24. Jahrgang | Nummer 7 | 29. März 2021

Katalanisches

von Jürgen Brauerhoch

Wer in ein Land reist, bevor er einigermaßen
in dessen Sprache eingedrungen ist,
sollte lieber zur Schule gehen.

(Francis Bacon)

Wie wichtig Sprache als Bestandteil der Identifikation ist, erfährt der Urlauber, der vor der Reise nach Spanien natürlich ein paar Brocken Spanisch rekapituliert hat, im Nordosten des Landes, in Katalonien. Hier ist der meist nicht wenig irritiert, wenn er verblüfft feststellen muss, dass die Gastgeber in diesem hochbeliebten Feriengebiet im Nordosten Spaniens sein mühsam eingelerntes castellano-Spanisch entweder nicht verstehen können oder absolut nicht wollen und er umgekehrt ihr català nicht verstehen kann. Verstört denkt er/sie/es sich: Bin ich jetzt hier nun in Spanien oder nicht, was zum Teufel ist los, que pasa?

Doch ganz ruhig, es ist nichts anderes passiert als vor gut dreihundert Jahren erstmals passierte, als die Katalanen im Spanischen Erbfolgekrieg auf die falsche Karte gesetzt hatten und von den Bourbonen, den Herrschenden in Spanien, kurzerhand zwangseinverleibt wurden! Das Erste, was die neuen Machthaber verordneten, war das Verbot der katalanischen Sprache in Wort und Schrift und damit die Demontage eines wesentlichen Bestandteiles auch der katalanischen Kultur. Die Sprache der Katalanen ist weitaus älter als das Kastilische, wurde gesprochen bis nach Sardinien und entlang wurde Küste vom heute französischen Perpignan (Perpinya) bis Valencia und auf den Balearen. Das erste kastilische Sprachverbot war die erste, aber keineswegs die letzte Demütigung der katalanischen Seele. Verordnungen dieser rüden Art folgten im 19.Jahrhundert, als der spanische General Espartero erklärte, Barcelona sollte alle 50 Jahre bombardiert werden, wie es dann ja tatsächlich während des blutigen Bürgerkrieges geschah – anfangs in der Militärdiktatur von Prima de Rivera, später in voller Härte von Francisco Franco, der gar das private Sprechen auf Katalanisch am liebsten verfolgt hätte. Goethes „Alles verstehen heißt alles verzeihen“ hilft da nicht weiter; doch offensichtlich ist die Sprache die Basis geblieben aller bis heute nie ganz ausgetragenen Probleme!

Jedenfalls markiert der elfte September 1714 das Ende der Grafschaft Barcelona. Die Katalanen feiern zum Entsetzen der Amerikaner ausgerechnet an diesem schlimmsten eigenen Unglückstag („Nine eleven“!) ihren ureigenen Nationalfeiertag! Da stehen mehr als jemals zu Ostern, Pfingsten oder Weihnachten wirklich alle Räder still, sind alle Bars und Läden geschlossen, alles dicht. Sollte zu beweisen sein, dass die Katalanen im Gegensatz zu ihrem aktuellen politischen Erscheinungsbild ein absolut friedliches Volk sind, dann wohl durch die Tatsache, dass sie nicht den Tag des Sieges, sondern den ihrer schmerzlichsten Niederlage zum höchsten Feiertag erhoben haben.

Manche Historiker nennen das katalanischen Masochismus! So richtig kann der Gast in Katalonien diese geradezu manische Ablehnung des Spanischen eigentlich nur verstehen aus der Historie einer Kultur, die tatsächlich älter ist als die kastilische! Im 9.Jahrhundert, als auf der iberischen Halbinsel noch das Chaos herrschte, vereinigten sich die Grafen von Barcelona mit vielen kleinen Grafschaften, die fortan von ihnen verwaltet wurden. Patriotische Historiker sehen in diesem Vorgang die Geburtsstunde Kataloniens. Wichtig für den Aufstieg war wohl im 12.Jahrhundert auch die Ehe von Graf Ramòn Berenguer IV. und Petronila von Aragòn und damit die Vereinigung mit dem Königreich Aragonien. Danach erlebte Katalonien eine Periode des Aufschwungs, beherrschte es doch bald den Handel im Mittelmeerraum bis nach Sizilien und Nordafrika. Sie befreiten die Balearen wie das Königreich Valencia von den Mauren befreit, und als schließlich König Ferdinand von Aragón Isabella von Kastilien heiratete, waren zwei ehemals rivalisierenden Königreiche miteinander verbunden. Das gesamte christliche Spanien wurde nun von einer spanischen Krone regiert.

Kataloniens wirtschaftlicher Niedergang begann 1492, als nach der Entdeckung Amerikas der Seehandel sich vom Mittelmeer zum Atlantischen Ozean verlagerte. Die spanische Krone interessierte sich mehr und mehr für die eroberten Gebiete in der „Neuen Welt“. Als sich die Katalanen im „Spanischen Erbfolgekrieg“ (1701 bis 1714) auf die Seite des von England und Österreich unterstützten Karl III. schlugen, wurden sie von den verbündeten Staaten Kastilien und Frankreich vernichtend geschlagen. Kastilien annektierte Katalonien, hob alle katalanischen Rechte auf und verbot die katalanische Sprache – der Anfang einer Demütigung, die bis heute wohl nicht überwunden ist.