25. Jahrgang | Nummer 11 | 23. Mai 2022

Spielverbot auf Lebenszeit

von Thomas Behlert

Mittlerweile gibt es jede Menge Fußballbücher, von denen man sogar einige lesen kann. Auch die DDR wurde dabei nicht ausgespart. Beinharte Fans schrieben über ihre Mannschaften, nannten gar 111 Gründe, warum jeder gerade ihren Klub lieben muss. Oder einzelne Helden der ehemaligen DDR-Betriebssportgemeinschaften schilderten ihr sportliches Leben jenseits der Mauer, wie Joachim Streich oder der Thüringer Lutz Lindemann, der bis heute beim MDR sterbenslangweilige Spiele aus der Regional- und der 3. Liga schönredet.

Nun können alle unverwüstlichen Liebhaber des Ostfußballs ein weiteres Druckerzeugnis in ihr Fanregal legen. Natürlich erst, wenn die wirklich interessanten und lesenswerten 230 Seiten auf einen Ritt durchgelesen wurden. Und das ist machbar, denn jede Geschichte ist kurzweilig, spannend und mit bisher unbekannten Details aufgepeppt. So geht es auf 206 Seiten um verdeckte Transfergeschäfte im DDR Fußball, die verschämt neutral den Aufnäher „Delegierung“ bekamen und sich vom Verkaufsgeschäft der Profi-Ligen im Kapitalismus unterscheiden sollten.

Mannschaften wie Carl Zeiss Jena, Dynamo Dresden oder die BSG Lokomotive Leipzig hatten große Volkseigene Betriebe und fußballbegeisterte Kombinatsleiter hinter sich und konnten mit Wohnungen, Autos und Arbeitsstellen für die Ehefrauen punkten. Manchmal wurde sogar ein Koffer voller Geld auf den Nierentisch im Wohnzimmer gestellt. Leider funkten oft höher gestellte SED-Funktionäre dazwischen, die auf Antrag anderer Mannschaften die Delegierung verhinderten und dem Fußballer mit Spielverbot auf Lebenszeit drohten. So half es dann nicht, dass die Betriebsdirektoren mit der montäglichen Arbeitsmoral argumentierten, die durch Siege mit gewissen Spielern anstieg.

Anfang der 1970er Jahre wurde zum Beispiel Wolfgang Lischke zu Chemie Leipzig gelotst, weil deren Fanliebling, der Torwart Ralf Heine, aus politischen Gründen nicht mehr spielen durfte. Die Verantwortlichen von Lischkes Verein Dynamo Dresden waren mit diesem Schritt einverstanden, da der angestrebte Wechsel zum Bezirkskonkurrenten Stahl Riesa nicht zustande kam. Interessant ist Frank Baums Fall, der in der Reserve von Chemie Leipzig spielte und von Hans Meyer und Bernd Stange (Carl Zeiss Jena) Besuch bekam. Alles war geregelt, bis verschiedene Leipziger SED-Funktionäre davon Wind bekamen und Baum zurück zu Lok holten, was wiederum nicht das Schlechteste war: Er wurde Stammspieler und Mitglied der DDR-Nationalmannschaft.

Der Wechsel von Rüdiger Schnuphase 1976 berührte mich persönlich, denn er war bei meiner Mannschaft Rot Weiß Erfurt ein Star und ging doch zum Carl Zeiss Jena, auf Wunsch vom sehr umtriebigen Meyer und Georg Buschner. Später, mit 30 Jahren wechselte er zurück zu RWE, was mich beruhigte. Den Torwart Bernd Jakubowski zog es 1976 zu Dynamo Dresden, da er vor die Wahl gestellt wurde: Entweder zu den Gelbschwarzen wechseln oder den Wehrdienst ableisten. Mit Dresden erlebte er dann viele UEFA-Spiele, wie 1986 das Spiel gegen Bayer Uerdingen, als man nach einem 2:0-Hinspielsieg und einer 3:1-Führung noch 3:7 unterging. Hier musste Jakubowski schwer verletzt ausgewechselt werden und mit 33 Jahren seine Laufbahn beenden. Schuld daran war Wolfgang Funkel, der ihn nach einer Eingabe ohne Rücksicht auf Verluste wegrammte. Funkel, du Arsch.

Weiter wurden im Buch die interessanten Wechsel- und Delegierungsaktionen von Rainer Sachse, Harro Miller, Wolfgang Andreßen (Versetzungsbefehl), Ralf Heine, Joachim Streich, Lutz Lindemann und Perry Bräutigam (Konspirativer Besuch) ausgebreitet. Alles liest sich wie ein gutes Märchenbuch. Mittlerweile sind die jetzigen Ablösesummen astronomisch und kein Fußballer wechselt für einen Kleinwagen oder füreine gute Arbeitsstelle für die Frau den Verein.

Um solch ein Buch machen zu können, muss man tief in der Materie stecken, was der Fall ist, denn Franz Müller spielte einstmals für Chemie Leipzig, schreibt für eine Leipziger Tageszeitung und veröffentlichte vor einiger Zeit die Fußballbücher „Freigespielt“ und „Die im Osten spielten“. Jürgen Schwarz wiederum veröffentlichte mehrere Bücher über seinen Heimatverein Dynamo Dresden. Mit Letzteren hat er als Fan ein schweres Los, denn der Abstieg droht trotz großer Anhängerschar und angeblich gut eingekaufter Spieler. 

Frank Müller / Jürgen Schwarz: Die Delegierten, Verlag neues leben, 2022, 230 Seiten, 18,00 Euro.