Boris Pistorius hat immerhin „gedient“. Im Unterschied zu den lauten Kriegsschreiern der Grünen. So hat er sich innerhalb weniger Tage den Tonfall zugelegt, der militärische Entschiedenheit ausdrücken soll. Deutschland liefert jetzt Panzer an die Ukraine. Der Kanzler und sein Minister loben sich dafür. Zugleich werden aus verschiedenen NATO-Ländern deutsche Panzer eingesammelt, um sie für die Ukraine zu größeren Verbänden zu formieren. Es heißt jedoch weiterhin, damit würde Deutschland nicht Kriegspartei. Der Kanzler meinte am 25. Januar im Deutschen Bundestag die Zweifler beruhigen zu sollen und rief aus: „Vertrauen Sie mir, vertrauen Sie der Bundesregierung!“ Und wenn das Vertrauen gebrochen ist, muss zwar der Kanzler zurücktreten, aber die deutsche Bevölkerung bleibt auf den Kriegstrümmern sitzen.
Die USA liefern ebenfalls schwere Panzer. Andrij Melnyk, der nach seinen undiplomatischen Unverschämtheiten als ukrainischer Botschafter in Deutschland nicht mehr tragbar war, waltet nun als Vize-Außenminister in Kiew. Er nannte dies einen „Panzer-Doppelwumms“, nicht jedoch, ohne sogleich weitere Forderungen nachzuschieben: die Ukraine brauche nun Kampfflugzeuge, Kriegsschiffe und U-Boote. Angeblich sollen die deutschen Panzer besser sein als die russischen. Ausprobiert hat die deutschen Panzer in einem echten Kriegseinsatz bisher noch niemand. Westliche Panzer waren nur gegen ungleich schwächere Gegner wie im Irak eingesetzt. Mit russischen Panzern hatten es die Deutschen zuletzt 1945 zu tun.
Flankiert wird dieses Entscheiden der regierenden Sozialdemokraten durch ein Papier, das die „Kommission Internationale Politik“ des SPD-Parteivorstandes am 20. Januar 2023 veröffentlicht hat. Es heißt, es sei unter der Federführung des Parteivorsitzenden Lars Klingbeil erstellt worden. Damit wird versucht, Scholzens Panzer-Wumms eine Art konzeptionelle Grundlage zu geben. Scheinbar realistisch wird konzediert, wir stünden „am Beginn eines multipolaren Zeitalters“, auch brauche es „mehr Multilateralismus“. Gleichwohl sei die „eigene Stärke“ Grundvoraussetzung, um die deutsche Rolle in der Welt neu zu definieren.
So soll die von Scholz proklamierte „Zeitenwende“ mit sozialdemokratischem Inhalt gefüllt werden. Kern ist die Proklamation von „Führung“ und eines deutschen „Führungsanspruchs“. Auf dem Wunschzettel steht dann auch eine „echte Führungs- und Verantwortungspartnerschaft“ in den transatlantischen Beziehungen mit den USA. Als hätten die jemals ihre „Führung“ mit wem auch immer teilen wollen. Im Irak-Krieg von 2003 wurde Großbritannien in der kritischen Presse als „Pudel der USA“ bezeichnet. Offenbar will sich die SPD jetzt um diesen Posten bewerben.
Insgesamt kommt in dem Papier das Wort Führung öfter vor als „Zeitenwende“, und es wird verknüpft mit „Stärke“. Die deutsche Stärke sei eine Voraussetzung für den Frieden, allerdings nicht nur in Gestalt einer „resilienten und attraktiven Wirtschaft und Gesellschaft“, sondern definiere sich vor allem auch „über militärische Fähigkeiten“. Friedenspolitik, Diplomatie und Entwicklungspolitik werden zwar genannt, sie erscheinen jedoch im Kontext des Militärischen. Hauptproblem für Klingbeil und seine Texter scheint dabei vor allem zu sein, dass Deutschland diese „Führungsrolle annehmen“ müsse. Offenbar haben die „das Volk, den großen Lümmel,“ im Blick, das noch immer nicht so richtig kriegswillig ist.
Russland wird zurecht als „imperialistische“ Macht beschrieben. Auch hier aber erscheint wieder, wie jüngst in der Zeitschrift Jacobin festgestellt, der einstige analytische Begriff als Propagandafloskel der Regierung, um den Gegner zu beschimpfen. Insofern wäre hier anzumerken: Wenn schon Imperialismus, dann auch die USA, die EU und logischerweise Deutschland. Aber Selbstkritik ist Sache dieses Papiers nicht.
Vorn werden freundliche Bezüge zur einstigen Politik von Willy Brandt und Helmut Schmidt hergestellt. Im Russland-Teil des Papiers heißt es dann jedoch, Deutschland habe zu lange „auf eine kooperative Zukunft mit Russland“ gesetzt und es versäumt, den Blick auf das Trennende zu richten. Sicherheit in Europa dürfe also nicht mit Russland, sondern müsse gegen Russland organisiert werden. In diesem Sinne müsste Klingbeil Brandt nachträglich aus der SPD ausschließen. Der wollte die Verhandlungslösung im Zweifelsfalle als Modus vivendi, bei dem die nicht lösbaren Streitfragen zunächst ausgeklammert bleiben. Das hätte der Westen haben können, wenn spätestens Ende 2021 die USA Russland zugesichert hätten, dass die Ukraine nicht in die NATO aufgenommen wird und dort keine US-Raketen stationiert werden. Auch künftig verschwindet Russland – schon geographisch – nicht aus Europa, was schon Egon Bahr betonte.
So bleibt das Papier einseitig in einer Kriegslogik befangen. Klingbeils Papier stellt sich in die Tradition der Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten 1914. Am Ende wird es Verhandlungen geben müssen, wie es inzwischen auch aus Washington heißt. Wirkliches deutsches Interesse kann nur sein, einen Waffenstillstand und Verhandlungen zu befördern. Wir brauchen keinen Doppelwumms der Panzer, sondern einen Doppelwumms der Diplomatie. Am Ende des Kalten Krieges gab es eine „Koalition der Vernunft und des Realismus“, die Politiker, Militärs, Wissenschaftler und viele andere aus vielen Ländern Europas einschloss. Um die Gefahr einer weiteren Eskalation in Richtung eines Krieges zwischen dem Westen und Russland, der in einen Atomkrieg mündet, zu bannen, bräuchte es eine „Neue Koalition der Vernunft und des Realismus“.
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