„Lübeck ein Kaufhaus,
Köln ein Weinhaus,
Braunschweig ein Honighaus,
Danzig ein Kornhaus,
Magdeburg ein Backhaus,
Rostock ein Malzhaus,
Lüneburg ein Salzhaus,
Stettin ein Fischhaus,
Halberstadt ein Frauenhaus […].“
Althansischer Spruch
Die Lockdowns seit Frühjahr 2020 hatten zwar – vielleicht abgesehen von Corona – nahezu ausschließlich negative Auswirkungen und produzierten durch die Lahmlegung des öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens Langeweile in einem von den Betroffenen nie zuvor gekannten Ausmaß, doch es gab auch Profiteure der dadurch frei gewordenen Zeit. Dazu zählen nicht zuletzt dicke Bücher und deren Besprechungen. Nach der Mücke (618 Seiten), der Völkerwanderung (1532 Seiten) und der Renaissance (1306 Seiten) nun also – die Hanse (541 Seiten).
Immer wenn der Spätkapitalismus mal wieder kriselt oder seine Schmuddelecken zu heftig in den Blick einer breiteren Öffentlichkeit geraten, schlägt die Stunde der Wirtschaftsethiker, die sich mit Fragen wie „Ist Ethik noch ein Erfolgsfaktor?“ zu Wort melden und diese dann mehr oder minder ausführlich bejahen. Zu solcherart Konjunktur stellt Hiram Kümper gleich auf der ersten Seite des Vorwortes zu seiner monumentalen Hanse-Monographie fest, „gehört ein weitverbreitetes Reden über den Ehrbaren Kaufmann und seine Kinderstube: die mittelalterliche Hanse“. Meist allerdings erschöpfe sich dies „im affirmativen Bezug auf sehr allgemeine Tugenden wie Aufrichtigkeit, Transparenz und Verlässlichkeit“, wohingegen wenig Augenmerk darauf verwandt werde, „wie diese Tugenden implementiert oder gar in ihren konkreten Handlungsausflüssen überprüft“ würden. Fragwürdig sei dies nicht zuletzt deshalb, weil der „Ehrbare Kaufmann […] seine Legitimität nicht aus irgendeiner gesellschaftlichen Ordnung, aus Gesetz, Moral und Markt [bezieht], sondern ausschließlich aus der Gruppe, innerhalb derer und für die er tätig ist. Deshalb funktioniert Ehrbarkeit auch überall, zum Beispiel genauso in der Mafia.“ Und so befundet der Autor noch in seinem Vorwort: „In diesem Sinne ist der Ehrbare Kaufmann schlicht ökonomischer Kitsch […] ist das Gegenteil von Analyse, ist Emotions- und Affektakkumulation“.
Gesamtdarstellungen der Hanse hat es schon etliche gegeben, darauf verweist Kümper ausdrücklich, um zugleich das Alleinstellungsmerkmal seiner eigenen Arbeit hervorzuheben, nämlich – „eine Geschichte von Geschichte“ zu sein: „Davon, wie sie gemacht und benutzt wird, welche Risiken und Nebenwirkungen sie birgt, welche Pfadabhängigkeiten die Gegenwarten jener mit sich bringen, die sich mit ihr beschäftigen.“ Und genau dies macht einen erheblichen Teil des Reizes beim Lesen dieses Buches aus, denn bis heute sind historische Realität und Wesen der Hanse unter zahllosen altersdunklen Schichten von Firnissen romantisierender Verklärungen und Klischees überlagert und nahezu unsichtbar. Noch im Jahre 2015 sah etwa der damalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier im Geleitwort zum Ausstellungskatalog des frisch eröffneten Europäischen Hansemuseums in Lübeck in der Hanse einen frühen „Vorläufer der Europäischen Union“, weil „ihre Aufgabe“ eine ähnliche gewesen sei: „grenzüberschreitend zusammenzuarbeiten, um Verständigung und friedlichen Austausch zu fördern“. Ein „durchaus sympathisches Bild“, so Kümper, „das allerdings […] nur bedingt den historischen Realitäten entspricht“. Dabei ist Kümpers zurückhaltende Formulierung offenbar eine höfliche Rücksichtnahme gegenüber dem heutigen Bundespräsidenten, denn sein Buch ist praktisch ein einziger Beleg dafür, dass auch der EU-Vergleich in jenes Schubfach gehört, das der Autor zuvor bereits für den Ehrbaren Kaufmann geöffnet hatte – Kitsch. So war die Hanse etwa dem Deutschen Orden sehr partnerschaftlich verbunden, der mit Feuer und Schwert die Landstriche der Preußen und der baltischen Völker kolonisiert hatte und unter seiner Knute hielt. Im Übrigen „war die Abwesenheit von fester Struktur, gemeinsamen Zielvorgaben und einem großen, übergeordneten Plan […] Programm der Hanse“. Und: „Nie hat sie sich festgelegt, was für eine Art von Zusammenschluss sie nun sei. Das […] wollte sie […] nicht.“ Trotzdem war die Hanse auch ohne Gründungsurkunde vom 13. – eine erste historische Manifestation der hansischen Gemeinschaft datiert bereits auf das Jahr 1280 – bis ins 17. Jahrhundert – der letzte offizielle Hansetag (Zusammenkunft von Hansestädten) fand 1669 statt – präsent und in der Geschichte des Nord- und des Ostseeraumes lange Zeit wirkungsmächtiger als selbst große Fürsten- und Königshäuser.
Ein Bildungserlebnis ist die Lektüre von Kümpers Opus allemal und dank immer wieder eingestreutem Kurzweiligen auch ein vergnügliches. So berichtet der Autor zum Beispiel von Aufnahmeriten, denen kaufmännischer Nachwuchs vor dem Beitritt zu einem Kontor (Hansestützpunkt an Land) oder einer Fahrtgenossenschaft (Hansezusammenschluss zum Fernhandel über See) ausgesetzt wurde und „die mitunter drastische Züge annahmen. Wir lesen vom Aufhängen über qualmenden Feuern, vom Unter-Wasser-Drücken im eisigen Meer vor Bergen, von kollektiven Prügelritualen und vielem mehr. Von solchen Riten stammt unser heutiges Wort ‚hänseln‘, das ursprünglich nichts anderes heißt als ‚zum Hansekaufmann machen‘.“
Hiram Kümper: Der Traum vom Ehrbaren Kaufmann. Die Deutschen und die Hanse, Propyläen, Berlin 2020, 541 Seiten, 28,00 Euro.
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