Das Autorinnenduo Ursula Keller und Natalja Sharandak hat in den vergangenen Jahren bereits einige bemerkenswerte Bücher vorgelegt, man denke an die Helena Blavatsky gewidmete Biographie (Blättchen 20/2013) oder an das Doppelporträt von Iwan Turgenjew und Pauline Viardot (Blättchen-Sonderausgabe 25.02.2019). In ihrem jüngsten Buch gehen sie nun der Frage nach, inwieweit Dostojewskis Leben und schriftstellerische Arbeit durch die zahlreichen Frauen beeinflusst wurde, die ihm in seinem Leben nahestanden.
Da haben wir die von ihm verehrte Mutter Maria Fjodorowna, die nach der Geburt ihres achten Kindes im Alter von nur 36 Jahren an Schwindsucht stirbt. Wir lernen Dostojewskis Nachbarin Nadja kennen, der er nach seinem Studium an der Petersburger Militärakademie begegnet, und wir erfahren einiges über die umschwärmte, von allen als Schönheit gepriesene und für ihn unerreichbare Awdotja Jakolewna Panajewa, Ehefrau des Schriftstellers und Literaturkritikers Iwan Panajew.
Dostojewski ist Anfang dreißig, als er nach Verbüßung einer vierjährigen Festungshaft 1854 nach Semipalatinsk kommt. Auf dem städtischen Marktplatz lernt er die damals siebzehnjährige Jelisaweta Nikolajewna Neworotowa kennen, die sich in ihn verliebt, unverheiratet bleiben wird und, wie die Autorinnen schreiben, „ihr Leben lang in der Erinnerung an die Freundschaft mit dem Schriftsteller“ lebt.
Das Garnisonsstädtchen Semipalatinsk ist aber auch der Ort, an dem er auf seine zukünftige erste Ehefrau trifft. Im Haus seines Bataillonskommandeurs lernt Dostojewski den Zollbeamten Alexander Issajew und dessen Frau Maria Dmitrijewna kennen. Die Ehe der beiden ist unglücklich, der Mann ein unverbesserlicher Alkoholiker. Der mit dem Schriftsteller bekannte Wissenschaftler Pjotr Semjonow-Tjan-Schanski erinnerte sich später: „Und da erschien unerwartet ein Mann mit feinen Wesensmerkmalen, […] wie es Fjodor Dostojewski war, in ihrer Welt. Es ist doch nur verständlich, dass sie einander rasch verstanden und näherkamen, dass sie warmherzig Anteil nahm an ihm und dass sie sich an den täglichen Gesprächen labte und in ihnen auflebte, während sie zugleich für ihn Zuflucht war in der Zeit seines freudlosen Aufenthalts in Semipalatinsk, einer Stadt, die keinerlei geistige Anregung bot.“
Nach längerer Krankheit stirbt Alexander Issajew am 4. August 1855. Maria ist jetzt frei und Dostojewski könnte sie um ihre Hand bitten – doch er ist nur ein rechtlos in der Verbannung lebender Soldat, der ihr kein angemessenes Leben bieten kann. Als er im November 1855 endlich wieder die Offiziersuniform tragen darf, macht er Maria umgehend einen Heiratsantrag. Sie gibt ihm zwar ihr Ja-Wort, zweifelt aber an ihrer Entscheidung, denn da gibt es einen Nebenbuhler: den jungen Lehrer Nikolaj Borissowitsch Wergunow. Nach einigem Hin und Her treten Fjodor Dostojewski und Maria Issajewa schließlich am 6. Februar 1857 in Kusnezk vor den Altar der Hodegetria-Kirche. Ihre Ehe dauert nur sieben Jahre und bleibt wegen Marias Tuberkuloseerkrankung kinderlos. „Sie war“, schreibt Dostojewski ein Jahr nach Marias Tod im März 1865, „die grundehrlichste, grundanständigste und großmütigste Frau, die ich in meinem Leben kannte“.
Doch in den Jahren seiner ersten Ehe kreuzten noch weitere Frauen seinen Weg. Nach der Entlassung aus dem Militärdienst und einem fünfmonatigen Aufenthalt im nordwestlich von Moskau gelegenen Twer war Dostojewski mit der schwerkranken Maria Mitte Dezember 1859 nach Sankt Petersburg zurückgekehrt. Nur Tage darauf begegnete er im Salon seines Bruders Michail der Schauspielerin Alexandra Iwanowna Schubert, Ehefrau seines Freundes und Arztes Stepan Janowski. Die zwei führten eine unglückliche Beziehung. Alexandra zog Dostojewski ins Vertrauen, der versuchte daraufhin zu vermitteln – erfolgslos für alle Seiten. So hieß es in seinem letzten an sie gerichteten Brief vom Juni 1860: „Das Zusammenleben ist für Sie beide eine Pein“, und im selben Atemzug stellte er klar, sie „leidenschaftlich zu lieben“, jedoch nicht verliebt zu sein.
Paris im Sommer 1863: Auf seiner zweiten Europareise trifft sich Dostojewski in der französischen Hauptstadt mit der fast zwanzig Jahre jüngeren, literarisch ambitionierten Apollinaria Prokofjewna Suslowa. Missverständnisse und Zurückweisungen bestimmen das Verhältnis zu ihr, es ist ein ständiges Auf und Ab. In einem Brief an ihre Schwester Nadeschda wird Dostojewski seine „ewige Freundin“ Apollinaria schlichtweg als „eine kranke Egoistin“ bezeichnen.
Wenige Monate nach dem Tod seiner Frau Maria traten zwei weitere interessante Frauen in Dostojewskis Leben. Zum einen ist das Marfa Brown. Die „Abenteuerin wider Willen“, die mit bürgerlichem Namen Jelisaweta Andrejewna Chlebnikowa hieß, war nach einem längeren Auslandsaufenthalt nach Russland zurückgekehrt und hoffte nun, im Literaturbetrieb Fuß fassen zu können. Über den Verlauf der Liaison ist nur wenig bekannt. Allerdings hat sich ein sehr offenherziger und unzweideutiger Brief erhalten, der auf den Vorschlag Dostojewskis, bei ihm einzuziehen, Bezug nahm. Darin erklärte Marfa: „Jedenfalls stellt sich die Frage, ob ich es vermag, Ihre Ansprüche in physischer Hinsicht zu befriedigen, und ob zwischen uns jene seelische Harmonie erwächst, von der die Fortsetzung unserer Bekanntschaft abhängt.“ Die andere Frau war das ganze Gegenteil von Marfa Brown. In der literarisch ambitionierten, aus gutem Hause stammenden Anna Wassiljewna Korwin-Krukowskaja glaubte Dostojewski anfangs, eine verwandte Seele gefunden zu haben. Rückblickend sollte er allerdings erklären: „Sie war eine junge Frau von hohen moralischen Eigenschaften, jedoch mit Ansichten, die den meinen diametral entgegengesetzt sind.“
Am 4. Oktober 1866 kurz vor 12 Uhr klingelte es an Dostojewskis Tür. Vor ihm stand Anna Grigorjewna Snitkina. Sie ist die Frau, der Dostojewski in den kommenden 26 Tagen den Text zu seinem Roman Der Spieler diktieren wird. Und sie wird die Frau sein, die er bereits vier Monate später zum Traualtar führt und mit der er bis zu seinem Tod zusammenleben wird. Als Dostojewski am 9. Februar 1881 stirbt, ist Anna 35 Jahre alt. Sie wird nicht noch einmal heiraten und ihr ganzes restliches Leben der Herausgabe und Verbreitung von Dostojewskis Werken widmen.
Man kann sich an der Stelle zu Recht fragen, was es mit dieser bloßen Aneinanderreihung von Namen auf sich hat. Die Antwort darauf geben die beiden Autorinnen: „Die Frauen, die [Dostojewski] im Laufe seiner Biographie innig verbunden waren, gelten als Prototypen der Frauengestalten in seinen Romanen.“ – Nach der Lektüre dieses Buches liest man Dostojewskis Werke sicherlich mit anderen Augen.
Ursula Keller und Natalja Sharandak: Dostojewskij und die Frauen, Insel Verlag, Berlin 2022, 317 Seiten, 24,00 Euro.
Schlagwörter: Fjodor Dostojewski, Mathias Iven, Natalja Sharandak, Ursula Keller