Ein altes Kosakenlied mit zeitloser und tiefer Symbolik. Ohne die Lieder der Kosaken, ohne deren Säbel und Hetmane, führt kein Weg zum realistischen Verständnis der überaus komplizierten ukrainischen Geschichte. Der russische Komponist Peter Tschaikowski hat in der Oper „Masepa“ das Schicksal des Kosakenhetmans Iwan Stepanowitsch Masepa (gestorben am 22. September 1709 im moldauischen Bender) und dessen Verhältnis zum russischen Zaren Peter dem Großen in das dramatische Gleichnis von der zerstörerischen Kraft einer unvergleichlichen Liebe gekleidet. Tschaikowski stützte sich auf Alexander Puschkins Poem „Poltawa“. Darin hatte Puschkin an die große Schlacht Peters gegen Schwedens König Karl XII. im Jahre 1709 erinnert und den – aus russischer Sicht – Verrat Masepas an Peter dem Großen verurteilt. Der historische Konflikt des Zaren mit Masepa ist ein Sinnbild für die endlosen Verstrickungen russischer, polnischer und ukrainischer Geschichte, deren Unkenntnis es vielen nach realistischer Aufklärung suchenden Menschen schwer macht, hinter die Stereotype des offiziellen politisch Vokabulars zu schauen.
Iwan Masepa, 1639 nahe Kiew als Sohn eines ukrainischen Adligen geboren, studierte an der griechisch-orthodoxen Akademie in Kiew und am katholischen Jesuitenkolleg in Warschau. Im Dienste des polnischen Königs Johann Kasimir bereiste Masepa Westeuropa. Nach einer mutmaßlichen Liebesaffäre mit der Gattin eines polnischen Magnaten vertrieb man ihn in die Ukraine und Masepa schloss sich den Kosaken an, wechselte vom rechten auf das linke Ufer des Dnjepr – quasi von Polen nach Russland – und wurde schließlich 1687 zum Hetman der Kosaken links des Dnjepr gewählt.
Damals neigte sich die Zeit der freien, brüderlichen und ungebärdigen Kosaken, wie sie Ilja Repin in dem Bild „Die Saporoger Kosaken schreiben dem türkischen Sultan einen Brief“ gemalt hat, bereits ihrem Ende zu. Masepa förderte die soziale Differenzierung des Kosakenadels, stärkte die orthodoxe Religion, festigte die militärische Disziplin und stieg mit dem Privatbesitz von 20.000 Landgütern zu einem der reichsten Männer Europas auf. Und er verbündete sich mit dem jungen russischen Zaren Peter I. Gemeinsam stürmten sie gegen die osmanische Festung Asow am Schwarzen Meer. Es entsprach auch noch Peters machtpolitischen Intentionen, dass Masepa 1703 die Ukraine rechts des Dnjepr mit seinen Kosaken besetzte und im Kampf gegen Polen das 1654 gegründete Hetmanat der ukrainischen Kosaken wiedererrichtete. Das Hetmanat war vor dem 20. Jahrhundert eine der wenigen staatlich strukturierten Herrschaftsorganisationen in der ukrainischen Geschichte und Masepa wird dafür vom ukrainischen Volk ein historischer Ehrenplatz eingeräumt.
In Moskau sah man das kritischer. Peter vertraute zwar seinem Freund Masepa noch. Die „jungen Adler in Peters Nest“ fürchteten nicht etwa den Machtzuwachs Masepas. Die Ukraine sollte vielmehr keine Privatkriege gegen Polen oder Tataren zur Wahrung der eigenen Autonomie führen. Sie sollte Russlands „Nordischen Krieg“ gegen Schweden unterstützen, damit Peters Reich zur europäischen Macht avancieren konnte. Außerdem stand die herkömmliche Kriegstaktik der Kosaken, den Gegner wie ein Steppensturm frontal anzugreifen und niederzuwalzen, Peters Plänen entgegen, die Streitkräfte nach westeuropäischem Vorbild zu modernisieren. Er unterstellte die Kosakenregimenter russischen und deutschen Offizieren und die nahmen damit den wilden Kriegern viel von ihrer gefürchteten Kampfmoral.
Masepa suchte nach Wegen, sich aus der russischen brüderlichen Umarmung zu lösen. Er wurde bei Schwedens König Karl XII. fündig. Sie schlossen ein Bündnis zu beiderseitigem Nutzen: Masepas Kosaken stärkten die schwedische Armee, die Ukraine sicherte die Fourage der Nordmänner und die garantierten dafür die Unabhängigkeit des ukrainischen Hetmanats.
Als Peter vom Übertritt Masepas zu den Schweden erfuhr, ließ er Baturyn, die Hauptstadt des Hetmanats, stürmen und an die 6000 Einwohner niedermetzeln. Er ließ Iwan Skoropadskyj zum neuen, ihm ergebenen Hetman wählen. Die russischen Soldaten wüteten weiter derart, dass sich außer den Saporoger Kosaken in der Ukraine bald niemand mehr traute, Masepa zu unterstützen. Dem schwedischen protestantischen König misstraute man ohnehin. Statt der versprochenen 100.000 Krieger bot Masepa am Ende magere 7000 Kosaken auf. Als es am 28. Juni 1709 beim ukrainischen Poltawa zum großen Treffen kam, folgten gar nur noch 3000 Kosaken Masepa, die anderen fochten derweil wieder für Peters Ruhm in der Geschichte.
Karl und Masepa verloren die Schlacht von Poltawa. Unter Mühen gelang ihnen die Flucht. Sie retteten sich in die Moldau, in den Schutz des Osmanischen Reichs. Der Traum vom freien ukrainischen Kosakenstaat war endgültig ausgeträumt. Doch verstummt sind sie nie, die Lieder vom Don, vom, Dnjepr, vom Kuban oder aus dem Ural.
Selbst im fernen Weimar durfte man sich ein wenig daran erfreuen: Franz Liszt nannte seine Sinfonischen Dichtung Nr. 6 „Mazeppa“. Aber ein tieferes Verständnis für die Tragödie der Ukraine als Spielball zwischen den Großmächten erfasste auch Franz Liszt nicht.
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