Vor fünfzig Jahren erschien „Die Grenzen des Wachstums“, der epochemachende Erste Bericht des Club of Rome zur „Lage der Menschheit“. Mittels eines computergestützten Simulationsmodells, das mit Daten über das globale Wirtschaftswachstum und die verfügbaren Ressourcen gefüttert wurde, sollte gezeigt werden, dass bei einem „Weiter so“ viele Ressourcen um das Jahr 2050 herum erschöpft und der Niedergang der globalen Wirtschaft unvermeidlich seien. Abgesehen von den Kenntnissen über Wendepunkte im Verlauf der Konjunktur wurde erstmals gezeigt, wie auch das langfristige Wachstum des Ressourcenverbrauchs zu Kipppunkten im Ökosystem der Erde führt. Sind diese peaks erreicht, gibt es keine Umkehr wie beim Wirtschaftszyklus.
Über Grenzen des Wirtschaftswachstums wurde seit Beginn der Industrialisierung nachgedacht. Thomas Robert Malthus hatte schon 1798 behauptet, die Nahrungsmittelproduktion könne mit dem Bevölkerungswachstum nicht dauerhaft Schritt halten, und ziemlich menschenfeindliche Schlussfolgerungen gezogen. John Stuart Mill glaubte 50 Jahre später, das kapitalistische Wachstum müsse und werde aufgrund sinkender Ertragsraten irgendwann in Stagnation übergehen, was nicht weiter schlimm sei; der Fortschritt würde dann nicht mehr auf materiellem, sondern auf kulturellem, sozialem und zwischenmenschlichem Gebiet liegen.
Karl Marx begründete seine revolutionären Überzeugungen damit, dass es innere Grenzen des Wachstums in der Form der Kapitalakkumulation gebe, die zu zyklischen Krisen und zur Zuspitzung sozialer Widersprüche führten, und er wies darauf hin, dass diese Akkumulation die natürlichen Existenzgrundlagen der Menschheit untergräbt. John K. Galbraith veröffentlichte 1958 „Affluent Society“ („Gesellschaft im Überfluss“) und verwies darin auf die Gefahren von Wachstum und überbordendem Konsum. Schon diese Wachstumskritik wurde zu einem Weltbestseller.
Auch in den 1960er Jahren erschienen wachstumskritische Arbeiten von Kenneth Boulding („Raumschiff Erde“), Ezra J Mishan („The Costs of Economic Growth“ – „Die Kosten des Ökonomischen Wachstums“) und 1971 von Nicholas Georgescu-Roegen „The Entropy Law and the Economic Process“ (Das Entropie-Gesetz und der Ökonomische Prozess). Aber keiner dieser Arbeiten war ein ähnlicher Erfolg wie der Studie des Club of Rome beschieden. Irgendwie war die Zeit reif für ein solches Buch gewesen; der Nachkriegsboom war gerade zu Ende gegangen und es war wieder zu Weltwirtschaftskrisen gekommen. Die Wirtschaftswissenschaftler rätselten über die Ursachen stagnativer Prozesse. Naturzerstörung und zeitweilige Energieengpässe wurden unübersehbar; die Umweltbewegung begann sich zu formieren und suchte nach theoretischen Grundlagen.
In der Studie, die Dennis und Donella Maedows, Erich Zahn und Peter Milling am US-amerikanischen Massachusetts Institut of Technology (MIT) ausgearbeitet hatten, wurde ein „Weltmodell“ erstmals mit verschiedenen Szenarien tatsächlich durchgerechnet; eine Weltsensation. Wissenschaftlich-technische Voraussetzungen dafür waren die Entwicklung leistungsfähiger Computer und die erst wenige Jahre zuvor von Jay W. Forrester entwickelte Methode zur Modellsimulation komplexer und dynamischer Systeme. Und schließlich wurde der Bericht – von Teilen des politischen und wissenschaftlichen Establishments gepusht und von der Volkswagenstiftung mit 1 Million Dollar gesponsert – gleichzeitig in fast einem Dutzend Sprachen veröffentlicht. Ein bis dahin für den Wissenschaftsbetrieb einmaliges globales Marketing begleitete die Publikation.
Die Autorinnen und Autoren stellen ihrer Studie ein Zitat des damaligen UN-Generalsekretärs U Thant aus dem Jahr 1969 voran, der auf die mit dem Wettrüsten, dem natürlichen Lebensraum und dem Bevölkerungswachstum verbundenen Probleme verwies und eine weltweite Partnerschaft zur Lösung dieser Fragen forderte. Käme es innerhalb der nächsten zehn Jahre (sic!) nicht dazu, würden „die erwähnten Probleme derartige Ausmaße erreicht haben, dass ihre Bewältigung menschliche Fähigkeiten übersteigt.“
Jetzt sind fünfzig Jahre um, die Probleme sind immer noch da, werden von Massenbewegungen wie „Friday for Future“ auf den Punkt gebracht und wir glauben immer noch daran, dass unsere Fähigkeiten zu ihrer Bewältigung ausreichen. Warum ist das so? Es mag viele Gründe geben, ich möchte auf zwei eingehen.
Der erste Grund ist ein theoretischer Mangel der Studie. Sie basiert auf der Annahme eines exponentiellen Wirtschaftswachstums als eines quasi naturgesetzlichen Vorgangs. Ein reales Abbild des Wachstums ist das nicht, weil weder seine sozialen Triebkräfte, Mechanismen und Widersprüche noch seine Krisen Berücksichtigung finden. Wirtschaftswachstum folgt nicht dem in der Studie als Ausgangspunkt gewählten Gesetz der exponentiellen Vermehrung einer Lilie im Gartenteich, die schließlich die gesamte Wasserfläche bedeckt. Durchschnittliche Wachstumsraten vorangegangener Zeiträume werden in dieser Studie einfach in die Zukunft extrapoliert. Tatsächlich war das Wachstum weit geringer, und zwar nicht, weil die Politik ein Null-Wachstum angestrebt hätte, sondern weil es kein „natürliches“ Gesetz des exponentiellen Wirtschaftswachstums gibt. Wachstum ist ein komplexer und widersprüchlicher sozialer Prozess, der sich mittels Wachstumsfaktoren und -raten allein nicht adäquat erfassen lässt.
Der zweite Grund besteht nicht in einem weiteren Mangel der Studie, sondern in einem ihrer Vorzüge: ihrer Eindringlichkeit und Überzeugungskraft. Die Fragen des Verbrauchs, ja der Zerstörung der Natur rückten fortan immer stärker ins Zentrum des öffentlichen Bewusstseins. Manche Regierungen, so zum Beispiel die der USA, ließen die Fragen zwar nur mit Blick auf die nationale Rohstoffsicherheit untersuchen und kamen zu kontraproduktiven „sicherheitspolitischen“ Schlussfolgerungen. Aber viele soziale Bewegungen erhöhten den Druck auf ihre Regierungen. Die UNO rief zehn Jahre später eine „Weltkommission für Umwelt und Entwicklung“ ins Leben, die einen Bericht vorlegte (nach der Vorsitzenden dieser Kommission gemeinhin als Brundtland-Bericht bezeichnet), in dem das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung im Zentrum steht, „eine Entwicklung, in der die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt werden, ohne dabei künftigen Generationen die Möglichkeit zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse zu nehmen.“
So wurde mit dem Ersten Bericht des Club of Rome weltweit eine Lawine weiterer theoretischer und empirischer Untersuchungen losgetreten, die weit über das Thema des Wirtschaftswachstums hinausreichen. Irgendwie begann der politische und ökonomische Druck, der von der Entstehung von Engpässen und der Preisentwicklung ausgeht, tatsächlich zu wirken. Das Wachstum des Ressourcenverbrauchs – obwohl absolut immer noch viel zu hoch, um von Nachhaltigkeit zu sprechen – begann sich zu verlangsamen; der Verbrauch je Einheit des Bruttoinlandsprodukts begann zu sinken. Die Studie über die Grenzen des Wachstums stand bei all ihren Mängeln am Beginn einer Bewusstseinsveränderung, die, indem sie die Massen ergriff, zu einer materiellen Gewalt wurde. Ein schönes Beispiel für die Bedeutung reflexiven Verhaltens für die Geschichte.
In einem Büchlein von 2016 über „Wirtschaftswachstum – Mechanismen, Widersprüche und Grenzen“ habe ich drei Grenzen des Wachstums beschrieben. Neben der Ressourcenverfügbarkeit (den Begriff der Ressourcen in einem sehr weiten Sinne begriffen), sind das die inneren Grenzen des heute untrennbar mit der Kapitalakkumulation verbundenen Wachstums, wie sie Marx verstanden hatte, auch Grenzen, die mit dem Begriff der Suffizienz (ausreichend, zufriedenstellend) umschrieben werden können. Über materielle Bedürfnisse hinaus existiert der Wunsch nach einem guten Leben. Er äußert sich beispielsweise schon heute im da und dort geübten Verzicht auf höheres Familieneinkommen zugunsten von mehr Freizeit, geht aber weit darüber hinaus. Er zielt in die von John St. Mill angedeutete Richtung und ist nicht an wirtschaftliches Wachstum im herkömmlichen Sinne gebunden. Die ressourcenseitigen Grenzen des Wachstums erfordern nicht allein die weit entschiedenere Steigerung der Ressourceneffizienz, sondern auch die radikale Reduzierung bestimmter Felder des Wachstums – in diesen Tagen fällt mir zuerst der Rüstungssektor ein – zugunsten der für ein gutes Leben sozial wirklich elementaren und ressourcensparenden Bereiche.
Was die systemimmanenten Grenzen des Wachstums anbelangt, so sind diese nur durch eine Systemüberwindung aufzuheben. Diese hätte dann freilich nicht eine Restitution des alten Wachstums, sondern die Schaffung von sozialen Bedingungen zum Ziel, unter denen die Menschen ihren Stoffwechsel mit der Natur auf wirklich umfassend rationale, nachhaltige Weise vollziehen können. Letztlich war es dieses Anliegen, das auch die Autorinnen und Autoren der „Grenzen des Wachstums“ antrieb. Trotz aller Mängel und vielleicht sogar der Fehler jener Studie von 1972 muss man heute feststellen, was Friedrich Engels einmal bezüglich sozialistischer Denker der 1840er Jahre formulierte: „Was aber ökonomisch formell falsch, kann darum doch weltgeschichtlich richtig sein.“
Schlagwörter: Club of Rome, Jürgen Leibiger, Naturressourcen, Wachstum, Wirtschaft