Seit Max Frischs Wunschdenken über Brechts „Wirkungslosigkeit eines Klassikers“ oder Heiner Müllers Schmähung der Stücke Brechts als „Gewerkschaftsliteratur“ hatten vor allem das Ende des Kalten Krieges und die aufkommende Globalisierung manchen sogenannten Brechtianer seinen Mantel nach dem Wind der Zeit hängen lassen. John Fuegi führt diese Riege an.
Doch die Wirklichkeit der Theaterwelt in Asien, Lateinamerika und Nordamerika hat sich von solchen Unkenrufen und Sinnesänderungen nie beeindrucken lassen. Brechts Wirkungskraft war und ist dort ungebrochen. Seine geradezu „universale“ Weltsicht ist bis heute das ganze Gegenteil von Wirkungslosigkeit, wie eine neue Buchveröffentlichung von Heinz-Uwe Haus aufzeigt.
Mag die Zahl der Aufführungen insgesamt zurückgegangen sein, vor allem durch eine offensichtlich zunehmend selbstbezogene Spielplanpolitik in den europäischen Staaten, voran Deutschland. Hier werden, wenn man sich mal eine Vorschau in Theater heute ansieht, bekannte Werke der griechischen Antike, der deutschen Klassik, Dramen von Shakespeare bis Ibsen anscheinend nur noch bearbeitet auf die Bühne gebracht: „nach“ heißt es da öfter als „von“. Welch eine Selbstüberhebung, in den Texten und der Dramaturgie von Meisterwerken herumzufuhrwerken! Mit Brecht kann so nicht umgegangen werden, hoffentlich verhindern das die Brecht-Erben noch auf lange Zeit. Vermutlich wird er deshalb auf deutschsprachigen Bühnen auch seltener gespielt als das nötig wäre.
Der Regisseur Heinz-Uwe Haus, Schüler von Wolfgang Heinz und Manfred Wekwerth, hatte sich bereits zu DDR-Zeiten einen Namen als Interpret Brechts gemacht. Seine „Mutter Courage“-Inszenierung zu den Shakespeare-Tagen in Weimar 1979 fand damals anhaltende internationale Beachtung und wird heute wegen des umfänglichen Programmbuches des Nationaltheaters als beispielgebendes Lehrmaterial in dramaturgischen Seminaren genutzt. Zusammen mit dem britisch-deutschen Theaterwissenschaftler Daniel Meyer-Dinkgräfe legte er jetzt einen Dokumentationsband zu seiner Regiearbeit in den USA vor, wo er seit 1979 tätig ist.
Haus, der zeitweilig die Regieabteilung des Regieinstituts der DDR in Berlin leitete, Fritz Bennewitz, langjährig künstlerischer Leiter des Schauspiels am Nationaltheater Weimar, und Regisseur Wolfgang Pintzka vom Berliner Ensemble wurden seit den 70er Jahren zu Botschaftern des Brecht’schen Werkes im Ausland. Sie entwickelten ihre jeweils eigene Arbeitsweise in der Begegnung mit den andersartigen Kulturen: Bennewitz hauptsächlich in Asien, Pintzka in Skandinavien, Haus in Zypern, Griechenland und schließlich auch in den USA. Die Arbeit dieser drei Regisseure hat wesentlich die internationale akademische Erörterung des Brecht’schen Theatermachens befördert und, wie Brecht es nannte, seinen „Gebrauchswert“ unter Beweis gestellt. Während der von Werner Hecht initiierten Brechttagen im Brechthaus in der Chausseestraße und in der Zeitschrift notate des Brecht-Zentrums wurden vor allem die Erfahrungen der interkulturellen Dynamik unter fremden Seh- und Hörgewohnheiten rezipiert.
Der vorliegende Band vereint Arbeitsmaterialien, Besprechungen und Fotos der von Haus sowohl an Universitätstheatern, bei professionellen Trainingsprogrammen und an Regionaltheatern herausgebrachten Inszenierungen. Die Materialien reflektieren auch die unterschiedlichen Publikumsreaktionen an verschiedenen Aufführungsorten der Bundesstaaten Kansas, Kalifornien, Washington, Oregon, Wisconsin und Delaware. Beschreibungen seiner umfänglichen Werkstatttätigkeit an namhaften Universitäten und Bildungseinrichtungen – von der Folger Library bis Harvard, New York University und Cornell – geben Einblick in das weite Interesse an Haus’ Brecht-Rezeption. Ergänzt wird das Material durch die Aufnahme von Konferenzvorträgen und wichtigen Zeitschriftenveröffentlichungen zu Fragen des Schauspieltrainings im Sinne Brechts.
Deutlich wird der kommunitaristische Charakter der Brecht’schen Regiearbeit. Fragen zu Krieg und Frieden („Mutter Courage“), faschistische Bedrohungen („Arturo Ui“), eine neue Moral jenseits der bürgerlichen Konventionen („Galileo Galilei“) und weitere Themen, die die gegenwärtige Gesellschaft dekuvrieren („Dreigroschenoper“, „Good Person of Szechwan“) treffen offenbar den Nerv eines zunehmend politisch sensibilisierten amerikanischen Publikums. Ob jung oder alt, liberal oder konservativ, ist es von Brechts Theatralik und Haus’ Fähigkeit angesprochen, diese oft mit einfachsten Mitteln zur Wirkung zu bringen. Die Kritiken beschreiben, wie die Inszenierungen bildstark an das emotionale Gedächtnis des Publikums anknüpfen. Bei einigen (vor allem Akademikern) ist auch die Verwunderung groß, dass Brecht kein Dogmatiker zu sein scheint, so dass es „Vergnügen macht, sich auf seine Sicht der Dinge einzulassen“.
Wie gelingt das? Der Regisseur analysiert in seinen zum Training dokumentierten Texten die Dialektik von Figurenverhalten, lässt teilhaben, wie Brecht lehrt, Charaktere durch Verhalten zu schaffen und Situationen präzise zu behaupten. Der Autor bekennt sich zum „gezielten Geschichtenerzählen, so dass das Publikum bei der Sache bleibt“. Sein einzigartiges Vermögen, oft mit einfachsten Elementen – Stoffbahnen, Requisiten, Möbeln – wie aus dem Nichts und im Handumdrehen Vorgänge zu visualisieren, befördert überdies Ensemblespiel, das zur Tradition des amerikanischen Musicals und vieler Off-Broadway-Gruppen gehört.
Die Dokumentation erinnert an die berühmte „Theaterarbeit“, die Helene Weigel 1952 im Verlag der Kunst in Dresden publizierte, um über die Arbeit des Berliner Ensembles zu informieren. Das Buch, das in Europa zur Grundlage einer neuen, einer dialektischen Dramaturgie des Theaters der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde, ist bisher nicht in Englisch erschienen.
Haus’ und Meyer-Dinkgräfes Dokumentation setzt diese Tradition methodisch fort und eröffnet so im englischsprachigen Raum Theatermachern und Zuschauern aktuellen Einblick in die Wirkungsweise und -kraft Brecht’schen Theaters.
Heinz-Uwe Haus and Daniel Meyer-Dinkgräfe (Hg.): Heinz-Uwe Haus and Brecht in the USA. Directing and Training Experiences. Cambridge Scholars Publishing, Newcastle-upon-Tyne 2019, 326 Seiten (Englisch).
Schlagwörter: Bertolt Brecht, Heinz-Uwe Haus, Odile Popescu, Theater, USA