Diesmal: „Operette für zwei schwule Tenöre“ – Berliner Kabarettanstalt / „Mein Name sei Gantenbein“ – Berliner Ensemble.
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BKA: Zwischen Idyll und Hölle. Zwei Männerunterhosen auf einer Wäscheleine. Ein Blick aus der Ferne signalisiert: Hier geht’s um Sex. Davon abgelenkt, haben wir auf dem Plakat den Text über den Hosen übersehen: „Operette für zwei schwule Tenöre“. Aha, es geht um einen Zweipersonen-Männerhaushalt. Mit gemeinsamer Waschmaschine, mit Sofagemütlichkeit und all dem Pipapo unterm Dach glückseliger Geborgenheit. Auch schön. Und immerhin: Als Titel und Thema eines abendfüllenden Stücks Musiktheater so noch nie da gewesen.
Noch mal zurück zu den Wäschestücken: Eins ist eine Art Boxershorts, das andere ein Slip. Wir wissen: Die so genannten Eingriffe sind unterschiedlich; doch das soll hier nicht näher erörtert werden. Obgleich die beiden Hauptfiguren besagten Stücks – Jan & Tobi – in dessen Verlauf singend und plaudernd diverse Einzelheiten preisgeben. Doch davon abgesehen: Im geradezu genialischen Plakat steckt ein Hintersinn.
Der nämlich verweist, ausgehend von den Eingriffen, obendrein auf verschiedene Zugriffe – Zugriffe auf unterschiedliche Lebensentwürfe sowie, trotz grundlegender Gemeinsamkeit wie Schwulsein, auf ganz gegensätzliche Vorstellungen von Zweisam- oder gar Dreisamkeit, von eheähnlicher oder ehelicher Fest- oder Lockerbindung, was dem heterosexuellen Betrieb nicht fremd sein dürfte. Womit sich das auf den ersten Blick homosexuelle Operetten-Theater unversehens ins Universelle schraubt.
Dabei ist der Plot geradezu simpel: Der schwärmerisch veranlagte Grafiker Tobi (Christian Miebach) flieht aus der ihn nervenden großen Stadt aufs ihn entzückende Land (frühmorgens lauscht er, wie erstaunlich, zwanzig verschiedenen Vogelstimmen), schließlich kann er am Laptop überall werkeln. Dort trifft er beim dörflichen Schützenfest den einheimischen, eher nüchternen Krankenpfleger Jan (Felix Heller), den wiederum das wilde Großstadtleben, das Tobi so sehr auf den Keks geht, geradezu manisch-magisch anzieht.
Es ist ein klassischer Stadt-Land-Konflikt, den der Autor und Liedtexter Johannes Kram opulent ausschmückt mit vielen höchst komischen, gelegentlich albernen, meist jedoch bittersüßen oder gar schmerzlichen Alltagsproblemen zwischen pastoralem Idyll, dörflicher Hölle und urban entgrenztem Freizügigkeitswahn. Sie zerren denn auch, auch mit Gesang, heftig am Band zwischen Jan und Tobi.
Die Pointe: Da man sich stilistisch auf die Berliner Operette der 1920er Jahre kapriziert (das freche, auch parodistische Spiel mit Rollenklischees und sexueller Toleranz, das populär Jazzig-Sentimentale), jedoch das einst gängige Friede-Freude-Eierkuchen-Finale zeitgenössisch unterläuft, gibt es kein Happyend. Und so hängen denn auf der signifikanten Wäscheleine neben den genretypischen Glücksmomenten und eingängig tönenden Schmissigkeiten noch allerhand Fragezeichen.
Mit denen müssen nun Jan und Tobi fertig werden. Doch auch wir alle, also die Gesellschaft, kommen ins Nachdenken, wie herrlich weit wir es denn wirklich gebracht haben mit (queerer) Emanzipation und allgemeiner Aufklärung.
Doch keine Angst, das Wackeln mit dem Zeigefinger verdirbt an keiner Stelle den von Johannes Kram und Marco Krämer mit hinreißender Leichtigkeit inszenierten, sexy intelligenten Zwei-Stunden-Abend. Da knallen die Pointen, sitzen die Dialoge. Eine Seltenheit: Tenöre als Sprechkünstler; freilich, beide sind gestandene, preisgekrönte Kräfte mit Meriten im Staatstheater- wie Off-Betrieb. Florian Ludewig komponierte – viel Futter bei die Fische – gleich eine Girlande von Ohrwürmern.
Und wie sich’s für jede zünftige Operette gehört, spielt die dritte Hauptrolle ein stolz sich „Company“ nennender Tanztrupp. Tim Grimme, Tim Oclay und Torben Rose sind drei handfeste Kerle, die auch den köstlich tuntigen Hüftschwung souverän beherrschen und – Überraschung! – ebenso singen können. Eben nicht als Einlage oder Deko, sondern vom Regisseur und Choreografen Michael Heller als kollektiver Kontrapunkt perfekt eingebunden in die sechzehn Spielszenen des dreiaktigen Herz-Schmerz-Lust- und Kopf-Theaters.
„Ja klar, laufen wir durch eine Schneise, die Barrie Kosky an Berlins Komischer Oper geschlagen hat. Nicht nur für die Relevanz der Operette überhaupt, sondern auch für die Selbstverständlichkeit des queeren Blicks“, schreibt Autor Johannes Kram – ein geschickter Dramatiker, ein bemerkenswert geistreicher Dichter – im Programmheft. Und setzt noch eins drauf: „Operette eignet sich einfach gut als Soundspur für den Aufbruch in eine neue Zeit. Sind wir doch tatsächlich die weltweit erste queere Operette; die erste mit schwuler Haupthandlung.“ – Was für ein Coup! Nicht nur wegen weltweit.
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BE: Alles auf Konjunktiv. Wisch links, zurück nach rechts, oder rauf, runter, hin, her – wie auf dem iPhone: Bilder gucken, Stories hören, Erinnerungen beschwören. Mit Lust, mit Glück, Überraschungen und Dankbarkeit. Oder Ärger, Ablehnung, Schrecken und Wut. Ein gestandenes Mannsbild ist es, das da wischt und kramt in seinen Erlebnissen – doch beileibe nicht nur seinen. Denn das praktische Gerät haben offensichtlich noch andere benutzt und beladen.
Um es endlich zu sagen: Das tolle Ding existiert nur im Kopf des Kerls, der da besessen ist von der Erforschung seiner unendlich verwinkelten Seele. Umgetrieben von der Frage, was oder wie er denn sei; was da sein könnte, wenn …
Und wirklich, der Schauspieler Matthias Brandt steht in Frischs „Mein Name sei Gantenbein“ auf der Bühne in einem Gehäuse, das einem quer gelegten iPhone gleicht. Das vielsagende Szenenbild von Hansjörg Hartung ist quasi das Hirn, in dem dieser Theo Gantenbein, so der Name, den er sich andichtet, herumgeistert auf der vertrackten Suche nach seiner Lebenswirklichkeit sowie seinen offensichtlich verpassten Lebensmöglichkeiten im Dasein, in dem nun mal, wie wir wissen, dem Tod das letzte Wort gehört.
Wobei er unermüdlich und nicht ohne Irritationen (für sich selbst wie für das Publikum) jongliert mit seinen und anderen durchaus bunten Lebensgeschichten – etwa jenen des skrupulösen Wissenschaftlers Enderlein, des vibrierenden Svoboda sowie einer flatternden Schauspielerin mit dem vielsagenden Namen Lila und „so sinnlichen Lippen“. Alle drei Herren sind auch intim mit ihr, was natürlich einen besonders komischen oder schmerzlichen Punkt bildet (Sex, Ehe, Eifersucht; eben Männertheater …) in Gantenbeins Vexierspiel mit echten, angemaßten, erträumten oder vertanen Rollen der Existenz, die er mal gelassen, mal gierig anprobiert „wie Kleider“.
Was für Futter für einen Schauspieler. Film- und Fernsehstar Matthias Brandt, seit zwei Jahrzehnten nicht im Theater beschäftigt, wünschte sich, als Intendant Oliver Reese ihn an sein BE lockte, Max Frischs Roman „Mein Name sei Gantenbein“ von 1964 als Ein-Mann-Spektakel.
Brandt wird gewusst haben von Reeses Geschick, mit dem er bedeutende Romane für Solo-Abende bearbeitet und inszeniert – zuletzt „Die Blechtrommel“ von Günter Grass mit Nico Holonics, dem Mackie Messer der „Dreigroschenoper“, und „Sarah“ von Scott McClanahan mit Marc Oliver Schulze.
Max Frisch über „Gantenbein“: „Es ist nicht die Zeit für Ich-Geschichten. Und doch vollzieht sich das menschliche Leben oder verfehlt sich am einzelnen Ich, nirgends sonst.“ Das scheint widersprüchlich, doch der erste Satz sei dem seinerzeit politischen Klima geschuldet. Ansonsten bleibt das Nirgends-sonst! Die Gewissheit: Ohne „Ich“ keine Literatur, kein Theater.
Frischs 300-Seiten-Erzählung einer kunstvoll organisierten Ich-Befragung, dieses Selbstgespräch voller Konjunktive und brüchiger Spiegelungen, passt – klug gekürzt – in einen Monolog. Dabei bleibt es letztlich unwichtig, wie weit Gantenbein, der sich blind stellt für die Erkundungen seiner Wirkungen, vorankommt bei der Wahrheitsfindung. Wer schon bringt heraus, was wahr ist.
„Jeder Mensch erfindet früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält.“ Ob sie nun beflügelt oder deprimiert, sei dahingestellt. Aber: Es geht um Geschichten! Um erste und letzte Dinge, ums Himmelhochjauchzend und um Abstürze, eingebunden in die – wir kennen das – wunderbaren, verrückten, absurden oder auch kruden, elenden Banalitäten des Alltags.
Matthias Brandt spielt sie mit ihrem fliegenden Figurenwechsel im stimmungsgemäß raffiniert illuminierten iPhone wunderbar leichthin in ihrer Fülle und fragwürdigen Pracht. Weh, bitter, bass erstaunt oder nachdenklich in sich gekehrt, leise sarkastisch. Und trotz schwebender Melancholie auch saftig grinsend. Wenn es ihm ganz schlimm kommt, gellt ein Aufschrei. Zuletzt aber sagt er schlicht sein Trotzallem: „Ich liebe Leben.“ – Das ist: Großes Menschentheater. Vor gebanntem Publikum; danach explodiert Jubel.
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