25. Jahrgang | Nummer 18 | 29. August 2022

Neues aus dem Oberland

von Günter Hayn

Unlängst berichtete ich über das merkwürdige Geschehen um den Bad Lobensteiner Bürgermeister Thomas Weigelt. Das beschriebene Abwahl-Begehren scheiterte inzwischen. Am 17. Juli 2022 berichtete der MDR, dass zwar eine Mehrheit für die Abwahl Weigelts gestimmt habe, dafür wären aber die Stimmen von 30 Prozent der Wahlberechtigten Bad Lobensteiner nötig gewesen. Aufgrund der geringen Wahlbeteiligung sei das Quorum mit 23 Prozent zu niedrig gewesen. Weigelt blieb im Amt.

Jetzt macht der Mann wieder zumindest lokale Schlagzeilen. Am 20. August verhinderte der Bürgermeister auf dem Bad Lobensteiner Marktfest mit durchaus handfestem Einsatz, dass der von ihm höchst ungeliebte Journalist Peter Hagen von der Ostthüringer Zeitung Filmaufnahmen von ihm machte. Hagen kam zu Schaden, seine Ausrüstung wohl auch. Um keine Unklarheiten aufkommen zu lassen: Es handelte sich nicht um eine Privatparty, sondern um einen offiziellen Auftritt des wichtigsten kommunalen Würdenträgers auf einem der wichtigsten öffentlichen Feste der freundlichen kleinen Stadt im thüringischen Oberland. Der Vormittag des Festes sollte eigentlich beschaulich verlaufen. So wollte Moorprinzessin Bionda Börner mit anderen „regionalen Totalitäten“ auftreten und die Bad Lobensteiner Amtsmitarbeiter erhofften sich ebenso publikumswirksame Fotos wie im vergangenen Jahr. 2021 konnte Prinzessin Bionda noch im freundlichen Gespräch mit Bürgermeister Weigelt und Ministerpräsident Bodo Ramelow abgelichtet werden. Heuer kam alles ganz anders. OTZ-Reporter Hagen erwischte den Bürgermeister offenbar im geselligen Gespräch mit einem anderen Zeitgenossen, mit dem der nicht unbedingt medial dokumentiert werden wollte.

Der Pressemann war schon am Vorabend des Festes mit Weigelt aneinandergeraten. Im Lobensteiner Neuen Schloss hatte der zum Empfang geladen und Peter Hagen erkundigte sich nach der Rolle, die ein gewisser Heinrich XIII. Prinz Reuß zu Köstritz für Bad Lobenstein spiele. Statt eine Auskunft zu erhalten wurde er des Saales verwiesen. Heinrich Reuß dürfte den meisten politisch Interessierten nur im Zusammenhang mit den exorbitanten Restitutionsforderungen der ehemaligen Fürstenfamilie nach 1990 aufgefallen sein. Er vertrat als zweitältester Sohn die Mutter Woizlawa-Feodora – die alte Dame wurde über 100 und verstarb 2019 – vor Gericht. Man mag das Gewese um den Reußen-Spross als post-monarchistischen Mummenschanz mit folkloristischem Touch abtun. Das ist es aber nicht. Im Zusammenhang mit dubiosen „Reichsbürger“-Rundschreiben, die rund um Bad Lobenstein im Frühjahr auftauchten und von Leuten gezeichnet waren, die „im Besitz der Staatsangehörigkeit der Bundesstaaten Fürstentümer Reuß“ seien, zeigte sich der Prinz unwissend. Aber er erklärte der Ostthüringer Zeitung auf deren Nachfrage: „Wir sind dabei, die Verwaltungsstrukturen wieder herzustellen. Uns stehen ja Verwaltungsstrukturen aus dem Zeitraum 1918 zu, die uns durch den Krieg genommen worden sind.“

Verfassungsschützer aufgemerkt! Hier arbeiten Leute offenbar aktiv an der Wiederherstellung der Zustände des Deutschen Kaiserreiches, also der Beseitigung der grundgesetzlich fixierten Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland, geben das auch noch öffentlich zu und kaum einer schreit auf! Der „Reußenstein“ am Rennsteig in der Nähe von Rodacherbrunn, der an die „Übergabe des Reviers Grumbach an Heinrich XII. Prinz Reuss“ am 12. Dezember 1996 durch die bodenverwaltende Treuhand-Nachfolgerin erinnern soll, ist mehr als eine skurrile forstwirtschaftliche Landmarke. Die meinen das ernst, und es geht in der Konsequenz um andere Dimensionen als um einige borkenkäfergeplagte Waldflächen.

Am Tag nach dem Marktfest rollte ein Tsunami von Rücktrittsforderungen über den Bürgermeister hinweg. Nicht wegen Prinz Heinrich. Von Landrat Thomas Fügmann (CDU) über Ministerpräsident Bodo Ramelow (DIE LINKE) bis hin zu Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) reicht die Front derer, die im Vorgang auf dem Bad Lobensteiner Marktplatz einen nicht hinnehmbaren Angriff eines gewählten Kommunalbeamten auf die Pressefreiheit sehen. Weigelt ficht das alles nicht an. „Ich trete nicht zurück“, verkündete er am 22. August in einer Mischung von Unschuldsgehabe – er habe doch nur den auf ihn zustürmenden Reporter bremsen wollen – und Märtyrerpose.

Aus der Spur geratene Politiker treten in diesem Land nicht freiwillig zurück. Und kein Hauptstädter erhebe sich jetzt über die ostthüringer Provinz. Berlin hat aktuell den Fall Stephan von Dassel (Bündnis 90/Die Grünen), den viele versuchen, auf ganz kleiner Flamme zu kochen. Der gehört immerhin einer Regierungspartei an. Thomas Weigelt ist parteilos und hat seine Fans eher unter den Leuten, die der Innenminister von Nordrhein-Westfalen jüngst als „beinahe Staatsfeinde“ einstufte. Quod licet Iovi, non licet bovi … Auf gut Deutsch: Was dem Jupiter recht ist, ist dem Ochsen noch lange nicht billig.

Am selben Wochenende präsentierte sich übrigens ein gewisser Björn Höcke mit Teilen seines Hofstaates in einigen Orten des Oberlandes. Er erhielt durchaus freundlichen Zuspruch. Das muss keinen verwundern. Die AfD ist hier momentan die nach Umfragewerten stärkste Partei.