26. Jahrgang | Nummer 7 | 27. März 2023

Die Grünen und der Krieg

von Matthias Rude

Eines der Wahlversprechen der Grünen zur Bundestagswahl 2021 lautete: „Keine Waffen und Rüstungsgüter in Kriegsgebiete“. Inzwischen posiert die verteidigungspolitische Sprecherin der Partei, Sara Nanni, im Leoparden-Outfit unter anderem im Bundestag, um Kanzler Olaf Scholz zu Panzerlieferungen aufzufordern – und als der endlich weichgekocht ist, jubelt Katrin Göring-Eckardt: „The #Leopard’s freed!“. Man kann also vordergründig bei den Grünen eine 180-Grad-Drehung in kürzester Zeit beobachten, und medial ist das auch so kolportiert worden. So waren im letzten Jahr in der Presse Dinge zu lesen wie: „Ausgerechnet die Grünen werben am lautesten für Waffenlieferungen in den Ukraine-Krieg. Die Republik ist verblüfft: Aus den einstigen Friedensbewegten ist plötzlich eine Partei aus Militärfreunden geworden.“ Eigentlich handelte es sich eher um eine 360-Grad-Wende: In der sogenannten Regierungsverantwortung haben die Grünen wieder ganz zu sich selbst gefunden.

Tatsächlich verstand die Partei, die heute so etwas wie die ständige Vertretung der deutschen Rüstungsindustrie im Bundestag ist, sich einmal als parlamentarischer Arm der Friedensbewegung. In ihrem ersten Bundesprogramm von 1980 finden sich sehr starke antimilitaristische Positionen. Gefordert wurde unter anderem die sofortige Auflösung der NATO, der Abbau der Bundeswehr sowie die „Anprangerung aller Politiker“, die Waffensysteme unterstützen. Von den Gründungsgrünen wären Leute, die so auftreten wie zum Beispiel Anton Hofreiter derzeit, als politische Gegner geächtet worden.

Die NATO-Austritts-Forderung ist während der gesamten 1980er-Jahre aufrechterhalten worden. Noch in der NATO-Broschüre der Grünen von 1988 heißt es, der Austritt der BRD aus der NATO solle von Grünen „offensiv propagiert und seine Notwendigkeit aufgezeigt“ werden. Dies änderte sich mit der „Wende“ und der Vereinigung der westdeutschen Grünen mit dem ostdeutschen Bündnis 90. Die ehemaligen DDR-Bürgerrechtler waren unter den ersten in der Partei, die ihre Zustimmung zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr zum Ausdruck brachten. Die Partei auf NATO-Linie bringen sollte aber schließlich vor allem eine Gruppe von Karrieristen um Joschka Fischer, enttäuschte Ex-Linke, die nun doch noch an die staatlichen Tröge wollten. Von Anfang an waren sie auf ein Koalitionsbündnis mit der SPD fixiert – wohlgemerkt zu einer Zeit, als die Partei sich noch als „Antiparteien-Partei“ verstanden hat, die überhaupt keine Koalitionen eingehen wolle. Schon 1989 haben sich SPD-Spitzenpolitiker auf einem Schloss im Bergischen Land mit ausgesuchten Mitgliedern der Grünen getroffen, darunter Fischer, um die Möglichkeiten einer gemeinsamen Regierung auszuloten. Eigentlich hätte die Presse nichts davon erfahren sollen. Das tat sie dann aber doch. Und so konnte die Öffentlichkeit – und der Rest der grünen Parteimitglieder – schließlich nachlesen, dass Egon Bahr keinerlei Widerspruch von den anwesenden Grünen erntete, als er meinte, ohne ein Bekenntnis zur NATO gehe überhaupt nichts mit der SPD.

„Wir waren endlich angekommen“, so lautet der erste Satz des Buchs „Die rot-grünen Jahre“ von Fischer 2007. Nach der Bundestagswahl 1998 hatte er es geschafft: Er war Außenminister und Vize-Kanzler der BRD. Dafür hat er alle Ideale und Grundsätze, die die grüne Partei einmal vertreten hatte, verraten. Die Beteiligung am Kosovo-Krieg erwies sich für ihn als Schlüssel zur Macht. Dass das überhaupt so möglich war, hat mit der Situation der Linken nach der „Wende“ zu tun: Infolge der Niederlage des sowjetischen Realsozialismus sind damals nicht wenige deutsche Linke ins NATO-Lager gewechselt. Ihre Strategie war jetzt, westliche Kriegseinsätze als „humanitäre Interventionen“ zu kaschieren. Bis Anfang der 1990er-Jahre galt die Losung „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ als linker Minimalkonsens. Seitdem haben einstige Linke versucht, Antifaschismus und Antimilitarismus gegeneinander auszuspielen und so die Kriege des Westens als „antifaschistisch“ zu verkaufen.

Fischer war zugunsten seiner Karriere sogar dazu bereit, die Erinnerung an den Holocaust zu instrumentalisieren, um die Remilitarisierung deutscher Außenpolitik endgültig zu vollziehen. Um den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der NATO auf den Kosovo zu legitimieren, an dem deutsche Tornado-Kampfflugzeuge beteiligt waren, behauptete er, dass die Bomben ein „zweites Auschwitz“ verhindern sollten. Im April 1999 veröffentlichten Holocaust-Überlebende, darunter Esther Bejarano, einen Offenen Brief mit dem Titel „Gegen eine neue Art der Auschwitz-Lüge“ – sich als Begründung für Krieg auf Auschwitz zu berufen, sei „infam“. Heute ist bekannt, dass die Rechtfertigungen, die für den Krieg vorgebracht worden waren, vor allem aus Lügen und Manipulationen bestanden – so sind zum Beispiel „Konzentrationslager“ erfunden worden.

Der Kosovo-Krieg war, wie der Historiker Edgar Wolfrum in seinem Buch „Rot-Grün an der Macht“ 2013 schreibt, „ein Scharnier für alles, was danach kam, Afghanistan und kurz darauf der Irak. Ähnliches wäre für eine CDU-geführte Regierung weitaus schwieriger gewesen.“ Man darf heute auch nicht außer Acht lassen, dass die NATO mit ihrem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg 1999 einen Präzedenzfall geschaffen hat, auf den sich nun auch Russland beruft, etwa was die Anerkennung der separatistischen sogenannten Volksrepubliken angeht.Schließlich habe der Westen die Abspaltung des Kosovo von Jugoslawien ebenso gegen den Willen der Regierung in Belgrad erzwungen – oder, was die Argumentation angeht, dass es gegen Nazis zu kämpfen gelte. An den Reaktionen auf den Ukraine-Krieg offenbart sich die Doppelmoral des Westens und der Grünen: Wie kann man den Völkerrechtsbruch in dem einen Fall bis heute gutheißen und im anderen verurteilen? Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist der Vorschlag von Annalena Baerbock, ein „Sondertribunal“ gegen Putin einzuberufen. Fischer, in dessen Nachfolge Baerbock sich sieht, ist für seine Beiträge zu den illegalen Kriegen des Westens nie belangt worden. Nach dem Ausscheiden aus der Politik gab es vielmehr eine ganze Menge Berater- und Lobbyisten-Verträge, unter anderem mit RWE und BMW.

Zwischen 2005 und 2021 waren die Grünen nicht mehr an der Regierung im Bund beteiligt. Von der Oppositionsbank aus haben sie die deutsche Militärpolitik aber immer wieder lautstark kritisiert – und zwar als zu zurückhaltend. Als etwa der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) 2014 einen Einsatz deutscher Bodentruppen in Syrien ausschloss, beeilte sich Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt zu betonen, dass ihre Partei einen Bundeswehreinsatz gegen den IS unterstützen würde. So braucht sich eigentlich niemand zu wundern, wo die Grünen inzwischen gelandet sind: Der Spiegel bezeichnet sie als die „neue Hoffnung der Rüstungsindustrie“. Die Partei argumentiert dabei immer gern mit angeblichen Sachzwängen: Leider muss man jetzt doch ausnahmsweise Bomben werfen oder Waffen liefern – weil hehre Ziele es gebieten. Das hat geradezu Orwellsche Züge angenommen: Wenn ein Parteitag für einen Kriegseinsatz oder für Aufrüstung stimmt, kann man sich darauf verlassen, dass ein grüner Spitzenpolitiker sich direkt im Anschluss hinstellt und verkündet, man sei und bleibe für immer eine „Friedenspartei“. Die Medien helfen bei diesem Image, indem sie jedes Mal aufs Neue Verwunderung mimen und fragen, ob die Grünen sich jetzt von ihren pazifistischen Wurzeln und Idealen abwenden – was in Wahrheit natürlich längst schon passiert ist. Ewig lässt sich solch ein Schauspiel allerdings nicht inszenieren. Wenn Grüne wie Anton Hofreiter es offensichtlich gar nicht abwarten können, dass endlich wieder deutsche Panzer gegen Russland ins Feld rollen, müsste eigentlich dem letzten Grünen-Wähler, der noch an die grünen Sonntagsreden glaubt, ein Licht aufgehen.

Matthias Rude, Jahrgang 1983, studierte Philosophie und Religionswissenschaften, lebt in Tübingen. Von ihm ist kürzlich ein Buch zum Thema erschienen – Die Grünen: Von der Protestpartei zum Kriegsakteur, Verlag Hintergrund, Berlin 2023, 80 Seiten, 10,90 Euro.