr als 50 Millionen Einwohner“ zähle. Der Kampf der Regierung habe „nicht nur lokale Bedeutung“, sondern beeinflusste „die politische Gestaltung des asiatischen Kontinents“, indem er „letzten Endes nicht nur gegen bestimmte rote Machthaber in Fukien [Fujian] oder Kiangsi [Jiangxi]“ gerichtet sei, „sondern gegen die Hammer- und Sichelstandarte als solche“. In der „unwegsamen Landschaft südlich von Jangtsetiang“ – das klingt, als ob es um eine Stadt ginge, gemeint ist aber der Fluss Yangzijiang – habe sich „eine provisorische rote Zentralregierung“ gebildet, „die sich allmählich mit Hilfe Moskaus zu einer Art von Sowjetrepublik entfaltete“. „Chef dieses Staats“ sei der „General Mao Chu-Teh“ geworden, „ein noch junger Zögling der Moskauer Propaganda-Universität für den fernen Osten und, wie es heißt, ein Freund und persönlicher Schützling Stalins“. „Chuh-Teh“ habe sich „dank einer ihm von Stalin geschenkten Radiostation in direkter Verbindung mit Moskau befunden“ und „von dort seine Instruktionen“ erhalten. Durch seine Armee sei „der Brandherd der Unruhe tiefer ins Innere Asiens getragen“ worden, und „hätte Japan nicht eingegriffen und den bolschewistischen Vorstoß im Norden, in der Mandschurei, zurückgeschlagen“, so wäre „Marschall Tschiang-Kai-Tschek [Jiang Jieshi] heute kaum in der Lage gewesen, einen Vernichtungskampf gegen den Kommunistenstaat in Kiangsi [Jiangxi] zu eröffnen“. In diesem Kampf seien mittlerweile „viele Hunderte der Roten […] getötet“ worden, darunter „auch der rote Generalissimus Chu-Teh“. – Ein Schulbeispiel für ein Gebräu aus Falschmeldungen, Teilwahrheiten und Offenbarung der faschistischen Herrschafts- und Vernichtungspläne. Dazu hier erst nur dies: der „Mao Chuh-Teh“ des Jahres 1935 war eine Phantasiegestalt wie der „Chu-Mao“ des Jahres 1930 auch, und weder Mao Zedong noch Zhu De sind 1935 getötet worden.
Wird fortgesetzt.
Schlagwörter: chinesische Revolution, Mao Zedong, Revolutionsangst, Wolfram Adolphi