24. Jahrgang | Nummer 15 | 19. Juli 2021

Über Pressefreiheit und Maulwürfe

von Detlef Jena

Carl Bertuch (1777–1815) nimmt in der Geschichte Weimars und des deutschen Journalismus einen geachteten Platz ein. Der leider so früh verstorbene Sohn Friedrich Justin Bertuch (1747–1822) war wie der Vater gleichzeitig Verleger, Unternehmer, Mäzen und Sozialpolitiker. Er hat das klassische Weimar nach Kräften gefördert. Kein Stäubchen soll auf den blanken Schild des journalistischen Ehrenmanns fallen.

Carl Bertuch hat 1814/15 am Wiener Kongress teilgenommen. Gemeinsam mit dem Stuttgarter Verleger Cotta stritt er auf dem (fast schon) postnapoleonischen Neuordnungsbasar gekrönter Häupter für ein Verbot des ungehinderten Nachdrucks von Büchern und für die Pressefreiheit. Er argumentierte: „Die Literatur und deren Beschaffenheit, von den Höfen unmittelbar nicht begünstigt, findet nur einen Stützpunkt im Buchhandel und in dem Honorar, welches der Buchhändler für Vertrauen auf den Absatz eines Werkes zu geben im Stande ist…Der Nachdruck beschränkt nun aber den Absatz der Original-Auflage in quanto und macht sie entweder teurer oder die Belohnung geringer. Die Abschaffung des Nachdrucks ist daher eine bloße Wegräumung eines Hindernisses, mithin das negative Gute, woraus die Belebung der Literatur als etwas Positives ihren Ursprung nimmt. Die allgemeine Preßfreiheit ist aber eine notwendige Folge der ersteren, wodurch die Ideen eigentlich in Umlauf gebracht und eine allgemeine Coneurrenz erzeugt werden kann. Ohne diese wird man nur Gesang- und Gebetbücher drucken“

Bertuchs Idee stieß wider Erwarten offenbar bei Vertretern der Adelshöfe auf eine gewisse positive Resonanz. Österreichs Kanzler, der die Fäden knüpfende Fürst Wenzeslaus von Metternich, wollte den Streiter für Autoren- und Verlegerrechte nicht einfach ignorieren. Er ließ zunächst ein polizeiliches Dossier über den Querulanten anfertigen: „Bertuch ist weit offener als Cotta; es schmeichelt ihm, Vertreter einer wahrscheinlich bedeutenden Sache zu sein. Nebenbei betreibt er hier als Besitzer der Kunsthandlung in Rudolstadt seine Handelsgeschäfte. Er ist vielseitig gebildet, aber etwas kleinstädtisch […] Um das Schicksal Sachsens ist er bekümmert, indess weiß er auch nichts Gewisses darüber, vielmehr tritt er der allgemeinen Meinung einer möglichen Teilung desselben bei […].“ Kurz: Was regt sich der Tropf eigentlich auf, er ist doch kein Napoleon!

Bertuch hielt erschreckt inne und knickte ein: Für diese fürstliche Aufmerksamkeit musste er sich natürlich erkenntlich zeigen. Geschäft ist Geschäft! Ohne diplomatisch und politisch motivierte Gefälligkeiten wäre die Gunst Metternichs auf dem Jahrmarkt der Restaurationspolitiker und -eitelkeiten von kurzer Dauer gewesen – schlecht für Bertuchs unternehmerischen Ehrgeiz. Also plauderte der gewitzte Journalist. Am 4. Januar 1815 vertraute er einer ehrenwerten Runde guter Freunde an: „Ich habe es von mehreren sehr geachteten russischen Generalen, dass Alexander (Kaiser Alexander I. von Russland) zu Ihren ausgesprengten Kriegsrüstungen nur lacht und sich in der Idee sehr gefällt, einmal selbst Feldherr zu sein.“ Diese Bemerkung fand ebenso Eingang in die österreichischen Polizeiakten wie eine drei Wochen später vom Informanten aufgezeichnete Aussage: „Vom Legations-Rat Bertuch habe ich in Erfahrung gebracht, daß nun der alte Herzog von Sachsen-Weimar (Carl August) sich ganz auf die preußische Partei geneigt habe, dass er sagt, Sachsen würde unglücklich sein, wenn nur ein Teil an Preußen käme, weil dies zu beständigen Unruhen führen würde, dass der König von Sachsen keine Rücksicht verdiene, dass Österreich nicht gescheidt sei, diese Gelegenheit fahren zu lassen, anstatt den erzgebirgischen Theil zu nehmen, dass Österreich viel lieber auf diese Art zu gewinnen suchen soll, weil es nicht im Stande wäre, in seiner gegenwärtigen Lage ohne Geld, ohne gute Armee, einen Krieg anzufangen, dass man ein rechter Esel wäre, bei so bewandten Umständen nachzugeben, und dass Alexander den vollkommensten Beifall verdiene, so hartnäckig auf seiner Forderung zu bestehen und ebenso hartnäckig Preußen zu unterstützen.“ Es war bemerkenswert, welche politische Bandbreite ein pfiffiger Weimarer Journalist und Buchhändler ausschreiten konnte, wenn er für die Pressefreiheit stritt.

Ebenfalls im Januar 1815 konnte der die Szene sorgfältig beobachtende geheime Konfident über Bertuchs Wissen und dessen Gesprächspartner notieren: „Das Berliner Ministerium ist heute falscher, schlechter, durchtriebener als es je gewesen. Die erste Dupe (Tölpel) dieser Glücksritter-Coterie (geschlossene Gesellschaft) ist der schwache blödsinnige König (Friedrich Wilhelm III.) […] Der Herzog von Weimar und die ernestinischen Häuser sind ganz preußisch, lachen sich in die Faust, lassen sich gut entschädigen, wenn die albertinische Linie depossedirt wird.“ Die Herren Bertuch und Cotta […] sind alle Tage bei F. Hardenberg (dem preußischer Minister). Die bedeutenden Artikel der Cotta’schen „Allgem. Zeitung“ über den Kongreß werden in des F. Hardenberg Kanzlei concipirt….“

Diese Akten wurden 1913 erstmals veröffentlicht. Fürst Metternich hätte gesagt: „Es ist eine Katastrophe, aber sonst nichts Ernstes“. Außerdem besaßen die Herren Bertuch und Cotta auch ihre unternehmerischen Händel. Als es um den Ankauf des schriftlichen Nachlasses des gerade verstorbenen berühmten Fürsten Charles Joseph de Ligne (1735–1814) ging, zogen die Bertuchs verärgert den kürzeren Strohhalm und Cotta triumphierte. Ligne hatte noch im November 1814 ganz richtig bemerkt: „Der Kongress tanzt“.