26. Jahrgang | Nummer 19 | 11. September 2023

Antworten

Boris Kagarlizki, kritischer Beobachter russischer Verhältnisse – Ihren 65. Geburtstag am 29. August verbrachten Sie 1300 Kilometer vom heimatlichen Moskau entfernt im Untersuchungsgefängnis von Syktywkar, der Hauptstadt der Komi-Republik. Womit der Vorwurf der „Rechtfertigung des Terrorismus“ begründet wird, unter dem Sie am 25. Juli verhaftet wurden, lässt sich nach Medienberichten nur vermuten. Auf Ihrem Telegram-Kanal Kagarlizki letters haben Sie die politische, ökonomische und soziale Entwicklung Russlands zwar regelmäßig von links kritisiert, doch nichts in Ihren Kommentaren rechtfertigt besagten Vorwurf, der Ihnen bis zu sieben Jahre Haft einbringen könnte. Als wahrer Grund Ihrer Festnahme gilt daher Ihre Stellungnahme gegen den Krieg und die ungeschönte Beschreibung der Probleme Russlands. Zu den Unterzeichnern eines Briefes, der Ihre Freilassung fordert, gehören Persönlichkeiten aus unterschiedlichen politischen Lagern, darunter Jean-Luc Mélenchon, Jeremy Corbyn, Slavoj Žižek, Nadjeshda Tolokonnikowa (Pussy Riot) und Regisseur Ken Loach. In einem Brief aus dem Gefängnis schreiben Sie laut Ihrem Internet-Projekt Rabkor: „Ich denke, dass man die jetzige Verhaftung als Anerkennung der politischen Bedeutsamkeit meiner Äußerungen werten kann. Natürlich würde ich es vorziehen, Anerkennung in einer etwas anderen Form zu erhalten, aber alles hat seine Zeit.“ Bewahren Sie sich bitte Ihren Optimismus!

Heribert Prantl, wie stets mit scharfem Blick – Als man jüngst in Bonn den 75. Jahrestag des Beginns der Arbeit am Grundgesetz feierte, fiel Ihnen auf, dass der Festredner, Altbundespräsident Joachim Gauck, seine Predigt „mit einem offensichtlichen, aber nicht ausdrücklich genannten Bezug auf den Ukraine-Krieg“ beendete: „Es liegt schließlich auch an uns, ob und wie weit wir unsere Demokratie und Freiheit militärisch zu verteidigen imstande sind.“ In Ihrer politischen Wochenschau „Prantls Blick“ fragten Sie sich, was die Mütter und Väter des Grundgesetzes wohl dazu gesagt hätten. Sie selbst vermissten in Gaucks Rede einen ausdrücklichen Bezug auf die Grundrechte. Es liege schließlich an eben diesen Grundrechten, „wenn in diesem Grundgesetz das Herz des Staates schlägt“. Freilich komme es auch immer wieder zu Herzrhythmusstörungen. Sie schreiben: „Die größten und gefährlichsten dieser Störungen gab es in der dreijährigen Corona-Zeit, als die Grundrechte in Quarantäne genommen wurden – und sie auf einmal als Ballast galten im Kampf gegen das Virus.“ Es sei eine Stimmung entstanden, „in der Grundrechte als Gefahr betrachtet wurden“. Ihr Fazit: „Zu den Veranstaltungen im Rahmen des Grundgesetzjubiläums gehören daher nicht nur Festreden à la Gauck. Auch die Sitzungen von Untersuchungsausschüssen und Enquete-Kommissionen zur Aufarbeitung der Corona-Krise gehören zum Jubiläum.“ Dem ist unbedingt zuzustimmen.

Nancy Faeser (SPD), Bundesinnenministerin – Erst die gute Nachricht: Neueren Umfragen zufolge werden Sie nach der Hessenwahl am 8. Oktober 2023 vermutlich nicht die Chance haben, sich in Wiesbaden an die Spitze eines vergleichbaren Chaos-Kabinetts zu setzen wie Ihr Parteifreund Olaf Scholz im Bund. Doch es gibt auch eine schlechte: Dann werden Sie wohl Bundesinnenministerin bleiben. Und das hätte seit jüngstem noch ein Geschmäckle mehr. Denn gerade klagt ein früherer Chef des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gegen das von Ihnen geführte Haus – laut BILD wegen Mobbing. Ein so in der bundesdeutschen Geschichte noch nicht allzu häufig gewesener Fall. Hintergrund: Sie hatten den Mann im vergangenen Jahr erst suspendiert und später bei der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung endgelagert. Warum? Offenbar weil ZDF-Krawallnudel Jan Böhmermann in seiner Fernsehsendung am 7. Oktober vergangenen Jahres behauptet hatte, der Mann könnte um drei Ecken angeblich Kontakte zu einem russischen Geheimdienst gehabt haben. Das Problem: Bei internen Untersuchungen fanden sich augenscheinlich keine stichhaltigen Beweise für solche Vorwürfe. Seinen ursprünglichen Job blieb der Mann trotzdem los. Die Welt nannte dies einen „Skandal“.
Was bleibt zu tun? Wir empfehlen: Vergeigen Sie zunächst mit gebotener Gelassenheit die Hessenwahl und ministrieren Sie anschließend einfach stoisch weiter – nach dem allseits vertrauten Motto „Ist der Ruf erst ruiniert …“

Annalena Baerbock, Spaßbremse – Über sich selbst lachen zu können ist bekanntlich den Wenigsten gegeben. Insofern sind Sie – wiewohl bisweilen im Kontext der Bundesregierung immer mal wieder die Realsatire vom Dienst – keine Ausnahme. Gerade ist das Auswärtige Amt, einem Bericht der Welt zufolge, gegen den Satire-Account Baerbockpress vorgegangen, weil der nicht deutlich genug als Parodie zu erkennen gewesen sei: „In der Vergangenheit ist es tatsächlich zu Verwechslungen gekommen“, erklärte ein Amtssprecher.

Der Account hatte Ihnen Sprüche in den Mund gelegt wie: „Bitterer Tag für den Feminismus. Das Ausscheiden von @DFB_Frauen zeigt, dass Frauen auch im Frauen-Fußball diskriminiert werden. Durch Regeln, die von Männern gemacht wurden, sind sie aus dem Turnier geflogen.“ Oder: „Laut neuen Studien sind ca. 50 % der Geflüchtet*innen von 2015/2016 in Arbeit. Wenn wir jetzt die Anzahl der Geflüchtet*innen verdoppeln, sind wir doch bei 100 %! Ich bin dazu bereit, weil ihr es seid!“ Oder: „Darum bedeutet feministische Außenpolitik für uns hier im Haus, beim Bohren dicker Bretter, dass wir dafür sorgen, was eigentlich selbstverständlich ist, dass alle Beschäftigten jeden Morgen gerne zur Arbeit gehen – hoffentlich.“

Ach nee, Letzteres haben Sie ja tatsächlich gesagt. Bei der Vorstellung der Leitlinien zur Feministischen Außenpolitik am 1. März 2023 in Berlin.

Da waren Satire und Realität also tatsächlich ununterscheidbar!

Deshalb musste der Account auch umbenannt werden und heißt jetzt Außenministerin Parody Annalena Baerbock.

Die Alternative wäre gewesen, die Realität zu ändern. Doch wie man weiß – nur Unmögliches geht sofort, Wunder dauern etwas länger …

Jürgen Kessing, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes – Nach den diesjährigen Weltmeisterschaften in Budapest griffen Sie tief in die Kiste mit den sportbezogenen Uraltsprüchen: „Die Weltspitze ist deutlich breiter geworden.“ (Gesteigert einst übrigens von Berti Vogts: „Die Breite an der Spitze ist dichter geworden.“) Tatsächlich: Gemessen an Medaillengewinnen, wurde die „Spitze“ in Budapest von 46 Landesverbänden gebildet. Der Verband, dem Sie präsidieren, war nicht darunter. Der Abwärtstrend des deutschen Sports sei damit allerdings noch gar nicht erreicht, sagten Sie voraus, der Tiefpunkt sei womöglich erst im nächsten Jahr bei den Olympischen Spielen zu erwarten. Ihr Sportdirektor Jörg Bügner formulierte es so: „Das primäre Ziel für 2024 ist, dass wir mit allen unseren Topathleten gesund an der Ziellinie stehen. […] – und dann sehen wir weiter.“ Abgesehen davon, dass üblicherweise vor dem Ziel der Start liegt, ist das die löbliche Besinnung auf das ursprüngliche olympische Motto „Dabeisein ist alles.“