Die politische und mediale Sprache der deutschen Obrig- und Öffentlichkeit befindet sich im infantilisierenden und skandalösen Sinkflug. Der Hort Weimarer Klassik mit höchster Sprachkultur umwirbt seine Kunden mit dem Trödelmarkt-Slogan „Schloss erzählen“. Weiter: Ein Sozialdemokrat mit parlamentarischer Tradition und Günter Grass im Rücken „kann Kanzler“. Und völlig weltfremd: die Gräuel des russischen Angriffs auf die Ukraine werden mit dem Motto „Wie fühlt sich Krieg an“ verkaufsgerecht bagatellisiert. Wozu werden da überhaupt noch Unwörter des Jahres kreiert? Doch keine vorlaute Panik, die deutsche Sprache ist nicht totzukriegen, allen durch Jahrhunderte gequälten Versuchen zum Trotz.
Als der untadelige emeritierte Marburger Literaturprofessor E. Theodor Voss vor zehn Jahren eine Sammlung mit Briefen und Gesprächen von Gottlieb Wilhelm Rabener herausgab, dankte er dem Verlag ausdrücklich für den Mut, sich des geistigen Erbes eines honorigen deutschen Finanzbeamten anzunehmen, der heute eigentlich kaum noch einen förderungsfreudigen Marktwert besitzt. Vielleicht erinnert sich dieser oder jener genderferne Schöngeist doch noch dankbar an den harmlosen Spötter mit längst vergangenen Kuriositäten. Bis in die verbalen Mahlsteine eines Markus Lanz schafft er es damit natürlich nicht mehr und in das auf seichten Wellen im Brackwasser plätschernde und Eitelkeit versprühende Riverboat will er nicht.
Dabei war Rabener ein sächsischer Aufklärer, wie er heute rund um Dresden bei keiner Manifestation mehr zu finden ist. Gottlieb Wilhelm Rabener ist 1714 auf dem Gut Wachau bei Leipzig geboren worden. Der studierte Jurist hat sein gesamtes berufliches Leben als Steuerbeamter in sächsischen Diensten verbracht, zuerst in Leipzig und dann in Dresden, wo er 1771 gestorben ist.
Der korrekte Finanzbeamte ohne Fehl und Tadel hat quasi ein Doppelleben geführt. Er ist durch die Satiren, die er bei offenbar nicht unerheblicher freier Kanzleizeit neben kurfürstlichen Steuer- und Pachtlisten geschrieben hat, sogar in die seriöse Literaturgeschichte eingedrungen. Rabener gilt darin gemeinhin als moderater und gütiger Satiriker, der sich auf die ironische Darstellung allgemein menschlicher Schwächen beschränkte und keinesfalls in der aufregenden Nacht, die nicht allein zum Schlafen da ist, die rebellische Schärfe politischer Polemik in verräucherten Kellergewölben gesucht hat: „Kleider machen Leute. In diesen drei Worten liegt eine unerschöpfliche Weisheit verborgen. Sie sind der Schlüssel zu den erstaunlichsten Begebenheiten des menschlichen Lebens, welche so vielen und den Philosophen am meisten unbegreiflich vorkommen…“ So mochte das sogar der zuständige Monarch! Es bedurfte bei Rabener nicht einmal der kapitalistischen Industrialisierung und Warenwirtschaft, dass Kalauer literarische Praxis wurden.
Zu seinen Lebzeiten ist Rabener dann auch ganz logisch ein viel gelesener und beim gebildeten Publikum beliebter Bestsellerautor gewesen – „Gänsehautfeeling, was macht das mit uns“, würden heute die jungen Volontärinnen vom Radio zwitschernd jubilieren, wenn sie schon einmal geistvolle Texte für nächtliche Kultursendungen rezensieren dürfen.
Sogar die strenge professionelle Literaturkritik ist damals menschlich mit Rabeners Texten umgegangen. Was unter den konkurrierenden Poeten mit ihren ästhetischen Prügeleien durchaus keine Selbstverständlichkeit war! Der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock schrieb 1747 über Rabener: „Der Thorheit Hasser, aber auch Menschenfreund.“ Johann Wilhelm Ludwig Gleim nannte den „frommen Rabener“ einen „Schrecken der Narren“. Gar so philanthropisch gab sich Rabener jedoch nicht: die literarischen Kritiker aßen ja auch oft genug nur ein hartes Brot. Und Satiren mussten ja nicht um jeden Preis witzig sein.
Bis 1755 hatte Rabener schon vier Bände mit Satiren gefüllt. Die Leiden des Siebenjährigen Krieges erlebte er in Dresden hautnah mit. Unter ihrem Einfluss empfand er eine ironische und sarkastische „Hochachtung“ vor dem aggressiven Preußenkönig Friedrich II.: „Ich bin durchaus muthig, wenn es mir einfällt, daß ich zum Besten meiner Muttersprache dem tapfersten und noch nicht überwundenen Könige dieser Zeit […] den deutschen Witz predigen soll.“ Als die Preußen 1760 sein Haus zerstörten schrieb Rabener voller Ironie: „Und die witzigen Manuscripte, welche nach meinem Tode sollten gedruckt werden, sind zum kräftigen Troste der Narren künftiger Zeit alle, alle mitverbrannt.“
Rabener hätte sich vielleicht verwundert die Augen gerieben, wenn er erlebt hätte, wie sich die besten Vertreter der deutschen Literatur und Geschichtswissenschaft, aber auch besonders militante Politiker – Goethe, Wieland, Schubart oder Gervenius – mit seinen Satiren auseinandergesetzt haben. Georg Gottfried Gervenius, einer der berühmten „Göttinger Sieben“, verurteilte Rabeners unpolitische Satiren rundweg als kontraproduktiv für gesellschaftliche Bewegungen. Gervenius urteilte natürlich aus der Sicht des Vorkämpfers für Freiheit und Liberalismus im gesetzlich manifestierten Rechtstaat.
Goethe brachte den Satiren Rabeners viel Verständnis entgegen und hob deren Einmaligkeit in der Zeit des Absolutismus hervor. Rabener wäre einem bestimmten Ideal gefolgt, von welchem aus er die in anhaltenden Kriegen verrohte Gesellschaft bekämpft hätte. Aus einer sittlichen Vorstellung wie die Welt sein sollte, meinte Goethe, entspringe Rabeners Satire. Rabener hätte ein klares Bewusstsein von der Niedrigkeit, Kleinlichkeit und Enge seiner auf Gewalt, Kriege und Machterweiterung fixierten Umgebung besessen. Da orakeln manche Modernisten, Goethe passe nicht mehr in unsere Zeit! Etwa der sprachliche Kümmerling „Schloss erzählt“?
Rabener hatte auch diesen Satz gemeißelt: „Deutschland ist das Land nicht, in welchem eine billige und bessernde Satire es wagen darf, ihr Haupt […] zu erheben“. Er warf mit seinen Satiren eine Frage auf, die immer wieder neu und aktuell gestellt werden muss: Was darf, kann und soll die Satire im politischen Leben der Deutschen bewirken? Die Antwort ist ganz einfach: Die besten aller Satiren sind immer noch die Realsatiren, mit der Politiker oder Journalisten aller Farben das Wahlvolk überschütten, das sich vor Vergnügen über die eigene Ohnmacht auf die Schenkel klopft oder Tränen der Rührung darüber vergießt, wie heroisches in grundlegende Entscheidungsprozesse involviert wird. Jeder, der einmal eine Nachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Heimatsenders MDR Thüringen gehört hat, ist überzeugt: So geht Demokratie mit geschmackvollem werbewirtschaftlichen Basisanspruch! Die Intendantin Karola Wille hatte ja versprochen, den Sender von seinem Schunkel-Image zu befreien. Das ist prächtig gelungen. Der Sender ist jetzt ein lupenreiner Verkaufs-Schunkel-Sender, ganz modern und von einer Höflichkeit, die beispielgebend sein kann.
Retour zu Rabener: Der schreckte vor derartig revolutionären Konsequenzen zurück. Er fühlte sich von allen Seiten bedrängt. Der Satiriker galt als böser Mensch: nicht bloß die Unwissenden, die Frömmler, die satten Tugendhelden oder gar die Patrioten – die feisten Bürger nennt sie Rabener –, griffen ihn an. Auch die Juristen, auch die Dichter, auch die Gelehrten klagten über Verleumdung. Aber gerade diese, heißt es in dem 1755 geschriebenen Vorbericht zum IV. Band, sind die ersten, welche die Satire verdammen; es müsste denn eine Satire aus dem Horaz sein, welche sie unmöglich gemeint haben kann. Das war und ist weder lau noch plüschig formuliert!
Was hätte er wohl zum Genderissimo in abartigen sozialen Netzwerken der Moderne gesagt? Vielleicht hätte er vorgeschlagen, beim Eiskunstlauf die wirbelnden zweigeschlechtlichen Paare langer smarter Kerls und ihrer ranken Mädelchen mit einem dreifachen Salchow über die Bande zu katapultieren, um endlich auch ein- oder allgeschlechtlichen Paaren die Weltbühne glitzernder Eisbahnen zu eröffnen. Vieleicht hätte er sich aber lieber erschüttert noch tiefer über die sächsischen Steuerlisten gebeugt, um dann „schlußendlich“ noch flugs in den Lobbyismus der Meißener Porzellanmanufaktur zu entkommen. Wer weiß das schon. Die Geschichte endet nie und bleibt immer offen. Rabener war ein kluger Mann und wusste wie seine komödiantischen antiken Vorgänger: „Es gibt nichts Unerträglicheres, als wenn Leute, die kaum über die Anfangsgründe hinausgekommen sind, sich den Anstrich von Gelehrsamkeit geben.“
Halten wir es wie Heinrich Spörl am Ende der „Feuerzangenbowle“: „Damit wollen wir uns bescheiden.“
Schlagwörter: Demokratie, Detlef Jena, Gottlieb Wilhelm Rabener, Satire, Sprachkultur