Planwirtschaftliche Modelle gelten gemeinhin als obsolet, da sie sich in der Praxis nicht bewährt haben. Marktwirtschaftliche Modelle dagegen stehen in hohem Ansehen, auch wenn ihre Leistungsfähigkeit mit jeder Krise fragwürdiger wird, sich die Fälle von Marktversagen häufen und inzwischen ernstlich daran gezweifelt wird, dass sie noch in der Lage sind, die Menschheit bei der Lösung der anstehenden Zukunftsfragen wirksam zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund erscheint es berechtigt, sich dem Verdikt jeglicher Planwirtschaft im ökonomischen Mainstream zu verweigern und stattdessen wieder an planwirtschaftliche Ansätze und Modelle zu erinnern. Eine gänzlich andere Frage ist es jedoch, wenn mit dieser Erinnerung an planwirtschaftliche Erfahrungen und Modelle die Erwartung an einen baldigen Übergang zum Kommunismus geknüpft wird. Die Herausgeber des Buches „Planwirtschaft“, Philip Broistedt und Christian Hofmann, folgen einer solchen Diktion, was ihrer Arbeit eine eindeutige ideologische Tendenz verleiht, die mancher begrüßen wird, andere aber eher kritisch beurteilen werden. Dies wird dadurch noch unterstrichen, dass sie bei ihrer Textauswahl nur solche Texte berücksichtigt haben, die eine kommunistische Tendenz aufweisen, während andere Entwürfe, insbesondere solche, die eine Einheit von Plan und Markt oder einen „Marktsozialismus“ anstreben, „bewusst“ beiseitegelassen wurden.
Den 15 Texten aus einem Zeitraum von über 150 Jahren haben die Herausgeber eine längere „Einleitung“ vorangestellt. Sie verfolgen damit das Ziel, den Leserinnen und Lesern ihre Auffassung zu Planung und Planwirtschaft vorzustellen. Zugleich dienen ihre Ausführungen der Kontextualisierung der ausgewählten Texte. Letzteres Anliegen erweist sich als zweckmäßig, da nicht davon auszugehen ist, dass die ausgesuchten Texte allen Leserinnen und Lesern bekannt sind. Erstere Zielstellung hingegen erscheint problematisch, da sie von einer bestimmten Haltung geprägt ist und insofern ideologisch auf die Rezeption der Texte Einfluss nimmt.
Die „Einleitung“ beginnt mit einem Bekenntnis der Autoren zu einer Wirtschaft ohne Wachstum. Wirtschaftswachstum deuten sie als eine Eigenschaft der kapitalistischen Produktion; es ist ihrer Meinung nach „konstitutiv im Kapital und damit letztlich in Geld, Wert und Ware“ angelegt. Mit dieser extremen Versimpelung ökonomischer Zusammenhänge verbauen sie sich nicht nur den Zugang zu einer wissenschaftlichen Erklärung der kapitalistischen Ökonomie, sondern auch jegliche Chance für ein Verständnis marktsozialistischer Reformprojekte, wie zum Beispiel des NÖS in der DDR der 1960er Jahre. Zudem gilt es zu beachten, dass Ware, Wert und Geld Kategorien sind, die keinesfalls mit „Kapital“ gleichzusetzen sind und deren Logik deshalb auch nicht identisch ist mit der Verwertungslogik des Kapitals.
Als Alternative zur Markt- und Geldwirtschaft favorisieren die Autoren die Arbeitszeitrechnung. Damit rekurrieren sie auf einen Ansatz, der in der bisherigen Theorie und Praxis immer wieder scheiterte und der sich mit Warenproduktion und Marktwirtschaft absolut nicht vereinbaren lässt. Für eine Aufhebung von Warenproduktion und Markt fehlten aber bisher die materiellen Voraussetzungen. Deshalb mussten alle derartigen Versuche (seit 1919) praktisch scheitern. Ob sich dies gegenwärtig oder in naher Zukunft anders verhalten könnte, wäre erst noch zu beweisen. Vermutlich aber stellt diese Idee auch heute bestenfalls so etwas wie einen Hoffnungsschimmer dar, ist sie also nicht mehr als eine bloße Utopie. Im hier vorliegenden Text wird jedoch anders argumentiert: Die Autoren plädieren für eine baldige Aufhebung der kapitalistischen Waren- und Geldwirtschaft und für die Einführung kommunistischer Verhältnisse, da sich nur so der „Drang des Kapitals zu unendlichem Wachstum“ stoppen ließe. Die bisher für die Ausrufung einer kommunistischen Gesellschaft als unerlässlich angenommenen Voraussetzungen, zum Beispiel die Produktion eines relativen Überflusses, die es allen Menschen erlauben würde, sich frei und allseitig zu betätigen und zu entwickeln, gelten hier dagegen nicht. Wesentlich sei jetzt der Gewinn an freier Zeit und die Einhaltung ökologischer Grenzen. Dies bedeutet eine beachtenswerte Akzentverschiebung!
Die nachfolgend abgedruckten 15 Texte stellen eine Auswahl dar. Wie jede Auswahl ist auch diese begrenzt und daher unvollständig, was nicht zu kritisieren ist. Einige der ausgewählten Texte sind, obwohl hinreichend bekannt, unverzichtbar. Über andere jedoch ließe sich streiten. Die Auswahl beginnt mit historischen Texten von Friedrich Engels und Karl Marx. Es folgen Aufsätze von Helene Bauer (1923) und der Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland) (1935), beides Texte, die sich gut in die Sammlung einfügen und wenig bekannt sind. Im zweiten Teil finden sich Arbeiten von Otto Neurath (1919), Nikolaj Bucharin und Alexander Schljapnikow (1920). Diese sind wichtig, weil sie die These stützen, dass der „Kriegskommunismus“ nicht nur ein Gebot der Stunde aus der Not heraus war, sondern zugleich ein Versuch, direkt zur Naturalwirtschaft und zur zentralen Planung, also zum „Kommunismus“, wie man diesen damals in Sowjetrussland verstand, überzugehen. Dies war mit katastrophalen Folgen verbunden, wie man weiß. Aus dieser Fehlentwicklung wurden Konsequenzen gezogen, auf die im Buch kurz eingegangen wird. Ob es aber zutrifft, dass „am Ende der Wert über den staatlichen Plan“ gesiegt habe, darf bezweifelt werden. Gerade in der Sowjetunion hat man sich nie von ideologischen Vorbehalten gegenüber den Wertkategorien und dem Geld frei machen können, so dass alle marktlichen Reformen „halbherzig“ blieben oder nicht konsequent zu Ende geführt worden sind. Das sah in Prag, Budapest oder Berlin freilich etwas anders aus, weshalb es sich gelohnt hätte, hierauf näher einzugehen.
Es folgen bekannte Texte von Rudolf Hilferding (1927) und W. I. Lenin (1921) sowie ein Auszug aus einem sowjetischen Lehrbuch von 1954. Sodann ein kurzer Auszug aus dem Hauptwerk von Leo Trotzki (1936). Darauf folgt eine kaum erklärliche Lücke: Die 1960er Jahre mit den Wirtschaftsreformen, den Überlegungen von Jewsei G. Liberman, Fritz Behrens, Oskar Lange und anderen, bleiben komplett ausgespart. Fortgesetzt wird die Auswahl mit drei keineswegs repräsentativen Außenseitern der ökonomischen Theorie, mit Wolfgang Harich (1975), Rudolf Bahro (1977) und dem Briten Pat Devine (1988). Beschlossen wird die Sammlung mit einem kleinen Text der beiden Schotten Paul Cockshott und Allin Cottrell (1993).
Wie oben bereits angesprochen, weist jede Auswahl naturgemäß Lücken auf. Das Fehlen jedoch der gesamten Diskussion zwischen 1952 und 1989 über eine Verbindung von Plan und Markt, über die effizientere Ausgestaltung der realsozialistischen Planwirtschaft, über Wirtschaftsreformen und so weiter ist mehr als nur eine Lücke. Ohne die Rezeption der Stalinschen Schrift „Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR“ von 1952, ohne die Erwähnung der Arbeiten der Reformsozialisten in der Tschechoslowakei und der DDR in den 1960er Jahren und ohne die Erfahrungen des „Prager Frühlings“ lässt sich die Geschichte der Planwirtschaft im Staatssozialismus (und theoretisch darüber hinaus) nicht korrekt nachzeichnen. Auch nicht in einer Auswahl, wie sie hier vorliegt. Dadurch gerät die Darstellung in eine Schieflage, die sie faktisch – zumindest teilweise – entwertet.
Philip Broistedt/ Christian Hofmann (Herausgeber): Planwirtschaft. Staatssozialismus, Arbeitszeitrechnung, Ökologie, Promedia 2022, Wien, 176 Seiten, 14,90 Euro.
Schlagwörter: Kapital, Marktwirtschaft, Philip Broistedt/Christian Hofmann, Planwirtschaft, Ulrich Busch