Mit der konterrevolutionären, antikommunistischen und lügen- und dünkelhaften Chinasicht, wie sie im Teil IV dieser Artikelserie am Beispiel des Mannheimer Hakenkreuzbanners vom 16. April 1935 gezeigt wurde, war ein wahrhaftiges Bild von den Entwicklungen in China nicht zu gewinnen.
In scharfem Kontrast dazu stand die im Exil in Prag von Hermann Budzislawski herausgegebene Wochenschrift Die neue Weltbühne. Sie brachte Texte, die bis heute zum Wertvollsten gehören, was in diesen Jahren direkt aus China nach Europa und in die USA gelangt ist – verfasst von Menschen, die sich der chinesischen Revolution verschrieben hatten und, weil sie ihren oft selbst formulierten journalistischen Auftrag mit solidarischem Handeln für die Revolutionärinnen und Revolutionäre verbanden, weit im Lande herumkamen. Agnes Smedley war eine dieser Persönlichkeiten. In der neuen Weltbühne vom 1. Januar 1937 war von ihr unter dem Titel „Frauen im Bürgerkrieg“ der Bericht eines „roten Generals“ aus den Anfangsjahren der Sowjetgebiete 1928 – 1930 über eine „Frau des Hinterlands“ zu lesen, die von einem Truppführer der Guomindang verschleppt, vergewaltigt und zur Ehe gezwungen worden war. Sie „bevorzugten“ die „Kommunistinnen“, die leicht zu erkennen waren „an den unverkrüppelten Füßen und dem kurzen Haar“, die sich „rein“ hielten, „intelligent“ waren und „fleißige Arbeiterinnen“ noch dazu, obendrein „lesen und schreiben“ konnten. Diese Frau aber unterwarf sich dem Mann nicht, sondern zwang ihn zur Änderung seines Lebens und bewog ihn schließlich dazu, mit seinem ganzen Trupp und ihr zu den Roten überzulaufen.
Am 26. August 1937 veröffentlichte Die neue Weltbühne einen Text des Schriftstellers Upton Sinclair über „Eine Frau aus Iowa“. Gemeint war eben diese Agnes Smedley. „Abenteuerliche Kunde“ bringe „der Draht aus der entlegenen Provinz Shensi [Shaanxi]“. (Gemeint ist das im Ergebnis des „Langen Marsches“ Ende 1935 in der Grenzregion der Provinzen Shaanxi, Gansu und Ningxia von der KPCh gegründete revolutionäre Stützpunktgebiet mit der Hauptstadt Yan’an): „Eine Frau aus Amerika“ spiele „eine führende Rolle unter den Radikalen dieses von Unruhe und Gefahr erfüllten Gebiets.“ Nun, „führend“ war sie nicht. Aber nah dran – und darum kenntnisreich wie nur wenige sonst.
Zu diesen Wenigen gehörte auch Asiaticus, von dem nun vor allem die Rede sein soll. Asiaticus, der Kommunist Heinz Grzyb, auch Heinz Möller, war schon von 1925 bis 1927 in China tätig gewesen und hatte unter diesem Pseudonym für Die Weltbühne 1930 unter dem Titel „Yen Hsi-Schan [Yan Xishan]“ über den diesen Namen tragenden „Präsidenten der Mittelmäßigkeit“, die Machtkämpfe in der Guomindang und das Vordringen Japans in China vom Norden her geschrieben. 1931 schrieb er über „Das chinesische Rätsel“ und über den indischen Internationalisten Manabendra Nath Roy; 1932 unter dem Titel „In den Blutspuren der Kokuhonsha“ über „die Herren der japanischen Außenpolitik“, die heiße „kurz und bündig: Krieg!“
Für Die neue Weltbühne wurde Asiaticus (alle genannten und etliche weitere seiner Artikel finden sich wie auch einige Arbeiten über ihn auf der Website www.asiaticus.de), der 1932 als Mitglied der KPD-Opposition wieder nach China gegangen war, zum entscheidenden Beschreiber und Analytiker der fernöstlichen Entwicklungen – und am 13. Juni 1935 mit dem Aufsatz „Die Roten in Szechuan [Sichuan]“ auch zu demjenigen, der in diesem Blatt erstmals Kunde von Mao Zedong gab. „Registrieren wir“, schrieb er aus Shanghai, „ein denkwürdiges Ereignis. Monatelang hat hier die imperialistische und die chinesisch-reaktionäre Presse die ‚endgültige‘ Vernichtung der Roten Armee avisiert, […] täglich lasen wir von der Umzingelung der roten Truppen, vom Massentod der roten Soldaten und ihrer Führer, von den Siegen Tschiangkaischeks [Jiang Jieshis]“, aber „Mitte Mai“ habe die Nachrichtenagentur Reuters mitteilen müssen, „dass die Hauptmasse der Roten, ‚wie es scheint‘, von Junnan [Yunnan] aus in den Südwesten der Provinz Szechuan [Sichuan] eingebrochen sei“. „Ja“, jubelte Asiaticus, „es war den Roten gelungen, in dieser Zone den Jangtse [Yangzi] zu überqueren.“
Das war – die künftige Geschichtsschreibung würde es bestätigen – einer der entscheidenden Momente des später „Langer Marsch“ genannten Rückzugs der Roten Armee vor den Schlägen der Guomindang-Truppen, und Asiaticus kommentierte euphorisch: „Die Leistung ist gigantisch. Die gestellte Aufgabe wurde strategisch glänzend gelöst, die Kämpfe wurden todesmutig durchgeführt, in den Annalen der revolutionären Kriege findet sich kein ähnlich tapferer Feldzug.“ Und wie würde es weitergehen? „Jetzt“, teilte Asiaticus mit, „eilt diese rote Armee, die von Chu Te [Zhu De] kommandiert und von Mao Tse-Tung [Mao Zedong], dem Vorsitzenden der chinesischen Sowjetregierung, geführt wird, der anderen roten Armee entgegen, die [unter Führung von Zhang Guotao] vom Nordwesten Szechuans [Sichuans] nach dem Süden strebt.“
Es ging nicht so schnell, wie Asiaticus erwartete – die beiden roten Armeen strebten wieder auseinander, die Truppen von Zhang Guotao zerstoben und wurden zerrieben. Die zum Ziel erklärte Shaanxi-Gansu-Ningxia-Grenzregion wurde erst im Spätherbst 1935 erreicht und war erst ein Jahr später, im Oktober 1936, so stabilisiert und vor Attacken der Guomindang geschützt, dass tatsächlich ein eigenes Staatswesen aufgebaut werden konnte. Asiaticus wusste immer, dass auf jeden Fall „noch schwere Kämpfe“ bevorstehen, und doch prophezeite er, dass „in diesem Augenblick“ die „Fundamente für den großen, epochemachenden Neubau Chinas gelegt“ würden.
Wird fortgesetzt.
Schlagwörter: Asiaticus, China, Langer Marsch, Mao Zedong, Wolfram Adolphi