Die neue Weltbühne, die exilierte Vorgängerin des Blättchens, brachte den Artikel am 13. Februar 1936. Er war der vorletzte einer im November 1935 begonnenen Reihe von Betrachtungen über „Die Deutschen und ihr Reich“, „Die Deutschen und ihre Juden“, „Die Deutschen wiederholen sich“, „Die Deutschen und ihre Christen“ und „Die deutsche Lebenslüge“. Erneut erschienen sie im Juli 1936 im ersten Teil von Heinrich Manns Sammlung „Es kommt der Tag. Deutsches Lesebuch“.
Pachulke ist gottlos. Er hat nichts gelernt; Wissenschaft und Kunst, die für die Religion eintreten können, er besitzt sie so wenig wie diese. Er kennt keine Ehrerbietung, umso eher plagt ihn der Drang, sich zu unterwerfen. Deshalb wird er sich einen Gott-Ersatz machen, aus dem Haupt aller Pachulkes macht er sich seinen Gott-Ersatz.
Pachulke ist unfruchtbar. Er bringt nicht einmal einen Stuhl fertig, viel weniger ein Buch, nicht erst zu reden von einem Staat. Anstatt der gebotenen Selbstbescheidung erhebt er im Gegenteil den Anspruch, die Welt noch einmal zu erschaffen und die Menschen zu züchten nach seinem eigenen Bilde, das die Mühe seiner Meinung nach lohnt. Wenn Pachulke einen Führer hat, wird der Führer tote Hände haben: nichts gelernt, nichts getan, und was er anfasst, geht ein.
Pachulke ist infantil. Er wird Menschen quälen, wie der Schuljunge einen Frosch. Dieselbe ehrlose Form, der Stärkere zu sein, dasselbe Fehlen der Vorstellungskraft. Ein Pachulke weidet sich zwei Jahre lang an dem übrigens leeren Gedanken, dass er seine Feinde ins Lager geschickt hat; dann lädt er sie zum Frühstück und bietet ihnen die Hand zur Versöhnung, ganz Tertianer-Mohikaner. Pachulke als Führer kann neben seinem Bett unmöglich andere Bücher haben als die von Karl May. Jeder Pachulke lügt, weil er muss. Er ist stehen geblieben beim Lügen, einer jugendlichen Abart der Selbstbehauptung und mit viel Angst verbunden. Sein ständiges schlechtes Gewissen lässt ihn jedes Herauskommen der Wahrheit fürchten. Aber wenn er nicht bei der Wahrheit bleibt, er bleibt auch bei der Lüge nicht.
Wer ist Pachulke? Eine Sorte, in Deutschland aufgekommen, vielleicht infolge der Entfernung vom offenen Meer und freien Sinn – jedenfalls aber vermöge einer Geschichte, die einer Schicht von Deutschen nun einmal Minderwertigkeitsgefühle hinterlassen hat. Sie hätten es nicht nötig, aber sie fühlen sich schlecht weggekommen und schweifen daher vorsätzlich nach der Seite des Selbstgefühles aus. Es springt doch in die Augen, dass der ganze deutsche Übermut gewollt und künstlich ist. Die Sache mit der „Rasse“, auf ihrem Mistbeet ist sie nicht gewachsen, sie vertreten sie auch nur aus Disziplin. Sie sind auf Befehl dünkelhaft, dann aber sind sie es gründlich. Glauben sie wirklich, dass ihnen einst die Welt gehören wird? Teilen sie nicht vielmehr die Ansicht ihres Zwangs-Parteigenossen Nietzsche, dass „die Deutschen keine Zukunft haben“? Nicht unmöglich, dass sie ernste Zweifel verbergen: woher sonst ihr Wüten gegen alles, was ihre Zweifel bestätigen würde, gegen die Vernunft, gegen die Menschlichkeit und das Recht.
Diesen inneren Zwiespalt einmal angenommen bei Pachulkes, ist über die Schicht das Günstigste schon gesagt. Mehr kann nicht zugestanden werden. In allem Übrigen sind Pachulkes ein Jammer. Sie gereichen ihrem Land genau so zur Unehre wie der Menschheit, obwohl sie mit dieser nichts gemein haben wollen und jenes sich selber gleichsetzen. Sie haben wirklich die Stirn, Deutschland mit sich gleichzusetzen: Pachulke gleich dem Staat, Pachulke total, und kein Deutschland ausser Pachulke. So weit gehen sie erst seit ihrer „Machtergreifung“, von der zu rühmen sie nicht satt werden, denn alles andere ist noch weniger rühmlich. Hundert Jahre, seit dem Turnverein 1816, hat Pachulke in Deutschland gewühlt und gehetzt, hat Geschichte gefälscht, in Weltanschauung gemogelt und ein drohendes politisches Vereinsleben geführt mit wechselndem Zielpunkt, mal diese mal jene fremde Macht und fast immer die Juden. Pachulke hat inzwischen auch gemordet, aber besonders hat er unverdrossen seine Namenslisten geführt für die Nacht der langen Messer. Und diese kam.
Sie kommt immer, gesetzt, dass jemand mit Zähigkeit auf sie wartet. Es ist nicht schwer, die Macht zu ergreifen; nur langwierig kann es sein. Es erfordert keinerlei Begabung, unerlässlich war im Fall Pachulkes ein dickes Fell. Alle die eingesteckten Ohrfeigen seit hundert Jahren! Das Gelächter und Naserümpfen über den treudeutschen Rüpel, den „Hinterweltler“ (Nietzsche) und seine „Manieren“ (Nietzsche)! Ein Hund hätte sich vor Scham verkrochen; Pachulke hat Stand gehalten und ist belohnt worden mit der Machtergreifung. Zunächst sei mitberechnet, dass ein ausdauernder Machtergreifer im Verlauf der Zeit doch auch Verbündeten begegnet. Wollen sie in Wirklichkeit von ihm nichts wissen, wie Nietzsche, dann verstellt er ihnen den Weg und führt sie kurzweg ab. Indessen haben Andere sich eine Strecke weit mit ihm eingelassen, die nationalistischen Historiker: mag sein, sie meinten ihn gar nicht. Gleichviel, Pachulke bezog alles auf sich.
Die nationalistischen Historiker haben eine Lehre in deutsche Köpfe genagelt, sie ist ein auffallend alberner Unfug, sogar die nationalistischen Historiker hätten ihn für eigene Rechnung vielleicht nicht unternommen: das Vorhandensein einer ganzen Schicht Pachulkes begeisterte sie dazu. Deutschland soll tausend Jahre lang absichtlich benachteiligt worden sein, – ohne dass man fragt, warum es sich nicht wehrte. Die deutschen Fürsten sollen immer verraten haben – und warum jagte man sie nicht zum Teufel? Frankreich und England haben vorgeblich allein die Schuld an der späten und mangelhaften Einigung Deutschlands – als ob England und das Haus Oesterreich nicht auch versucht hätten, die Einigung Frankreichs aufzuhalten. Sie kamen nur an den Unrechten, und bei Deutschland kam man an die rechte Schmiede. Missbräuchlich wollen späte Deutsche ein so altes nationales Versagen auf Andere abwälzen. In unehrlicher Art, wenn nicht aus Dummheit, geben späte Deutsche sich für die Jüngeren, Unverbrauchten aus, während sie doch ebensolange ebensoviel Kraft ausgegeben haben, nur unwirtschaftlicher und im Ergebnis weniger glücklich. Daraus folgt nicht, dass Verspätete sich zu rächen haben an den Angelangten, oder dass den Gehemmten das Reich und die Herrlichkeit zustehen. Dummheit ist es kaum, was die nationalistischen Historiker zu dieser Annahme bewog. Eher haben sie aus vertracktem Geist und einer paradoxalen Gefügigkeit die These der Dummheit zu der ihren gemacht.
Die Schicht Pachulke ist intellektuell bestärkt worden, es war ihr bester Zufall, und kein Undank kann schnöder sein als ihr Hass gegen die Intellektualität. Pachulkes sind indessen geschaffen, sie zu hassen: da hilft keine Gefügigkeit der Intellektuellen. Pachulke, ein Unfruchtbarer, dem weder Stuhl noch Buch noch Staat gelingt, ist der lebensgesetzliche Feind jedes „Werktätigen“, welches Werk er auch tue. Pachulke hasst gleichmässig das Proletariat und die Hochschulen. Sein „Reich“ ist sein Triumph über beide – ungerechnet, dass sein „Reich“ auch die geschichtlichen Mächte aussticht und überwindet: keine Fürsten, kein Adel, Bismarck wird zum Vorläufer Pachulkes, der an die Stelle Christi tritt. Sogar das Bürgertum nicht mehr, und weder Monarchie noch Republik; sondern schlechthin die traditionslose Anarchie unter dem bon plaisir Pachulkes persönlich. Dies wird natürlich beschönigt und hinter dem Rücken versteckt mit infantilen Ausreden. Pachulke – bei diesem Gesicht, Nacken, Gestell und sittlichen Befund – will trotz dem Augenschein nun einmal „Rasse“ haben, und eine besondere obendrein. Er besteht darauf, verzweifelt wie der Schuljunge, der „gestern seinen Nepos noch gekonnt hat“. Bloss heute hat er ihn vergessen.
Pachulke macht sich zum Schrecknis vermittels des „Nationalen“. Er hat das „Deutschtum“ allen anderen abgenommen, Sozialisten wie „Reaktionären“ – warum? Damit er selbst das grosse Schrecknis ist. Was bliebe dem Unfruchtbaren sonst? Was hätte der Gottlose und der Infantile weiter? Pachulkes spielen Räuber und Soldat, darin erschöpft sich ihre Auffassung des Lebens und der Geschichte. Pachulkes sind die Räuber, sie stehen jenseits des Gesetzes, „Recht ist, was uns Pachulkes nützt“. Sie haben die überlieferte Sittlichkeit hinter sich gelassen und werfen sich zu Feinden des Christentumes auf, bei Vierzehnjährigen gehört es allenfalls zum Übergangsalter. Pachulkes erhalten sich beständig in diesem Alter; es wird so sehr ein Gebot der Not als der Natur sein. Richtig Erwachsene könnten unmöglich die anderen Schichten der Deutschen abwechselnd aus dem Hinterhalt überfallen. Auch ist es offenbar kindisch, den Verprügelten einzureden, jetzt aber sollten sie unter Pachulke persönlich alle auswärtigen Feinde schlagen und die Welt erobern. Die Deutschen haben überhaupt nicht diesen Beruf. Mussten sie es aber noch dartun, dann haben sie es dadurch bewiesen, dass sie das Reich Pachulke herankommen liessen.
Den Deutschen ist aufrichtig anzuraten, dass sie Pachulke zur Ruhe bringen, und lange darf es nicht mehr anstehen. Die „Machtergreifung“ samt ihren Folgen hat der Schicht erheblichen Zulauf gebracht; ein Fünftel aller Deutschen konnten bis jetzt zu Pachulkeschen Vollbürgern gemacht werden: mehr vertrüge die Nation nicht. Der wahrhaft tragische Ausgang des nächsten Krieges wäre die letzte Belehrung einer Nation, die in derselben Stunde aufhört zu existieren. Die Deutschen – es ist rätselhaft, nach so vielen Nackenschlägen ihrer Geschichte glauben sie, nur noch grundloser, ihnen wäre alles erlaubt. Ein leichtfertiges Volk, sie lassen jemand regieren, der sich, lange vor jeder Leistung, weltpolitisch aufspielt, sie selbst aber sind ihm gleichgültiger, als einstmals dem Kurfürsten von Hessen seine verkauften Landeskinder waren. Das nationalste aller Regime ist das Regime, für das die Deutschen nicht mitzählen. Sie werden wie Tiere gezüchtet, werden in widerlicher Massenhaftigkeit abgerichtet für ein grösseres „Reich“, das niemals kommen wird, und gewiss nicht mit ihnen. Sie selbst unterscheiden das nicht; sie glauben sich wichtig genommen, seit in Redensarten alles ausbündig „deutsch“ ist. In Wahrheit ist es pachulkisch. Denn pachulkisch ist gerade, in allem Innerdeutschen ganz leer und verlegen zu sein, so dass man sogar den Antisemitismus ernsthaft in Angriff nimmt. Nur das Auswärtige hat man auf der Bierbank geübt. Aber jetzt rächt sich, dass die Monarchie immer versäumt hat, ihre Deutschen die Selbstregierung zu lehren. Je weniger sie an ihrer eigenen Geschichte beteiligt waren, je leichter betrügt man sie jetzt.
Nur nichts richtig unterscheiden! Der Grundstock der Schicht Pachulke sind denn auch die ganz Ahnungslosen: haben weder sozialpolitische Kämpfe geführt, noch waren sie jemals regierungsfähig, nicht Herrenklasse nicht Arbeiter. Lässt sich darum behaupten, dass nur die Mittelschicht die Pachulkes liefert? Pachulkes werden allerdings geboren; dennoch entdecken seit der Machtergreifung auch Leute, denen niemand es angesehen hatte, ihren inneren Pachulke. Ein Weg führt über die nationalistischen Historiker, ein anderer über den Kapitalismus, wenn man ihn gerade so verkennt wie die Geschichte. Verräterisch wird für das Regime vor allem die rege Beteiligung der Auchdeutschen von ausserhalb, Sudetendeutsche, Balten, was noch. Während der gesamten deutschen Vergangenheit waren sie anderweitig beansprucht, und oft genug gegen uns. Heute sind sie zur Stelle, der Anführer des Ganzen ist ihr Mann; und das befiehlt jetzt in irgend einem unanständigen Dialekt, das treibt Deutsche aus dem Lande oder foltert sie, das weiss allein, was deutsch ist: vor allem, was deutsches Geld ist, das klauen sie. Zu wünschen wäre, dass diesem Veitstanz des nationalen „Ersatz“ alsbald sein Gegenteil folgte: die Erziehung der Deutschen zur echten, äusserst strengen Volkstümlichkeit – und grade diese wäre ihre sichere Versöhnung mit der Welt. Deutschland suche nicht „Raum“, es gebe sich Gehalt. Es werde durchaus nicht grösser, es werde mit sich selbst vertraut.
Dann werden die Deutschen vieles begreifen, worunter sie heute unwissend leiden. Warum gab es bei ihnen eine Zeit der „Machtergreifung“ für dumme Jungen, für Nichtskönner und traurige Gestalten, die es nicht weiter bringen, als den Heiland zu leugnen? Wer ohne wahre Ehrerbietung ist, gerade der unterwirft sich blind. Unwissenheit und Unglaube zusammengenommen machen für den Pachulke reif. Übrigens ist das protestantische England kirchlich, und in jedem Voltairianer steckt mit Recht ein katholischer Moralist. Man ist gottlos, weil für den Pachulke ausersehen, aber mit der Freiheit zugleich erlernt man die Ehrerbietung vor dem Gesetz Gottes und der Menschheit.
Man lügt nicht, als Erwachsener, redlich Arbeitender. Künftige Deutsche, von denen wir annehmen, sie hätten zur Wahrheit hingefunden, werden untersuchen, warum eine Zeitlang bei ihnen gelogen werden konnte über alles bekannte Mass. Frei erfunden wurde eine „bolschewistische Gefahr“ und eine „Rettung des Weltkapitalismus“ von seiten betrügerischer Bankrottierer. Die Erhaltung des Friedens log man sich an, während man jahraus jahrein das innere Morden fortsetzte und jedes Kind mit nationalem Hass erfüllte. Ein Idealist war, wer seinen Nächsten sterilisierte; besonders vordringliche Frontkämpfer aber entpuppten sich gern als Deserteure. Nicht nur die „Rasse“, sogar den Rassenhass betrieb man im Grunde geschäftlich und ohne Überzeugung. Man blieb bei der Lüge so wenig wie bei der Wahrheit. Zwar ahmte einer, dessen Stimme zwangsweise gehört wurde, vor allem Volk einen Ostjuden nach: einen Ostjuden, vor allem Volk, Pachulke persönlich. Litt derselbe aber am Kehlkopf, dann konsultierte er einen ausländischen Ostjuden und wurde hinausgeworfen. Die gewohnte Ohrfeige. Pachulkes kennen es nicht anders. Alle die eingesteckten Ohrfeigen seit hundert Jahren, nicht einmal die „Machtergreifung“ hat ihre Inempfangnahme unterbrochen. Hier ist wieder eine.
Schlagwörter: Bürgertum, Deutschland, Deutschtum, Heinrich Mann, Juden, Rassenhass