26. Jahrgang | Nummer 22 | 23. Oktober 2023

Brandmauer

von Stephan Wohanka

Nach § 30 Absatz 1 der Musterbauordnung müssen Brandmauern „als raumabschließende Bauteile feuerbeständig sein und aus nicht brennbaren Baustoffen bestehen; sie müssen so beschaffen sein, dass sie bei einem Brand ihre Standsicherheit auch unter zusätzlicher mechanischer Beanspruchung nicht verlieren und die Brandausbreitung auf andere Gebäude oder Gebäudeabschnitte verhindern“.

Die Metapher der Brandmauer ist gar nicht schlecht gewählt; das Haus der Demokratie bedarf schützender und stützender Konstruktionen. Es ist in Ordnung, wenn sich in der Wand, die zu den Demokratiefeinden zeigt, kein Zugang findet und nur eine geschlossene, feuerfeste Mauer.

So machte der Begriff denn auch im politischen Raum eine beachtliche Karriere. Bei Wikipedia ist unter dem Stichwort „Brandmauer-Taktik“ zu lesen, dass das „eine politische Strategie (ist), die darauf abzielt, eine klare Abgrenzung zwischen etablierten Parteien und einem unerwünschten politischen Gegner durch ein striktes Koalitionsverbot zu schaffen“. Weiter heißt es: Hierzulande würde diese Taktik von demokratischen Parteien „gegen angeblich (! – St. W.) rechtsextreme oder populistische Parteien“ wie die AfD angewandt. Die Taktik solle verhindern, dass rechtsextreme Ideen und Positionen in den politischen Mainstream einflößen und die demokratischen Parteien beeinflussten. Wobei selbst Wikipedia diesen Artikel kritisch sieht; er „ist nicht hinreichend mit Belegen […] ausgestattet. Angaben ohne ausreichenden Beleg könnten demnächst entfernt werden“.

Von allen Parteien sind Unvereinbarkeitsbeschlüsse zur Kooperation mit der AfD bekannt; die Union übertrifft jedoch alle anderen mit dem gebetsmühlenartig vorgetragenen Schwur, die Brandmauer „nach rechts“ stehe. Auch der neu ins Amt gekommene Generalsekretär der CDU, Carsten Linnemann betont: „Es wird keinerlei Zusammenarbeit mit der AfD geben – weder im Bund noch in den Ländern“.

Was Angela Merkel ihrer Partei angetan hat, wird erst zwei Jahre nach ihrem Abgang in vollem Ausmaß deutlich. Sie erfand die asymmetrische Delegitimierung; das heißt, sie okkupierte die Themen der politischen Konkurrenz, wich Debatten aus und bot so dem Gegner keine Angriffsfläche. Das funktionierte, solange die Union das Kanzleramt beherrschte. Inzwischen aber ist die Partei Opposition und müsste die Regierung stellen. Was ihr die im permanenten Krisenmodus regierende Ampelkoalition und die sich häufenden Fehler im Regierungshandeln eigentlich auch leicht machten. Aber anstatt als seriöses Gegenüber handeln zu können, kreist die durch die Merkel-Politik endgültig ideell entkernte – der Prozess setzte schon vor Merkels Kanzlerschaft ein, sie vollendete ihn – CDU vor allem um sich selbst. Jedoch auch die verbreitete Annahme, Merkel habe mit ihrem liberalen, pragmatischen Kurs die AfD rechts von der CDU erst möglich gemacht, ist durch die jüngste Entwicklung zumindest relativiert: Die AfD wird immer stärker, obwohl die CDU mit ihrem neuen Vorsitzenden Friedrich Merz (wieder) nach rechts gerückt ist und sich in Wortwahl und politischer Strichführung nicht selten kaum von der AfD unterscheidet. Letzteres ist der Kardinalfehler der Merz-CDU!

Als Merz das Amt noch nicht inne hatte, aber danach gierte, machte er damit von sich reden, er könne die AfD halbieren. Das war 2019. Vier Jahre später spottet AfD-Parteichef Tino Chrupalla: „Friedrich Merz wollte uns halbieren. Stattdessen haben wir uns verdoppelt.“ Dass Merz – immerhin seit fast zwei Jahren Parteivorsitzender – die Halbierung nicht gelungen ist, schiebt er selbstverständlich auf die Ampel: „Wenn die Politik der Bundesregierung die AfD jetzt eher wieder stärkt, dann kann die Opposition sie nicht halbieren.“ Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Warum zahlt die schwache Regierungsarbeit nicht auf das Konto der Union ein, sondern stärkt fast in Gänze die AfD? Das hat sich Merz vor allem sich selbst zuzuschreiben; immerhin zeigt er eine gewisse reuige Einsicht: „Ich wiederhole meine Formulierung des Jahres 2019 heute nicht mehr.“

Dem voraus gegangen war eine Abfolge „unglücklicher“ Ereignisse und Affären; im Zentrum dabei oft Friedrich Merz himself. Im thüringischen Landkreis Sonneberg kam es in der Jahresmitte zur Wahl eines AfD-Landrates. Warum auch immer – Merz’ Bannstrahl traf daraufhin die Bündnis-Grünen; die seien ab sofort der „Hauptgegner“. Worauf deren Politische Bundesgeschäftsführerin konterte: „Wir rufen nicht einen Tag, nachdem die AfD eine Landratswahl gewonnen hat, andere demokratische Parteien zu ‘Hauptgegnern’ aus, mit denen wir in mehreren Bundesländern koalieren.“

Bei der CSU-Klausur im Juli im oberbayerischen Kloster Andechs tat Merz der erstaunten Öffentlichkeit kund, „dass wir eine Alternative für Deutschland mit Substanz sind“ – und löste damit breite Irritationen aus. Ich fühlte mich sofort an Talleyrands Bonmot erinnert, dass eine Dummheit schlimmer sei als ein Verbrechen; wie kann der Vorsitzende der CDU den Begriff „Alternative für Deutschland“ auf seine Partei münzen, in welchen Kontexten und Einbettungen auch immer? „Auch wenn sich Herr Merz noch so verbiegt, das Original bleiben wir“, schrieb die Fraktionsvorsitzende der AfD, Alice Weidel. Recht hat sie.

„Keine Sorge, die Nazis mit Substanz wollen nach aktuellem Stand voraussichtlich nur auf kommunaler Ebene mit Nazis zusammenarbeiten“, so der nicht unumstrittene ZDF-Moderator Jan Böhmermann. Er hob damit auf eine andere Merzsche „Dummheit“ ab, nämlich das Verbot der Zusammenarbeit der CDU mit der AfD auf kommunaler Ebene zu kassieren; so vorgetragen im ZDF-Sommerinterview. Auch das ging bekanntlich schief. Die Kritik, vor allem auch aus der eigenen Partei, war groß; Merz machte eine Rolle rückwärts und behauptete dreist, er habe nicht gesagt, was er gesagt hatte. Was die Empörung eher vergrößerte. Um auch das noch zu erwähnen – in der alkoholgeschwängerten Luft eines bayerischen Bierzeltes tönte Merz: „Nicht Kreuzberg ist Deutschland, Gillamoos ist Deutschland.“ Wie soll man das verstehen? Gehören Menschen mit Migrationshintergrund nicht zu Deutschland?

Fasst man alles zusammen, so kommt heraus: Die CDU und namentlich ihr Chef zetteln immer wieder absurde Debatten an, die die AfD vermeintlich schwächen sollen, aber in der (medialen) Öffentlichkeit eher als Anbiederung an die AfD gelesen werden (können). Der CDU fehlt ein wirksames Konzept, wie sie mit der AfD umgehen sollte. Was Besseres kann Höcke und Konsorten nicht passieren als so zum Angstgegner aufbläht zu werden.

Die Eiertänze um die Brandmauer werden jedoch erst richtig Fahrt aufnehmen, wenn Regierungsbildungen mit CDU-Beteiligung auf Landesebene, die ohne Kooperation mit der AfD auskommen wollen, nur durch ein Zusammengehen mit der Linkspartei zustande kommen können. Im Getöse um die „rechte“ Brandmauer geht unter, dass der CDU desgleichen per Parteitagsbeschluss von 2018 die Zusammenarbeit mit den Linken untersagt ist – es folglich auch eine „linke“ Brandmauer gibt.

Noch gravierender jedoch ist, dass die eigentliche Brandmauer gegen Rechtskonservativ-Völkisches nicht im permanenten Geschwafel über eine solche besteht, nicht darin, eine solche immer wieder rhetorisch zu beschwören, sondern dass eine solche Mauer die konservative Partei selbst ist. Konservative sollten keine Mauer bauen, sondern sein. Davon ist die Union – ob CDU oder CSU – noch weit entfernt. Denn anstatt sie auf die inhaltliche Kärrnerarbeit zu konzentrieren, um zu diesen Anspruch gerecht zu werden, wird ein neues CDU-Parteilogo kreiert. Auch das ein Vorgang von Pleiten, Pech und Pannen begleitet, aber mit eindrucksvollen Farbspielen: „Cadenabbia-Türkis“ und „Rhöndorf-Blau“. Adenauer läßt grüßen; eben leider nur farblich, nicht politisch…

Solange die CDU feige und mutlos auf die rechte Konkurrenz schielt, ihr noch immer eine inhaltliche Selbstvergewisserung fehlt, gibt es hierzulande keine wirkliche konservative Opposition – und keine wirksame Brandmauer gegen rechts! In einem Magazin ist jetzt über Merz zu lesen: „Er kann’s nicht“.

Wohl wahr.