26. Jahrgang | Nummer 11 | 22. Mai 2023

Falladas Brandenburg

von Jürgen Hauschke

Im Juni vor 25 Jahren wurde in Neuenhagen der Findling Verlag gegründet. Die in der Eiszeit ins heutige Brandenburg von den Gletschern transportierten harten Feldsteine stehen als Symbol „für Härte, Stabilität und Verlässlichkeit“, aber auch „für Geschichten und Geschichte“, so wirbt der Verlag in seiner Eigendarstellung. Nach einigen Jahren Zwischenstation in Kunersdorf – Chamisso lässt grüßen – siedelte er sich in Werneuchen an. Ostbrandenburg ist von Beginn an der Hauptanker des Verlages. Die überwiegend regionalgeschichtlichen Bücher zeugen gleichzeitig von der Liebe zur Region wie von der Liebe zu schön gestalteten Büchern.

Roland Lampe hat in den vergangenen Jahren immer wieder intensiv zu Dichtern gearbeitet, deren biographische Spuren im Land Brandenburg zu entdecken sind. Wen würde es verwundern, natürlich auch zu Theodor Fontane, aber auch zu weniger bekannten „Brandenburger“ Dichtern. Ein Ergebnis des Zusammenwirkens von Findling Verlag und Autor war Lampes Buch „Der Wald verwandelt sich in Traum“ über Christian Morgenstern in Birkenwerder. Das erschien 2019. Nun kam unlängst in gleicher Reihengestaltung „Paradies mit Brennnesseln“ über Hans Falladas biographische Bezüge in Brandenburg heraus.

Lampe beschreibt – selbst vom kundigen Leser kaum vermutet – zehn Orte in Brandenburg, in denen Spuren von Falladas Biographie zu finden sind. Neuenhagen ist sicher vielen Kennern Falladas bekannt, entstand doch hier hauptsächlich sein wohl bekanntester Roman „Kleiner Mann – was nun?“. Berkenbrück bei Fürstenwalde wird schon weniger bekannt sein. Das war Falladas Zwischenwohnort, bevor er sein Haus mit Grundstück in Carwitz erwarb. Carwitz liegt unweit von Feldberg, aber eben doch in Mecklenburg, wenn auch nur einen Steinwurf von Brandenburg entfernt.

Andere Brandenburger Orte sind: Neuglobsow am Stechlinsee – hier erlebte 1903 das Kind Rudolf Dietzen mit seinen Eltern Sommerferien und „vergnügte Tage“. Waldsieversdorf nahe Buckow in der Märkischen Schweiz – dort war das Märkische Sanatorium ein Aufenthaltsort Falladas im Mai und Juni 1933. Das war gleich nach der „Schutzhaft“ durch die SA, die eine Folge seines Versuchs in Berkenbrück Fuß zu fassen war. Grünheide – das ist der Wohnort des Verlegers Ernst Rowohlt an den Wochenenden, hier wurden Feste gefeiert und der Generalvertrag zwischen Verleger und Autor abgeschlossen. Zepernick – im Sanatorium Heidehaus verbrachte Fallada sieben Aufenthalte ab 1935. Lychen – wieder ein Sanatorium, das eine Rolle in Falladas Leben spielt. Hier in Hohenlychen hatte Fallada 1938 und 1939 eine Affäre mit der jungen Schriftstellerin Marianne Portisch. Dieses Mal war er nicht selbst Patient, sondern betreute im Auftrag des Verlages die angehende Kollegin. Templin – das Joachimsthalsche Gymnasium mit Internat war zwischen 1940 und 1945 Schulort und Aufenthaltsort vom Sohn Ulrich Dietzen („Murkel“). Schließlich Hermannswerder bei Potsdam – in der höheren Mädchenschule der Hoffbauer Stiftung lernte die Tochter Lore Dietzen („Mücke“) von 1942 bis 1943. Lampe beschreibt außerdem die Aufenthalte Falladas in Berlin – seine Wohnung in Moabit von 1930 bis 1932 sowie die letzte Wohnung Falladas bis zum tragischen Tod 1947 in Berlin-Niederschönhausen. Sehr interessant sind beispielsweise die Abschnitte zum Entbindungskrankenhaus von „Murkel“ in der Moabiter Turmstraße.

Zu Neuglobsow, Waldsieversdorf, Zepernick, Lychen, Templin und Hermannswerder hat Lampe viele Details recherchiert und beschreibt die Orte interessant aus historischer und aktueller Sicht. Den größten Raum nehmen die Lebensstationen in Neuenhagen und Berkenbrück ein. Über Neuenhagen wurde im Blättchen, Heft 21/2021, und im Salatgarten, Heft 2/2022, bereits berichtet.

Lampe unterlaufen in seinem Text aber leider mehrere Ungenauigkeiten. So lebte Fallada bereits ab Juni 1930 im kleinen Reihenhaus in Neuenhagen und nicht erst ab dem 5. August, wie nach altem Forschungsstand mehrfach im Buch angegeben. Dabei hätte es der Autor leicht besser wissen können: Lampe zitiert zum Beispiel einen Brief an die Schwester Ibeth vom 17. Juli 1930, der bereits im Neuenhagener Haus verfasst wurde. Selbst auf dem im Buch wiedergegebenen Foto von der Gedenktafel zu Fallada, die der Bildhauer Michael Klein 2017 geschaffen hatte, kann man unter anderem lesen: „Hier im ehemals Grünen Winkel Nr. 10 lebte mit Ehefrau Anna und Sohn Ulrich von Juni 1930 bis November 1932 der Schriftsteller Hans Fallada“, nun gut, man benötigt hier eine Leselupe. Auch die Hausnummer wird teilweise unkorrekt angegeben, erst nach einer Umnummerierung im Dezember 1930 lautet sie Nummer 10, davor hatte das Haus die Nummer 23. Das mag ein lässlicher Fehler sein. Ebenso: Die Gemeinde Neuenhagen eröffnete 2021 zwar die Hans-Fallada-Gedenkstätte im ehemaligen Wohnhaus, aber sie hat das Haus nicht erwerben können, wie Lampe schreibt, sondern nur gemietet. Das Haus gehört der Berliner Wohnungsbaugenossenschaft Stadt und Land, deren Vorgängerin die jetzt unter Denkmalsschutz stehende Neuenhagener Siedlung im Grünen Winkel, seit 1963 Falladaring, errichten ließ. Auch die endgültigen Romantitel „Bauern, Bonzen und Bomben“ und „Kleiner Mann – was nun?“ sind Findungen des Rowohlt-Verlages aus Marketinggründen und nicht die des Romanautors.

Zwei der Hauptquellen von Roland Lampe sind Falladas Bücher „Damals bei uns daheim“ von 1941 sowie „Heute bei uns zu Haus“ von 1943. Schade ist, dass Lampe die jeweiligen Untertitel der sogenannten Erinnerungen Falladas nicht wirklich ernst nimmt: „Erlebtes, Erfahrenes und Erfundenes“ sowie „Ein anderes Buch. Erfahrenes und Erfundenes“. Im Vorwort zum zweiten Buch schreibt Fallada durchaus zutreffend: „Denn hier ist niemand auf ‚Ähnlichkeit‘ porträtiert – nicht einmal der Autor.“ Noch deutlicher wird er in einem Brief an den Verlag vom 21. April 1942, während er das Buch schreibt: „Ich lüge manchmal schrecklich […].“

Beide Bücher sind von Fallada sehr unterhaltsam geschrieben, äußerst amüsant und fürs Publikum mit vielen Anekdoten gewürzt. Aber, sie sind als literaturhistorische Quellen nur mit größter Vorsicht zu gebrauchen. Hier hätte der Chronist zu Fallada in Brandenburg diese oft genutzten Quellen kritisch bewerten müssen. Da reicht es nicht, mitunter zu schreiben: „Auch hier war Fallada mit seiner Zeitangabe nicht ganz korrekt […].“

Roland Lampes Buch ist dennoch für den an Fallada oder an Brandenburg interessierten Leser sehr zu empfehlen. Es ist kurzweilig, lebendig und mitunter im leichten Plauderton erzählt.

Roland Lampe: Paradies mit Brennnesseln, Hans Fallada in Brandenburg, Findling Verlag, Werneuchen 2023, 192 Seiten, 18,00 Euro.