In Berichten vom Landesparteitag der Grünen in Vorbereitung der Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus stellten etliche Medien heraus, die Spitzenkandidatin Bettina Jarasch habe bekannt, als Kind den Wunsch gehabt zu haben, „Indianerhäuptling“ zu werden. Das führte zu harschen Beschimpfungen der Kandidatin seitens der anwesenden Blockwarte der politischen Korrektheit: „Indianer“ darf man nicht mehr sagen und „Häuptling“ widerspricht der Geschlechterdiversität. Sie musste sich gemäß den Regeln der „Roten Garden“ der einstigen „Kulturrevolution“ wortreich entschuldigen. Am Ende hat die Partei diese Passage – völlig zensurfrei – aus dem Parteitagsvideo geschnitten.
Solche Leute machen sich anheischig, diese Stadt leitend regieren zu wollen. Da ist von den erklärten Absichten, den Autoverkehr aus der Stadt zu verbannen, noch nicht geredet. Anton Hofreiter, einer der Köpfe der Partei im Bundestag, sprach sich kürzlich gegen Einfamilienhäuser in Deutschland aus. Ältere Mitbürger erinnern sich noch an die grandiose Idee der Grünen von 1998, Benzin solle mindestens 5 D-Mark pro Liter kosten (das war noch vor dem Euro). Zur Bundestagswahl 2013 gab es das Ansinnen, den Einwohnern dieses Landes obligatorisch eine „Veggietag“ zu verordnen, also einen Tag, an dem Fleisch zu essen nicht nur Sünde, sondern Regelverstoß sein sollte.
Die jetzigen Spitzen der Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck, sind inhaltlich bisher vorsichtiger. Die Sonntagsfrage preist die Grünen seit Wochen kurz hinter der CDU und weit vor der SPD aus. In der Vergangenheit hatten ideologische Übergriffigkeiten stets einen deutlichen Abstieg von den Wählerumfragen zum Wahlverhalten zur Folge. So war die Präsentation der beiden in den vergangenen Monaten eher unideologisch. Bis zum 19. April wollen sie nun ausgewürfelt haben, wer von ihnen als Kanzlerkandidat oder -kandidatin antritt. Das wird schwierig. Die Verächter des Indianerhäuptlings verlangen eine Frau. Jedoch hat Habeck den sanften Charme dessen, den sich viele ältere Wählerinnen als Schwiegersohn wünschen. Baerbock dagegen hat ein „stimmliches“ Problem. Psychologen erforschten 2008, weshalb Hillary Clinton – die erste Frau, die Aussicht hatte, Präsidentin der USA zu werden – die Vorwahlen der Demokratischen Partei gegen Barack Obama verlor. Ergebnis war: Wenn sie laut und resolut zu reden bemüht war, klang sie so, wie es viele Männer von ihren Ehefrauen gewohnt sind. Deshalb wählten sie lieber den schwarzen Mann mit der angenehmen Stimme als die keifende Frau. Dessen ungeachtet scheinen Baerbock und Habeck zu wissen: Das Eis, auf dem die grünen Umfrageergebnisse bundesweit stehen, ist recht dünn.
Auch deshalb schauen viele Verfechter grüner Politik derzeit mit großen Augen nach Baden-Württemberg. Winfried Kretschmann hat zum dritten Mal die Landtagswahl gewonnen und wird erneut die Südwest-Regierung bilden. Bei den Landtagswahlen am 27. März 2011 hatten die Grünen mit seiner Spitzenkandidatur erstmals die Möglichkeit errungen, den Regierungschef zu stellen. Allerdings geschah das unter Bedingungen, die allgemein als Ausnahmesituation angesehen wurden. Nicht nur im Ländle, auch im Bund galten die massiven Bürgerproteste gegen das Projekt „Stuttgart 21“ zum Bau eines neuen Hauptbahnhofs als symptomatisch. Es waren vor allem die „normalen“ Bürger der Mitte, wohlhabend und konservativ, links- oder rechtsextremistischer Umtriebe unverdächtig (die AfD wurde erst 2013 gegründet), die protestierten und demonstrierten. Der Begriff des „Wutbürgers“ wurde erfunden, der zunächst positiv besetzt schien. Am 30. September 2010 war die Polizei massiv gegen die Protestierer vorgegangen, was hunderte Verletzte, oft Schwerverletzte zur Folge hatte und später als rechtswidrig erkannt wurde. Die von der CDU geführte Landesregierung unter dem Ministerpräsidenten Stefan Mappus war dafür politisch verantwortlich. Mappus wiederum war erst im Februar 2010 auf den Konservativen Günther Oettinger gefolgt, den Angela Merkel als Kommissar in Brüssel deponiert hatte. So war der farblose, unglückliche Mappus ein recht schwacher Kandidat gegenüber dem kantigen Kretschmann. Dann kam ab 11. März 2011 die Atomkatastrophe von Fukushima, nach der Angela Merkel den Atomausstieg für Deutschland verkündet hatte.
Die CDU war 2011 zwar mit 39 Prozent der abgegebenen Stimmen stärkste Partei geblieben. Es folgten die Grünen mit 24,2 Prozent und die SPD mit 23,1 Prozent. So konnte Kretschmann eine grün-rote Landesregierung bilden, in der er den ambitionierten Sozialdemokraten sieben Fachministerien überließ, während die Grünen neben dem Staatsministerium nur vier Ministerien übernahmen. Das „Stuttgart 21“-Problem löste Kretschmann geschickt durch einen Volksentscheid, an dem aber nicht nur die Stuttgarter, sondern alle Wahlbürger Baden-Württembergs teilnahmen – und den Ausstieg des Landes aus dem Bauprojekt ablehnten.
Die Landtagswahlen 2016 schufen eine neue Realität. Die Grünen wurden mit 30,3 Prozent der Wählerstimmen stärkste Partei, gefolgt von der CDU mit 27 Prozent und der SPD mit 12,7 Prozent sowie der FDP mit 8,3 Prozent. Dabei war die Wahlbeteiligung von 66,3 Prozent der Wahlberechtigten (2011) auf über 70 Prozent gestiegen. So war es eine klare Kretschmann-Wahl. Für Grün-Rot reichte es wegen der hohen Verluste der SPD nicht mehr. Die FDP lehnte eine Offerte zum Eintritt in eine Ampel-Koalition ab. Die abstruse FDP-Idee einer „Deutschland-Koalition“ (schwarz-rot-gold), die rein rechnerisch ebenfalls knapp möglich gewesen wäre, lehnte die SPD ab, der Regierungsauftrag liege bei den Grünen. Und so kam es zur ersten grün-schwarzen Regierungskoalition. Sie funktionierte nahezu geräuschlos, wie ebenfalls die schwarz-grüne Regierung in Hessen. Kretschmann wurde in seiner Partei ab und zu kritisiert, weil er ideologische Wunschvorstellungen nicht verfolgte. Aber dank seiner politischen Stärke beeindruckte ihn das nicht.
Die Wahlen 2021 bestätigten im Grunde das Ergebnis von 2016. Eine federführend starke grüne Partei scheint längerfristig möglich. Jedoch sind an diesem Bild ein paar Retuschen angezeigt. Die Wahlbeteiligung lag mit 63,8 Prozent niedriger als 2011. Der Wähleranteil der Grünen stieg auf 32,6 Prozent, aber das waren real fast 37.000 Stimmen weniger als fünf Jahre zuvor. Die CDU verlor erneut und landete bei 24,1 Prozent, die SPD verlor ebenfalls wieder und bekam noch 11 Prozent. Die FDP gewann dazu und erreichte 10,5 Prozent der Wählerstimmen. Diesmal signalisierte sie Bereitschaft zu einer Ampel-Koalition. Für Grün-Rot (im Sinne der SPD; die Linkspartei spielt im Süden auf Landesebene ohnehin keine Rolle) reichte es wiederum nicht. Kretschmann ließ seine Partei beschließen, weiter mit der CDU zu regieren. Er hatte betont, bei den Koalitionsverhandlungen müsse man „ans Ganze“ denken. Baden-Württemberg brauche zumal in diesen Zeiten „eine verlässliche und stabile Regierung“. Dafür jedenfalls taugt die FDP augenscheinlich nicht.
Die SPD-Spitze kritisierte prompt die Absage der Grünen an eine Ampel-Koalition. Es ist klar: Diese Entscheidung ist bundespolitisch bedeutsam. Für Grün-Rot-Rot wird es zur Bundestagswahl nicht reichen, für eine Ampel auch nicht. Bleibt Schwarz-Grün auch im Bund, nur mit einem schwarzen Kanzler. Insofern entscheiden Baerbock und Habeck nun über den voraussichtlichen Vizekanzler. Und Kretschmann? Die Wahl Frank-Walter Steinmeiers zum Bundespräsidenten am 12. Februar 2017, ein halbes Jahr vor der damaligen Bundestagswahl, hatte der damalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel der CDU aufgenötigt, obwohl es keine eigene SPD-Mehrheit in der Bundesversammlung gab, nur eine schwarz-rote. Dieses Amt wäre gewiss auch für Kretschmann interessant. Er kann knorrige Reden halten und sein Amt in Baden-Württemberg gesichtswahrend der nächsten Generation überlassen. Da hätten die beiden möglichen Vizekanzlerinnen doch eine schöne Aufgabe.
Schlagwörter: Annalena Baerbock, Baden-Württemberg, Bündnis 90/ Die Grünen, CDU, Robert Habeck, SPD, Waldemar Landsberger, Winfried Kretschmann