Am Himmel Rosen? Das Firmament trägt Sonne, Mond und Sterne und andere geheimnisvolle Himmelskörper … aber Rosen, die zarten, duftenden Wesen? Dieser besondere Himmel wölbt sich auf der Ostseeinsel Hiddensee, in der Kirche des Ortes Kloster. Was hinwiederum ahnen lässt, dass vorzeiten ein Zisterzienser-Kloster hier seinen Sitz hatte und außerhalb der Mauern im Jahr 1332 eine Kirche erbauen ließ, die „Kirche vor dem Klostertor“. Sie sollte bei den Inselbewohnern die neue Glaubensrichtung des Christentums festigen helfen. – Bereits dreißig Jahre zuvor stand am südlichen Zipfel der Insel ein kleines Gotteshaus. Es blieb nicht erhalten, ebenso wenig wie das Kloster in Kloster.
In der Hiddenseer Inselkirche, obwohl am einstmaligen Standort der „Kirche vor dem Klostertor“ verblieben, ist durch zum Teil tiefgreifende Veränderungen kaum noch alte Bausubstanz nachzuweisen. – Der Kunstrichtung des Barocks folgend, erhielt der schlichte Sakralbau 1781 ein neues Bild. Durch die Jahre sorgsam gepflegt – trotz finanzieller Nöte – leuchtet es dem Besucher einladend entgegen. Die nunmehr vergrößerten Fenster verbreiten wohltuende Helligkeit, und die Farbgebung in Weiß und Blau stimmt freundlich. Die vorhandene Flachdecke wurde durch ein Tonnengewölbe ersetzt. Es sollte später die Überfülle der mehr als 1200 Rosen aufnehmen.
Seit dieser Zeit verschönt auch ein Kanzelaltar den Innenraum. Von der Decke schwebt der Taufengel, einer Galionsfigur ähnelnd. Der Beichtstuhl wird zur Sakristei und ist mit Kartuschen geschmückt, die Bibelworte enthalten, von Engeln getragen und mit Akanthusblättern umrankt. Die Schuke-Orgel lädt jeden Donnerstag zum Konzert ein. – Und über allem blühen Rosen auf himmelblauem Untergrund. Als Bouquets gebunden oder als einzelne Blüten ausgestreut. Kleine gelbe Blumen dazwischen, von denen man meint, jeder Windstoß, der zur weit offenen Tür hereinweht, könnte sie vom blauen Malerhimmel blasen.
Das große Rosarium ist in drei Felder unterteilt und von einer Girlande umwunden. Je länger man zu ihm hinaufschaut, desto mehr gewinnt man den Eindruck, gleich müsste eine Rose herunterfallen; vielleicht auf das schmuckvolle Taufbecken, oder in das blauweiße Gestühl. Liegt nicht ein feiner Duft in der Luft?
Wer das „Rosenwunder“ schuf, war der Maler Nikolaus Johannes Max Niemeier (1876–1934). In Hamburg-Altona gebürtig. Beginn des Studiums an der Hamburger Kunstgewerbeschule. Fortsetzung in Paris, wo er Anregungen vom Künstlerkreis um Cézanne, Renoir und Matisse erhielt. Weiterführung des Kunststudiums in Berlin. Atelier in der Albrechtstraße (Steglitz). Kriegsdienst und Verwundung im Ersten Weltkrieg. – Frühzeitige Besuche auf der Insel Hiddensee, die ihm zum Wunschort für Leben und Arbeit wird. – In Vitte bezieht Niemeier im Jahr 1919 das alte Fischerhaus am Norderende (Haus Nr. 90), erweitert und baut es um für seine künstlerische Tätigkeit.
Drüben in Kloster werden inzwischen seit Jahren Verhandlungen zur grundlegenden Renovierung der Inselkirche geführt, sie hat es dringend nötig. Aber das Geld, das Geld … Krieg und Nachkriegszeit bringen die Bemühungen zum Erliegen. So beschließt man, das Problem in Eigenverantwortung zu bewältigen. Der Maler, geschuldet seiner Liebe zur Insel, bietet an, die Ausmalung des Deckengewölbes zu übernehmen. Kostenlos. Frei aus der Hand und ohne Schablone. Das Angebot wird mit Freuden angenommen. Der Gutspächter gibt Vollmilch zur Herstellung der Kaseinfarben ohne Bezahlung ab. Die Hiddenseer Fischer tragen für das Malgerüst Pfähle ihrer Heringsreusen zusammen. –
Niemeier beginnt mit der Arbeit in den ersten Februartagen des Jahres 1922 und beendet sie am 12. März. Vier Tage danach wird eingeweiht. Die Begeisterung der Inselbewohner hielt sich in Grenzen. Statt eines strahlenden Sternenhimmels bekamen sie ein buntes Blumenbeet. Eine kritische Stimme ist belegt: „Früher seeg unse Kirche ut as en Schwinstall und nu süht se ut as en Danzsaal.“ – Dem Maler stand der Sinn nach einer anderen Deutung. Aus einem Brief: „Ich wünsche mir, dass mein Beispiel, Freude zu geben, […] Nachahmung finde, damit uns allen das an und für sich schwere Leben leicht und schön werde.“
Niemeier, viel begabt, der sich auch als Grafiker, Puppenspieler und Dichter verstand, findet in unseren Tagen mit Karl Huck, Schauspieler, Regisseur, Puppenspieler, Autor und Ideengeber, seinen Bruder im Geiste und in der Tat. – Karl Huck inszeniert für den „Rosenmaler“ eine Hommage. Unübertroffen gestaltet aus Lesung, Spiel, Musik, Anschauungsmaterial, Puppenspiel, Erzählung: „Max Nikolaus Niemeier oder die Liebe zu allem Schönen. Eine Hiddenseer Künstlerbiografie.“ Auf die Bühne gebracht in der „Figurensammlung Homunkulus“ in Vitte.
Noch erfüllt vom soeben Erlebten, gehe ich zum Niemeier-Haus am Norderende. Behäbig und im Anstrich der vertrauen Farben Weiß und Blau, steht es inmitten von Fliederbüschen und alten Bäumen. An der Hauswand ist eine Tafel angebracht: „Hier lebte 1919–1934 der Maler und Dichter M. Nikolaus Niemeier“
Mag der Himmel voller Geigen hängen – aber voller Rosen ist er noch schöner.
Unsere langjährige Autorin Renate Hoffmann beging dieser Tage ihren 90. Geburtstag. Die Blättchen-Redaktion verbindet ihren Glückwunsch mit herzlichem Dank für zahlreiche aufschlussreiche, ebenso feinsinnige wie kurzweilige Texte und Gedichte, ohne die unser Magazin sehr viel ärmer gewesen wäre. Möge Ihnen, liebe Frau Hoffmann, die Lust am Schreiben noch lange erhalten bleiben!
Schlagwörter: Hiddensee, Karl Huck, Kirche, Kloster, Max Nikolaus Niemeier, Renate Hoffmann, Rosenhimmel