Die Komische Oper war genau das Richtige für Barrie Kosky. Zehn Jahre regieführender Intendant an dem Berliner Opernhaus, das auf besondere Weise mit der Geschichte der Stadt verbunden ist. Mit der übersprudelnd produktiven Zeit der zwanziger und beginnenden dreißiger Jahre. Bis die Nazis die Revue-Lichter ausknipsten und die Fackeln für die gespenstische Beleuchtung ihres Gleichschritts entzündeten. Und dann, nach dem Krieg, als sich die DDR immerhin den Österreicher Walter Felsenstein als Intendanten- und Regielichtgestalt leistete. Nach ihm sicherten vor allem Joachim Herz und Harry Kupfer dem Haus eine Attraktivität, die es so oft weder in der DDR noch im übrigen Deutschland gab.
Als Nachfolger von Andreas Homoki kam 2012 Barrie Kosky. Die „kleine australische jüdische Schwuchtel“, wie er sich selbst im flotten und kein bisschen verklemmten Plauderton nennt, fing an, dem Haus mit von den Nazis verfemten, dann vergessene Operettenschätzen aus der Weimarer Zeit Glanz und Glamour zu verpassen und in ein Programmprofil zu integrieren, das den besonderen Reiz dieses Berliner Opernhauses ausmacht. Dass er nebenbei auch anderswo fleißig inszeniert hat, inklusive einen „Nibelungen-Ring“ in Hannover oder die „Meistersinger“ in Bayreuth, versteht sich für diesen Workaholic, der leidenschaftlich für die Bühne, die Musik, die Oper und Operette brennt, von selbst.
Jetzt hat er auch noch ein Buch geschrieben, dessen Untertitel sein eigenes Leben mit den prominenten Bühnenkunstfiguren Salome, Mariza und Miss Piggy in einem Atemzug nennt. Und damit nicht mal mogelt. Da auf dem Titelblatt des Buches unter Koskys Namen „mit Rainer Simon“ steht, darf man wohl davon ausgehen, dass Kosky vor allem geredet hat. Was kein Nachteil ist. Wenn es dem Leser gelingt, die schreckliche Doppelpunkt-Genderei, quasi als Pendant für seinen (sympathischen) Dialekt umzudeuten und zu verrechnen, dann sind die auf 250 Buchseiten gebannten Plauderstunden das pure Lesevergnügen!
Die Geschichte seiner Familie, vor allem die Liebeserklärung an seine ungarische Großmutter, die seine Leidenschaft für Opern und Bühne in seiner Jugend in Australien nachhaltig entfacht hat, ist anrührend. Kosky schreibt aber nicht nur so frank und frei, wie dem plaudernden Barrie der Schnabel gewachsen ist. Er bringt prägende Schlüsselerlebnisse des Heranwachsenden immer wieder in Verbindung mit dem einen oder anderen Zugang, den der als gereifter und zunehmend erfolgreicher und anerkannter kreativer Künstler für seine Inszenierungen gesucht und realisiert hat. Diese exemplarische Selbstanalyse ist obendrein nachprüfbar. Lassen sich doch die von Kosky geschilderten Impulse für die konkreten szenischen Umsetzungen an seinen Inszenierungen begutachten. Meistens haben sich eigene Zuschauer-Eindrücke bestätigt; gelegentlich musste man sie aber auch korrigieren. Die Verknüpfung zwischen biographischen Initialzündungen, oft erst Jahrzehnte später nachvollziehbar, mit seinen Arbeiten rückt zugleich das ins Zentrum, was sein Leben zu einem Großteil ausmacht: Die Liebe zur Kunst und den Künstlern, die sie machen.
So hat Tschaikowskis „Eugen Onegin“, 2016 in Berlin inszeniert, ein eigenes mit „Tatjana“ überschriebenes Kapitel, in dem er auch der Homosexualität des Komponisten auf der Spur ist. Es folgt mit „Hans Sachs“ die Auseinandersetzung des jüdischen Künstlers Kosky mit dem Antisemiten und genialen Gesamtkunstwerker Richard Wagner. Und mit der Exklusivität der Einladung von dessen Urenkelin Katharina, sich als erster jüdischer Regisseur in Bayreuth überhaupt mit einer der deutschesten Opern auseinanderzusetzen. Was ihm ja fulminant gelang, indem er im ersten Akt als Komödie mit Wagner und Levy als Protagonisten im Hause Wahnfried begann, um dann im zweiten den antisemitischen Ungeist aus der Flasche zu lassen und schließlich dem metaphorischen Nürnberg in dem Saal den Prozess zu machen, in dem die Nürnberger Prozesse stattfanden.
Dass Kosky seinen Hannoveraner Ring selbstkritisch beurteilt, vielleicht sogar zu sehr, oder den von der Kritik geschmähten Wiener „Lohengrin“ für gescheitert hält, spricht für ihn. Auch wenn man diese rabiate Meinung so nicht zwingend teilen muss.
Miss Piggy aus der Muppets Show wäre sicher erstaunt, hier einem Kapitel über die Liebe zu Show und Musical als Namensgeberin zu dienen. Wie die reagieren würde, könnte Kosky sicher urkomisch inszenieren. Mit Kapiteln zu seiner Frankfurter „Salome“ im Lichtkegel als One-Woman-Show 2020 und der Amsterdamer „Tosca“ von 2022 geht es straff Richtung Lockdown-Gegenwart. Wobei sich in seinem Buch Sätze finden, die manchen vielleicht erstaunen werden: „Man kann nur verlieren, wenn man gegen die Grundparameter eines Stückes anarbeitet. Als Regisseur muss ich mit dem Narrativ mitgehen, die Struktur und die Anlage umarmen, Ich begreife mich vor allem als Interpret, obgleich ich auch ein kreativer Künstler bin.“
Im Zusammenhang mit seiner Inszenierung der „Dreigroschenoper“ am Berliner Ensemble 2022 betont er vor allem den Anteil des jüdischen Komponisten Kurt Weill am dauerhaften Erfolg dieses populären Werkes. Dass er bei der Gelegenheit dem ja immer politischen Brecht gleich noch ein Parteibuch der KPD in die Tasche schmuggelt, kollidiert mit dessen listig-raffinierter und oft zitierter Aussage vor dem McCarthy-Ausschuss, dass er nie Mitglied der Kommunistischen Partei war. Geschenkt – er hätte es sein können.
Ein Fazit: Koskys „Und Vorhang auf, hallo!“ ist wie eine seiner Inszenierungen: Spritzig und unterhaltend, sympathisch und frech. Kein bisschen langweilig. Ein echter Kosky eben.
Barrie Kosky: „Und Vorhang auf, hallo!“ Ein Leben mit Salome, Mariza, Miss Piggy & Co., mit Rainer Simon, Insel Verlag, Berlin 2023, 250 Seiten, 26,00 Euro.
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