Im vorigen Blättchen hatte ich das Buch von Sonia Combe zu den – überwiegend jüdischen – kommunistischen Remigranten, die in die DDR kamen, besprochen. Dabei gibt es einige Punkte, die nachzureichen sind.
Methodisch vergleicht Combe Georg Lukács und Jürgen Kuczynski. Obwohl sie 20 Jahre trennen – Lukács wurde 1885 geboren, Kuczynski 1904 – rechnet die Autorin beide im Sinne von Karl Mannheim zu einer Generation. „Sie erlebten die gleichen grundlegenden Ereignisse: die Oktoberrevolution, den Machtantritt der Nazis, die Säuberungen Stalins, den Zweiten Weltkrieg und den Wiederaufbau ihres Herkunftslandes. Beide wurden Marxisten, Intellektuelle in der Partei, im Gegensatz zu jenen, die Intellektuelle der Partei waren und ihr Denken den Bedürfnissen der Partei anpassten.“ Sie folgert, weder der eine noch der andere „wurde ein Parteifunktionär, ein Apparatschik, ein russischer Begriff, der Misstrauen und Missfallen erzeugt, ebenso wie das deutsche Wort Funktionär. Dieser Begriff kommt dem des Beamten nahe, über den sich Max Weber äußerte.“ Für beide seien „weder Karrierismus noch Opportunismus prägende Eigenschaften“ gewesen.
Das ist gewiss zutreffend. Doch unterliegt die Autorin hier einem Irrtum, einer Vereinfachung. Zwischen dem Intellektuellen, der dem Grunde nach in erster Linie Gelehrter ist, also reiner Theorieproduzent, und dem Apparatschik, der sich nur als Rädchen im großen Getriebe der Partei, die „immer recht hat“, verstand, gab es den Intellektuellen als Kämpfer der Partei, oder den Partei-Avantgardisten, der zugleich Intellektueller in der Partei war. Das traf auf Personen wie Lenin und Trotzki oder Rosa Luxemburg und Gramsci zu. In einem Vortrag in den 1970er Jahren sagte Kuczynski, es gäbe drei Kategorien von marxistischen Denkern. In der ersten seien Marx, Engels und Lenin zu nennen, die meistens recht hatten und selten irrten. Zur zweiten gehörten Luxemburg, Bucharin und Gramsci, die bedeutende Positionen entwickelten und für eine Reihe von Irrtümern verantwortlich waren. Und zur dritten gehörten Eugen Varga, Georg Lukács und – mit Verlaub – er selbst, „die wichtige Fragen stellten“.
Persönlichkeiten, wie Lukács (gest. 1971) und Kuczynski (gest. 1997) waren in diesem Sinne nicht einfach intellektuelle Geistesarbeiter, die dies dem Wirken in den Niederungen des politischen Raums vorzogen, sondern „Parteiarbeiter“ in einem übertragenen Verständnis. Lukács wurde in der Ungarischen Räterepublik (1919) Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, war Volkskommissar (Minister) für Unterricht und war in den Abwehrkämpfen der Räterepublik gegen die bewaffnete Konterrevolution Politkommissar in der Ungarischen Roten Armee. Seine wichtige Schrift „Geschichte und Klassenbewusstsein“ (1922) war im Grunde eine Streitschrift in den damaligen Fraktionskämpfen innerhalb der Partei, die zugleich Anregungen gab für Gramcsi und den späteren westlichen Marxismus. Als er dann verstand, dass seine Positionen keine Mehrheit fanden und von der Komintern nicht gewollt waren, zog er sich aus der praktischen (Partei-)Politik zurück.
In seinem Vorwort für „Geschichte und Klassenbewusstsein“ aus dem Jahre 1967 schrieb er, dass er hier den Punkt erblickte, „wo meine Lehrjahre des Marxismus und damit meine Jugendjahre ihr Ende fanden“. Nach einem Aufenthalt in Berlin flüchtete er in den 1930er Jahren nach Moskau, überlebte die Stalinschen Säuberungen und kehrte 1944/45 nach Ungarn zurück, wo er Professor für Ästhetik und Kulturphilosophie wurde. Sein Hauptwerk aus jener Zeit war „Die Zerstörung der Vernunft“ (1954), in der er die deutsche bürgerliche Philosophie seit Hegel als geistige Voraussetzung für Irrationalismus, Faschismus und deutschen Imperialismus geißelte. Es war diese Schrift, die in der DDR damals besondere Resonanz fand. 1956 war Lukács für kurze Zeit wieder Mitglied des ZK und Kulturminister in der Regierung von Imre Nagy. Deshalb wurde er nach der Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes verhaftet, seiner Professur enthoben und aus der Partei ausgeschlossen. Es lebte aber weiter in Budapest, der Parteiausschluss wurde auf seinen Antrag hin 1967 aufgehoben.
Kuczynski war 1930 in die KPD eingetreten und 1930–1933 Wirtschaftsredakteur der Parteizeitung Rote Fahne. Nach illegaler Arbeit in Deutschland emigrierte er nach Großbritannien, arbeitete während des Krieges für den Geheimdienst Großbritanniens und der USA im „Strategic Bombing Survey“. Bereits 1945 war er wieder in Berlin, 1946 Professor an der Berliner Universität und Gründer und Leiter des dortigen Instituts für Wirtschaftsgeschichte. Zudem war er 1947–1950 Gründungspräsident der „Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion“, aus der dann die Massenorganisation „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ hervorging. Verschiedene Anfeindungen, auch unter dem Vorwand des „Revisionismus“ hatte er geschickt überstanden. Er war Autor von über 60 Büchern und hatte an mehr als 100 Publikationen mitgewirkt.
Kurzum, Lukács und Kuczysnki, beide aus wohlhabenden bürgerlichen jüdischen Familien, hatten sich aus Überzeugung für die Kommunistische Partei entschieden und blieben bis ans Ende ihres Lebens dieser Entscheidung treu. Das traf für viele der Menschen zu, deren Lebenswege Gegenstand von Combes Buch sind.
Darüber hinaus will ich auf zwei weitere Persönlichkeiten verweisen. Hans Schaul (1905–1988) kam ebenfalls aus einer bürgerlichen Familie, studierte Wirtschafts- und Rechtswissenschaft und erhielt 1932 die Zulassung als Rechtsanwalt in Berlin. Bereits damals hatte er sich der KPD zugewandt; die nahm ihn jedoch nicht auf, weil es besser war, wenn ein Anwalt, der vor Gericht die Partei vertritt, nicht Parteimitglied ist. Deshalb datiert sein offizieller Parteieintritt auf 1939. Wegen seiner jüdischen Herkunft erhielt er 1933 Berufsverbot, emigrierte nach Frankreich, war dann Spanienkämpfer, wurde 1939 in Frankreich interniert, war 1943 in einer britischen Arbeitskompanie in Algerien und arbeitete ab 1944 in Moskau als Lehrer an einer Antifa-Schule. 1948 kam er nach Ostdeutschland, war 1951–1956 Professor und Prorektor an der Hochschule für Ökonomie und 1956–1972 Chefredakteur des theoretischen Organs der SED, Einheit.
Im Sinne von Combe würde er eher als „Parteifunktionär“ gelten. Doch er war ebenfalls ein hochgebildeter Intellektueller. In seinen letzten Lebensjahren erzählte er im kleinen Kreis oft aus seinem Leben, meist von Berlin Anfang der 1930er Jahre und vom Spanienkrieg gegen den Faschismus. Wenn einer der Zuhörer sagte, das sei so interessant und wichtig, er solle das doch aufschreiben, lautete die sehr entschiedene Antwort: „Ich schreibe nichts auf!“ Er blieb bei dem Kodex des Schweigens, der im Grunde aus der illegalen Arbeit stammte. Als er 1988 beigesetzt wurde, lag auf dem Sarg die Fahne der Spanischen Republik, nicht eine rote oder eine DDR-Fahne. Das war bei früheren Spanienkämpfern üblich.
Die Schauspielerin Steffie Spira (1908–1995) wurde als Kind jüdischer Eltern geboren, beide waren Schauspieler, Schauspielerin wurde auch sie, lebte Ende der 1920er Jahre in Berlin, arbeitete an der Volksbühne, wurde Mitglied der KPD, machte zugleich politisches Apitprop-Theater. Nach der Machtergreifung der Nazis musste sie emigrieren, schlug sich mit ihrem Sohn in Paris durch, lebte mit ihrer Familie dann in Mexiko, wo sie auch mit Anna Seghers und anderen linken Künstlern befreundet war. 1947 kehrte die Familie nach Deutschland zurück und beteiligte sich am Aufbau der DDR, die ein sozialistisches Deutschland werden sollte. Sie wurde eine bekannte, mit ihren späteren Rollen in Unterhaltungsfilmen des DDR-Fernsehens auch populäre Schauspielerin.
Mitte der 1980er Jahre erzählte sie, dass sie auf einer Zusammenkunft der „Verfolgten des Naziregimes“ (VdN) Hermann Axen (1916–1992) getroffen hatte. Der war ebenfalls jüdischer Kommunist, hatte das KZ Auschwitz überlebt, war 1946 mit Erich Honecker einer der Mitbegründer der FDJ und zu jener Zeit Mitglied des Politbüros und der für die Internationalen Beziehungen zuständige Sekretär des ZK der SED, noch immer ein enger Mitstreiter Honeckers. Spira, die stets ein Sensorium für das hatte, was Menschen bewegte, sagte zu ihm, sie wolle mit ihm über die Lage im Lande reden. Auch dies passt wieder in Combes Befund, dass man innerhalb der Partei anders zu reden bestrebt war, als in der Öffentlichkeit. Axen gab eine bürokratische Antwort und bedeutete ihr, sie solle sich einen Termin in seinem Büro geben lassen. Das tat sie ganz entschlossen nicht: „Wenn der nicht mit mir reden will, dann nicht!“ Die Enttäuschung über die Herrschaft der Politbürokratie veranlasste sie zu ihrem berühmten Auftritt auf der Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz am 4. November 1989 mit dem Brecht-Zitat aus dem „Lob der Dialektik“: „So wie es ist, bleibt es nicht“ und der Forderung an das Politbüro: „Abtreten!“
Kommunistin blieb sie dennoch. 1990/91 wurde sie Mitglied des „Rates der Alten der PDS“. Dessen Aufgabe war es, den Vorstand der sich neuformierenden Partei zu beraten, an dessen Spitze Gregor Gysi stand – Sohn von Klaus Gysi (1912–1999), der Kommunist, Jude und in verschiedenen Funktionen für die DDR tätig war. Weitere Mitglieder des „Rates der Alten“ waren unter anderen Jürgen Kuczynski, der Historiker und frühere Direktor des Instituts für Internationale Beziehungen in Babelsberg, Stefan Doernberg, der Schriftsteller Harald Hauser, der Dichter Stephan Hermlin, der Filmregisseur Kurt Maetzig, der international bekannte Arzt Moritz Mebel und Ruth Werner, Schriftstellerin und geborene Kuczynski. Sie waren alle nicht nur in jungen Jahren Kommunisten geworden, sondern stammten aus jüdischen Familien.
Schlagwörter: DDR, Erhard Crome, Georg Lukàcs, Hans Schaul, Jürgen Kuczynski, Steffie Spira