26. Jahrgang | Nummer 10 | 8. Mai 2023

Polens Linke

von Jan Opal, Gniezno

Polens Linkskräfte werden zu den Parlamentswahlen im Herbst des Jahres wieder gemeinsam antreten. Der Erfolg von 2019 soll wiederholt, Trennendes also zurückgesetzt werden. Vor vier Jahren galt es, die Rückkehr der Linkskräfte in den Sejm zu sichern, was mit 12,6 Prozent der abgegebenen Stimmen schließlich – berücksichtigt man die Umstände – sogar eindrucksvoll gelang. Unter dem zum letzten Mal gebrauchten Schild der SLD (Demokratische Linksallianz) wurde mit der Losung „Uns vereint die Zukunft – wähle die Zukunft“ noch einmal erfolgreich gepunktet, denn versprochen war zugleich der Aufbau einer neuen und programmatisch breiter aufgestellten Linken.

Im Herbst 2015 waren zwei getrennt marschierende Gruppierungen an den jeweiligen Prozenthürden gescheitert. Zusammengerechnet hatten die „große Linke“ – ein sozialdemokratisch-linksliberales Wahlbündnis – sowie die linksalternative „kleine Linke“ (die Partei Razem) fast zwölf Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten, doch am Wahlabend mussten die Gescheiterten mit ansehen, wie ein triumphierender Jarosław Kaczyński als Wahlsieger plötzlich sogar die absolute Mehrheit der Parlamentssitze in den Händen hielt. Über die gravierenden Folgen für Land und Leute, die bis 2019 eine unglaubliche Periode von Sturm und Drang der Nationalkonservativen überstehen mussten, ist im Blättchen regelmäßig berichtet worden.

Wie 2019 der erhoffte Aufbruch aus den Niederungen der außerparlamentarischen Existenz gelang, so soll jetzt 2023 der eigene Beitrag geleistet werden, um den Nationalkonservativen die Regierungsmehrheit zu entziehen. Zurückblickend dürfen Polens Linkskräfte überaus zufrieden sein, denn alter, zugleich gefährlicher Spaltpilz scheint besiegt, zumindest in den für die Wählerschaft erträglichen Grenzen gehalten. Die einst verdienstvolle SLD – erinnert sei an spektakuläre Wahlerfolge in den Jahren 1993 bis 2001 – hat sich aufgelöst und mit der von Robert Biedroń geführten Wiosna-Partei zu Nowa Lewica (Neue Linke) zusammengeschlossen. Organisatorisch eigenständig blieb hingegen der dritte, zugleich der kleinste Stamm im Linksbündnis – die Partei Razem.

Dennoch tritt das Linksbündnis jetzt viel geschlossener auf als vor vier Jahren, ein Erfolg, den sich nicht zuletzt Włodzimierz Czarzasty, einstiger SLD-Chef und einer der entscheidenden Architekten des Bündnisses, zuschreiben darf. Die Parlamentsfraktion ist tatsächlich enger zusammengerückt, sie ist wegen ihres geschlossenen Auftretens – Unterschiede in den programmatischen Auffassungen hin oder her – nun der entscheidende Rückhalt für Lewica (Linke), wenn es um die Wählerstimmen geht. Im Augenblick werden in den Umfragen regelmäßig Ergebnisse um die zehn Prozent notiert, kein schlechter Wert. Erfreulich für die Parteistrategen ist zudem, dass der Zuspruch bei jungen Wählerschichten immer darüber liegt.

Dass das Zusammenfinden der einst heillos zerstrittenen Brüder (und Schwestern) – die ja einen Bogen von linksliberal über sozialdemokratisch bis linksalternativ bespielen – so reibungslos über die Bühne ging, hängt auch zusammen mit der politischen Großwetterlage in Polen. Das übergeordnete Ziel aller politischen Kräfte im Spektrum der demokratischen Opposition gegenüber der nationalkonservativen Regierung ist der Machtwechsel, der am Wahlabend gefeiert werden soll. Ob es dazu kommen wird, ist wieder fraglicher geworden, fast scheint es, als hätten sich die alten Frontstellungen und Frontlinien zwischen den beiden großen Lagern – dem nationalkonservativen Regierungslager und dem demokratischen, allerdings von gemäßigt konservativ bis linksalternativ reichenden Oppositionsbogen – verfestigt und mitunter auch vertieft, trotz Corona-Pandemie und Russlands Überfall auf die Ukraine.

Für die Linke in Polen ist das insofern von einiger Bedeutung, weil der heftige Druck, aus wahltaktischen Gründen unbedingt mit den Liberalen unter Donald Tusk in einem Wahlbündnis zusammengehen zu müssen, abgenommen hat. Im Augenblick hat es den Anschein, dass mindestens drei demokratische Oppositionsgruppierungen antreten werden – ein konservativ-liberaler Wahlblock mit den gemäßigten Agrariern, eine liberale Bürgerkoalition sowie die Linke. Ob das im Herbst eine erfolgreiche Schlachtordnung sein wird, muss sich dann zeigen. Für die Linke lässt sich aber sagen, dass die Gefahr, in einem Bündnis mit den großstädtischen Tusk-Liberalen unter die Räder zu geraten und gar selbst wieder zerrieben zu werden, gebannt scheint. Während beim Ukraine-Thema Liberale wie Linke entschieden mit einer Stimme sprechen, sieht es bei vielen anderen Themen anders aus, was bei Themen wie öffentlicher Daseinsvorsorge, Haltung zu den Frauenrechten oder Sozial- und Rentenpolitik leicht vorzustellen ist.

Gehen die Überlegungen in den Parteizentralen der Opposition auf, müsste man sich Ende des Jahres ohnehin zusammenraufen zu einer recht bunt zusammengesetzten Regierungskoalition aus drei oder sogar vier Parteien. Das würde auch für Polens heutige Linke ein völlig neues Kapitel öffnen, denn die zwischen 1993 und 2005 gelegenen Regierungsjahre sind nur noch graue Vorzeit. Insofern sind die erreichte Geschlossenheit der Linkskräfte und deren Vermögen, die eigenen Wählerschichten in ihrer ganzen Verschiedenheit tatsächlich verlässlich zu binden, wichtige Voraussetzungen im Ringen der demokratischen Opposition, die Nationalkonservativen nun zu schlagen.