Hermann Budzislawski war von 1934 bis 1939 Chefredakteur der Exil-Weltbühne, in der DDR dann nochmaliger Chef des Blattes von 1967 bis 1971. Heute ist er (fast) vergessen. Er wurde vergessen gemacht. Wolfgang Benz erklärte das langjährige Verschweigen auch dieses Mannes auf einer Buchpräsentation des Aufbau-Verlages mit „30 Jahren des absoluten Hochmutes gegenüber Intellektuellen in der DDR, die einfach als Knechte der SED abgetan wurden“. Daniel Siemens hat jetzt die Biografie dieses bedeutenden deutschen Linksintellektuellen und umtriebigen Journalisten vorgelegt. Sein Buch bricht eine Eisdecke auf. Zudem schreibt er aus einer sehr vorurteilsfrei-analytischen Autorenposition heraus und mit für Historiker ungewohnt flüssiger Feder.
Siemens schildert die Kindheitsprägungen des aus kleinbürgerlich-jüdischen Verhältnissen stammenden Budzislawski – der ständig im Raume hängende Wurstgeruch, der Vater war Inhaber einer kleinen Fleischerei, verfolgte den Jahrhundertjournalisten wohl ein Leben lang. Er setzt sich mit dessen nach dem Zivilisationsbruch des nazistischen T4-Programms nur noch mit Erschrecken zu lesender Dissertation zur „Eugenik“ (1923) auseinander. Und er erzählt von den ersten, überhaupt nicht geradlinig verlaufenden journalistischen Schritten in der Weimarer Republik.
Budzislawskis wohl größtes Verdienst ist die Rettung der Weltbühne nach ihrem Verbot in Deutschland am 13. März 1933. Das ist ein erstaunlicher und mythenumwobener Vorgang. Er selbst hat einiges zur Vernebelung beigetragen. So behauptete er in den 1960ern, Edith Jacobsohn habe ihm im Sommer 1932 die Leitung des Blattes angetragen. Siemens hält das für unwahrscheinlich. Budzislawski habe zu diesem Zeitpunkt „noch nicht eine Zeile für die Weltbühne geschrieben“. Er stellt das Ringen des künftigen Chefredakteurs und Eigentümers um die in Prag seit dem 20. April 1933 erscheinende Neue Weltbühne detailliert und in der Literatur wohl erstmals auf eine solide Quellenbasis gestützt dar. Das ist immer noch notwendig. Allein die Tatsache, dass es zwei, einen Nachfolgeanspruch im Geiste erklärende Zweiwochenschriften unter anderem Titel – Ossietzky und Das Blättchen – gibt, sagt etwas über die Belastbarkeit des juristischen Eises, über das man sich in Sachen Weltbühne immer noch bewegt. Auch wenn der Schutz des Titels aufgrund der Nichtnutzung durch den gerichtlich festgesetzten Eigentümer inzwischen obsolet sein dürfte… Siemens widmet der unappetitliche Züge aufweisenden Rechte-Auseinandersetzung nach Hermann Budzislawskis Tod einen umfangreichen „Epilog“, der einigen Nebel beseite schiebt.
Budzislawski ist mitnichten der unbefleckte Heros in der Angelegenheit. Allein die Art und Weise, wie der bis dato kaum auffällige Wirtschaftsjournalist Anfang 1934 die Übernahme der Chefredaktion in Prag durch geschicktes Ausbooten Wilhelm S. Schlamms betrieb, wie er sich in den Besitz des „Blättchens“ brachte, hinterlässt beim Lesen einen schalen Beigeschmack. Noch 1962 schrieb Kurt Hiller von der „Machtergreifung Doktor Budzislawskis“. Die Verletzungen waren tief. Auch bei Schlamm, – der dank der Hilfe Milena Jesenskás 1938 in die USA fliehen konnte und zum wütenden Antikommunisten mutierte. Wer nur ein wenig in den Biografien des deutschen Exils nachliest, weiß um die erbitterten Machtkämpfe, gerade auch auf dem linken Flügel. Die Geister schieden sich an der Politik Stalins. Daniel Siemens weist darauf hin, dass das Verschweigen der Moskauer Prozesse in der Neuen Weltbühne schon ein Zeichen der Distanzierung gewesen sei. Budzislawski setzte auf Autoren wie Ulbricht, Franz Dahlem und Wilhelm Koenen. Für Leo Trotzki war kein Platz mehr, schreibt Siemens. Einmal allerdings beweist auch Hermann Budzislawski Courage nicht nur gegen Hitler, sondern auch gegen Stalin. Er stellt sich gegen den Hitler-Stalin-Pakt, der über Nacht alle Volksfrontbemühungen über den Haufen warf und zu einer entsetzlichen Belastung des Widerstands gegen den deutschen Faschismus wurde. „Die Kommunisten waren keine Verbündeten mehr. […] Es war der komplette Zusammenbruch unserer Politik.“ So seine Bewertung noch während des Krieges. Am 30. August 1939 verbietet die französische Regierung neben den Zeitungen der Kommunistischen Partei auch die Neue Weltbühne.
Es ist unlauter, da postum richten zu wollen. „Und wem steht es an, aus der komfortablen Position des in Frieden lebenden Nachgeborenen über die Lebensversuche eines solchen Menschen zu urteilen?“ (Daniel Siemens) Die Neue Weltbühne jedenfalls wurde unter Budzislawski zu einer der wesentlichen Plattformen des intellektuellen Austausches des deutschen Exils. Sie wurde zum „Sammelbecken der antifaschistischen […] Schriftsteller“, wie er selber später formulierte. Und das mit einem unter den widrigen Existenzumständen kaum erwartbaren, in der Hauptsache wohl Heinrich Manns Mitarbeit zu verdankendem hohen intellektuellen Niveau.
Atemberaubend liest sich das Kapitel über das US-amerikanische Exil des Ehepaares Budzislawski. Nach abenteuerlicher Flucht über die Pyrenäen und Lissabon treffen Hanna und Hermann Budzislawski am 13. Oktober 1940 in New York ein. Im Unterschied zu vielen anderen hat der anglophile Journalist keine allzu großen Schwierigkeiten, im eigenen Beruf in den Staaten Fuß zu fassen. Natürlich kommen Freunde und König Zufall zu Hilfe. Ab Sommer 1941 ist er unverzichtbarer Mitarbeiter – ausgestattet mit opulentem Gehalt und diversen gesellschaftlichen Privilegien – der Star-Journalistin Dorothy Thompson. Mit Thompson, der „einflussreichsten Frau in den USA nach Eleanor Roosevelt“ – so das Time-Magazin im Juni 1939 – verband die Budzislawskis eine offensichtlich tiefe persönliche Zuneigung. Seine Zuarbeiten, Analysen und wohl auch Artikel wurden für Thompson fast unverzichtbar. Siemens berichtet von engen Kontakten Budzislawskis von 1941 bis 1945 selbst bis in das Weiße Haus. Nach dessen eigenen Erklärungen hätten Thompson und er zu den Redenschreibern Roosevelts im Wahlkampf 1944 gehört. Ich halte das für glaubwürdig. Der mental auf der Seite der Kommunisten stehende Hermann Budzislawski – 1944 musste er sich öffentlichen Anschuldigungen Ruth Fischers erwehren, er sei ein Mann Moskaus – kam der politischen Macht in den Vereinigten Staaten sehr nahe. Er hatte Einfluss und übte diesen auch aus. „… und das als in den USA nach wie vor nur geduldeter Flüchtling, der erst vor Kurzem ins Land gekommen war und dessen Namen kaum jemand kannte“, wundert sich selbst sein Biograf.
Der Bruch mit Dorothy Thompson passierte im Sommer 1945. Es war gleichsam eine private Vorwegnahme des Kalten Krieges. Die Positionen der beiden in Hinblick auf einen nach ihrer Einschätzung bevorstehenden Krieg zwischen der Sowjetunion und den West-Alliierten waren unvereinbar. Es waren solche Ereignisse – und schlussendlich die Hexenjagd der McCarthy-Ära, die auch die Budzislawskis zur Rückkehr nach Deutschland bewogen. „Fast war es wie eine neue Emigration aus dem gefährlich gewordenen Asylland.“ Das schreibt er kurze Zeit nach der Ankunft in der Sowjetischen Besatzungszone in der Zeitschrift Ost und West.
Budzislawski träumte von der Übernahme der Chefredaktion der im Juni 1946 gegen seinen Einspruch und den Peter Jacobsohns in Ost-Berlin neu gegründeten Weltbühne. Das verhinderte Walter Ulbricht. Budzislawski wird nach Leipzig abgeschoben und mit einer Professur für „Internationales Pressewesen“ entlohnt, die mit erheblichen materiellen Privilegien versüßt wurde. In der Folge wurde er Chef der journalistischen Fakultät der Leipziger Universität – misstrauisch von den eigenen Genossen beäugt und zugleich hofiert, von seinen Mitarbeitern geachtet und verachtet zugleich. Zu universitärer Kärrnerarbeit hatte der Journalist ein gebrochenes Verhältnis.
Daniel Siemens beschreibt den „jahrelangen fakultätsinternen Machtkampf (mit) den post-stalinistischen Hardlinern“ en détail. Zum 1. Januar 1967 wird Hermann Budzislawski zwangsemeritiert. DDR-Insidern dürfte es bei der Lektüre dieser Abschnitte noch post festum übel werden. Dass er dann für viereinhalb Jahre die Weltbühne übernehmen darf, war allenfalls ein Trostpflaster. Auch Budzislawski war nicht mehr in der Lage, der Zeitschrift die einstige Reputation zu verschaffen. Es war ein Parteiblatt der SED – und das bis zum Ende der DDR. Auch wenn es ein schillernder Exot in der trüben Presselandschaft der DDR war.
Siemens schrieb nicht nur eine Biografie Hermann Budzislawskis, er legt mit seinem Buch auch ein Stück Pressegeschichte auf den Tisch. Mit seinem Helden hat er es sich nicht leicht gemacht: „Seine Geschichte zeigt, dass mit eindeutigen und rasch dahingeworfenen politischen Etikettierungen wenig gewonnen ist, wenn es darum geht, nicht nur der Lebensleistung eines Menschen gerecht zu werden, sondern auch die Chancen, Zwänge und Enttäuschungen des 20. Jahrhunderts zu verstehen.“
Daniel Siemens: Hinter der Weltbühne. Hermann Budzislawski und das 20. Jahrhundert, Aufbau, Berlin 2022, 413 Seiten, 28,00 Euro.
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