Meine Sammlung historischer Ansichtskarten von Rügen enthält zwei Scherzkarten, die sich überspitzt einem Thema widmen: der Verrichtung der Notdurft. Die im Mai 1923 aus Sellin verschickte Karte zeigt ein besetztes Toilettenhäuschen am Strand, vor dem sich verzweifelte Frauen stauen. Auf der zweiten Karte sind es Herren, die, in einem Hotel auf Zutritt zur einzigen Etagentoilette wartend, an die mit „00“ gekennzeichnete Tür hämmern.
Übertreibung hin oder her, wie gestaltete sich der Toilettengang bis zur Einführung der Wasserklosetts auf Rügen tatsächlich?
Meyers Großes Konversations-Lexikon definiert in seiner 6. Auflage von 1905–1909 die „für Aufnahme der menschlichen Exkremente“ bestimmte Vorrichtung oder den entsprechenden Raum als „Abtritt“. Der heute gebräuchliche Begriff „Toilette“ war zunächst Ausdruck für ein Tuch über dem Putztisch der Damen, dann für den Putz selbst sowie für das Anlegen der Bekleidung, ehe er „in neuerer Zeit“ neben der Bezeichnung des Wasch- auch die des „Bedürfnis“-Raumes umfasste. Dies hat nach Auskunft der Museumspädagogin des Jagdschlosses Granitz zur Folge, dass es nahezu unmöglich ist, bei den in alten Plänen verzeichneten Toilettenräumen ihre Hauses zu unterscheiden, ob sie als Wasch-, Putz- und Ankleideräume oder als „Bedürfnisräume“ dienten.
Die Rügener Abtritte (plattdeutsch Afftritt) bestanden mindestens bis zur Einführung der Wasserversorgung aus dem in einem Nachtschränkchen oder unter dem Bett versteckten „Nachtgeschirr“ (Nachttopf) oder dem am Haus, am Stallgebäude oder auf dem Hof befindlichen Plumpsklo. Der Inhalt des Nachtgeschirrs oder der Toilettenkiste des Plumpsklos wurde auf dem Dunghaufen oder als Dünger im Garten entsorgt. Vielfach wurden die Exkremente auch einfach vergraben, was bei späterer Gartenarbeit zu unangenehmer Überraschung führen konnte.
Plumpsklos als Originale oder Nachbauten befinden sich heute beispielsweise noch am Pfarrwitwenhaus in Groß Zicker, auf dem Hof des ehemaligen Küsterhauses (heute Schulmuseum) und am Breedehaus in Middelhagen. Vom Pfarrwitwenhaus wird berichtet, dass der nächtliche Gang zum Außenklosett im Winter durchaus unangenehm werden konnte. Heftiger Schneefall führte dazu, dass die Türen nur schwer oder gar nicht zu öffnen waren. Eisiger Wind machte den Aufenthalt auf dem Toilettensitz zusätzlich zur Tortur und hatte zur Folge, dass oft ein Zimmerklosett im Hause aufgestellt wurde.
Hatten die Hotels und Pensionen anfangs lediglich einen Abort im Erdgeschoss oder gar auf dem Hof, hielten bald weitere Klosetts Einzug. Von einer komfortablen Ausstattung konnte dennoch nicht die Rede sein: So wies das 1909 in Sellin von Carl Wallmann erbaute Haus „Eintracht“ mit 20 Zimmern und drei Kammern auf drei Etagen nur im Erdgeschoss und in der ersten Etage je einen Abort auf.
Einige Pensionen und Hotels ließen bald an den Giebelseiten oder Hintereingängen schmale, turmartige Anbauten hochziehen, die auf jeder Etage eine Toilette enthielten. Ein zusätzlicher Wasseranschluss in einer der Etagentoiletten bedeutete schon einen gewissen Luxus.
Besondere Anstrengungen mussten die Kur- und Badeverwaltungen unternehmen. Die im Ortsarchiv von Sellin aufbewahrten Unterlagen belegen das beispielhaft. Der 1899 von den Selliner Gemeindevertretern beschlossene Neubau der Badeanstalten sollte nach Verfügung des Landrats neben den jeweils 26 Badezellen für Damen und Herren auch die Einrichtung je einer Zelle mit Abort und Torfstreu umfassen. Zwischen Sonnenunter- und -aufgang sollten die angefallenen Fäkalien durch den zuständigen Pachtbauern nach dem Selliner Gutsacker gefahren und als Dünger ausgebracht werden. Für die Benutzung der „Closets“ mussten die Badegäste jeweils 5 Pfennige zahlen, die dem Badewärterpersonal für die Reinhaltung der Anlage zugutekommen sollten. Den Zuschlag für das Bauprojekt erhielt die Stralsunder Firma Voss & Schütz für ihren Kostenanschlag von 9768,70 Mark.
Später wurde beschlossen, vor jeder Badeanstalt an der Selliner Hochuferböschung eine Bedürfnisanstalt mit einem Pissoir und zwei bis drei Aborten auf einer zementierten Senkgrube zu errichten. Die zunächst als Fachwerkbauten vorgesehen Anstalten wurden aus Kostengründen nur als Holzbauten ausgeführt. Zwischen der Gemeinde und der wiederum bauausführenden Firma Voss & Schütz gab es einen regen Schriftwechsel, bei dem Voss & Schütz die notwendigen Unterlagen für die Einholung der bau- und landespolizeilichen Genehmigung durch hiesige Wasserbauinspektion einbrachten. Ein interessanter Schriftwechsel ergab sich auch mit dem „Amt Putbus Grafschaft zu Putbus“, das die grundherrschaftlichen Genehmigungen der Aborte von deren teilweiser Verlegung, der Anwendung von Torfstreu und der Sorge um unbedingt größere Sauberkeit abhängig machte. In letzterer Beziehung müssten die Badewärter und Badewärterinnen die erforderliche Aufsicht führen. Sollten sich dennoch Unzulänglichkeiten ergeben, werde jederzeit die Entfernung der Abort-Anlagen vorgenommen, ließ der Fürst zu Putbus mitteilen.
Außer derartigen internen Unterlagen ist in der Rügen-Literatur kaum Material zu den Rügener Bedürfnisanstalten zu finden. Eine der Ausnahmen stellt ein Prospekt der Badeverwaltung des Ostseebades Baabe dar, in dem auf die zu dieser Zeit (1914) „bereits zur Einführung gebrachte Klosettspülung“ verwiesen wird: Die Aufnahme der Fäkalien erfolge in gegen den Erdboden dicht abschließenden Gruben, deren Inhalt jedes Jahr vor und nach der Saison dicht abschließenden Transportbehältnissen zugeführt und als Dünger auf die Äcker zweckentsprechend aufgebracht und so weit mit Erde bedeckt werde, dass eine Luftverunreinigung nicht stattfinden könne.
Bei der Wasserspülung behalf man sich anfangs auf einfache Weise: Ein Bassin unter dem Dach wurde mit Wasser aus dem Hausbrunnen gefüllt, was anstrengende Arbeit an der Handpumpe und ständige Kontrolle des Füllstandes im Bassin erforderte. Eine derartige Einrichtung soll es auch auf dem Jagdschloss Granitz gegeben haben.
Die schrittweise Einführung der zentralen Wasserversorgung mit Hausanschlüssen in den Rügenbädern bedeutete nicht automatisch auch die Anbindung von Wasserklosetts. Nicht jeder konnte oder wollte sich derartigen Luxus sofort leisten, beließ es bei den Methoden Nachtgeschirr und Plumpsklo oder betätigte weiterhin die Handpumpe.
Ausnahmen bestätigten die Regel: Das auf dem Selliner Hochufer 1908 errichtete Logierhaus „Seeschloss“ von Wilhelm Richert verfügte zunächst über 34 Zimmer, Stall und Abortgrube. Als 1912 der Anschluss an das Selliner Hauswassernetz erfolgte, wurden auf jeder Etage zwei Klosetts mit Spülkasten und je ein P.P. Becken mit Spülung installiert.
Nun wurde es ein gern genutzter Werbeeffekt, auf die „Wasserclosets“ zu verweisen. So warb im Grieben 1910–1911 der Besitzer des Kurhauses von Sellin damit, dass „sämtliche Toiletten mit Wasserspülung“ ausgestattet wären.
Die „zurückhaltende“ Behandlung der rügenschen Bedürfnisanstalten in der Literatur findet ihre Fortsetzung bei den Ansichtskarten: Abgesehen von den Scherzkarten sind die Rügener Abtritte allenfalls zufällig zu sehen.
Schlagwörter: Dieter Naumann, Geschichte, Rügen, Toiletten