Von Mahlsdorf am östlichen Stadtrand von Berlin bis Beeskow braucht man an einem normalen Wochentag mit dem Auto reichlich eine Stunde. Allerdings nur, wenn der Lindwurm an Sattelschleppern, der nach Verlassen des Berliner Rings ab Kreuz Spreeau die rechte der beiden Fahrbahnen in Richtung Frankfurt an der Oder meist lückenlos beansprucht, diese nicht auch noch in eine Standspur verwandelt und sich dann auf der linken Spur zu allem Überfluss ein Unfall ereignet. In solchem Falle nämlich bietet diese schmale Autobahn praktisch keinen Raum zur Aufrechterhaltung des Verkehrsflusses. Da ist man in heißen Monaten gut beraten, wenn man mindestens etwas zu trinken dabei hat …
Uns war Glück dieses Mal hold, und so trafen wir rechtzeitig auf Burg Beeskow ein, um … doch dazu gleich.
Herbert Schirmer, Jahrgang 1945 und von Beruf Buchhändler sowie später fernstudierter Journalist, der seit 1985 Mitglied der Ost-CDU war, wurde 1989 Mitbegründer und Sprecher des Neuen Forums in Beeskow sowie CDU-Vorsitzender im Bezirk Frankfurt. Ab März 1990 gehörte er der letzten DDR-Regierung als Kulturminister an. Nach diesem demokratischen Intermezzo wurde und blieb er bis 1998 Direktor des Museums in der Wasserburg Beeskow. Als solcher gehörte er zu den wenigen Engagierten in den Ost-Bundesländern, die in einer Zeit, als alles, was bis dato DDR gewesen war, häufig kurzerhand auf dem Müll landete, darunter ganze Bibliotheken und Verlagsbestände, dafür sorgten, dass der staatlich finanzierten Kunst der untergegangenen Republik nicht flächendeckend das Gleiche widerfuhr. Schirmer initiierte in Beeskow das „Dokumentationszentrum Kunst in der DDR“, heute Kunstarchiv Beeskow und mit der Sammlung des Dokumentationszentrums „Alltagskultur der DDR“ in Eisenhüttenstadt im Museum „Utopie und Alltag“ vereinigt. In Beeskow sind seither etwa 18.500 Werke aus dem bildenden und dem angewandten Bereich sowie dem Laienschaffen versammelt – Gemälde, Papierarbeiten, Bronze- und andere Büsten sowie Wandteppiche –, die zuvor im Besitz öffentlicher Einrichtungen der politischen Parteien der DDR, des FDGB, der FDJ, von örtlichen Kulturhäusern oder solchen von Großbetrieben auf dem Gebiet der jetzigen Bundesländer Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern gewesen waren. Denn die ständige Förderung von Kunst durch deren Finanzierung war in der DDR ein staatliches und gesellschaftliches Anliegen, das kein Mauerblümchendasein führte.
Die Beeskower Schätze – darin besteht ihre Einzigartigkeit gegenüber DDR-Kunstbeständen in den anderen ostdeutschen Bundesländern, in denen die betreffenden Lagereinrichtungen den Charakter „geschlossener Gesellschaften“ tragen – sind ist für die Öffentlichkeit zugänglich. Daher – Schaudepot. Allerdings nicht im Sinne eines Museums mit durchgängigen, regelmäßigen Öffnungszeiten, sondern über Führungen in Kleingruppen (maximal 15 Personen). Dafür muss man sich zuvor in Beeskow anmelden. Das ist telefonisch oder per E-Mail unproblematisch möglich. Der Eintrittspreis beträgt neun Euro pro Person. Gegen einen Zusatzobolus von 26,00 Euro je Gruppe sind auch individuelle Führungen möglich. Wir hatten uns für diese Variante entschieden.
Nun waren wir also rechtzeitig in Beeskow eingetroffen, um im Burghof von unserer jungen Depotführerin in Empfang genommen zu werden, und Antje W., erst seit wenigen Monaten in Beeskow beschäftigt, waltete ihres Amtes – mit erfrischendem Enthusiasmus und bereits spürbarer Sachkenntnis sowie ganz offensichtlich ohne ideologisch bedingte Voreingenommenheit gegenüber den von ihr vorgestellten Exponaten.
Gleich im Eingangsbereich des Depots fünf Drucke (in sehr unterschiedlicher Farbgebung) von Womackas (zu DDR-Zeiten über drei Millionen Mal reproduziertem) Motiv „Paar am Stand“ – kuratorisch bewusst ausgewählt und im Depot so prominent platziert, um die von der Partei- und Staatsführung der DDR bevorzugte Figürlichkeit der Malerei sowie deren nicht minder gewollte Verbindung zu den Menschen in ihrem Alltags- und Berufsleben augenfällig zu versinnbildlichen. Womacka ist von den offiziellen Größen der DDR-Malerei mit etwa 30 Werken in Beeskow übrigens am stärksten vertreten.
Über insgesamt 2000 Quadratmeter Hängefläche verfügt das technisch hervorragend ausgestattete Depot. Da findet der monumentale Sitte, der einst gegen den Willen der dortigen Leitung das Foyer der Parteihochschule Karl Marx der SED im Berliner Bezirk Mitte beherrschte, ebenso Platz wie großformatige Innenstadtansichten Womackas von Berlin und Moskau. Aber auch ein früher Neo Rauch, ein Mattheuer befinden sich im Bestand. Vor allem jedoch Werke zahlreicher weiterer, obzwar nicht ganz so bekannter Künstler der DDR, doch auch diese mit einer beeindruckenden individuellen Ausdrucks- und Stilfülle. Das macht das Beeskower Depot zu einem Ort für Entdeckungen.
Kunstarchiv Beeskow im Museum „Utopie und Alltag“, Burg Beeskow, Frankfurter Straße 23, 15848 Beeskow; weitere Informationen im Internet.
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