24. Jahrgang | Nummer 4 | 15. Februar 2021

Rassismus

von Stephan Wohanka

Ein heikles Thema. Also muss man darüber reden. Rassismus ist auch hierzulande gesellschaftliche Realität, der mit allen tauglichen Mitteln der Kampf angesagt werden muss. Häufig noch misogyn aufgeladen, widerspricht er allen genuin humanen Normen und Regeln; der Glaube, ethnische Mehrheiten hätten Vorrechte gegenüber Minderheiten, gleicht einem Parasiten am Körper der Gesellschaft; er zerstört sie letztlich, da er sie spaltet.

Alle tauglichen Mittel also… Eine Kulturkritikerin schreibt eine Biographie über Josephine Baker, ein Kulturmagazin des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks stellt sie vor; das Buch ist also sicherlich keine rassistische Hetzschrift. Im Verlaufe der Sendung kommt es zu folgendem Wortwechsel: „,Zwei Weiße unterhalten sich über Schwarzsein. Wo beginnt Rassismus?‘ […] ,Ich dürfte, wenn ich das wirklich sehr streng und eng sehen würde, wie das häufig verlangt wird, dann dürfte ich nur über privilegierte weiße Frauen schreiben….‘“ Was zeigt der Dialog? Eine gebildete, von jedwedem Rassismus freizusprechende weiße Frau zeigt sich ob der gegenwärtigen Rassismusdebatte über die Maßen verunsichert. Sie macht sich eine gesellschaftliche Rollenerwartung zu eigen, über deren Reichweite eigentlich keine belastbaren Angaben vorliegen; jedenfalls kenne ich keine solchen. Diese – vermeintliche? – Erwartung in derartig hohem Maße zu erfüllen ist schon beängstigend. Verunsicherung Wohlmeinender – ein taugliches Mittel?

„Wir sind alle rassistisch sozialisiert.“ Rumms, das sitzt! Man kann jeden Tag in den Medien „Beweise“ für diese rhetorische Bombe finden; so in einem Interview mit der Kommunikationswissenschaftlerin und Soziologin Natasha A. Kelly: „,Rassismus betrifft alle Disziplinen und alle Fächer und es gibt große Wissenslücken diesbezüglich. Ich habe mich … mit einem Physiker über das Thema unterhalten. Er glaubte, dass Rassismus die Physik nicht betreffe. Doch er irrt sich. Wenn wir etwa die Technik der Fotografie anschauen: Die Belichtungstechnologie wurde für weiße Haut entwickelt. Das ist eine Normsetzung, wie es sie in zahlreichen anderen Bereichen auch gibt, ohne dass das vielen Menschen bewusst wäre.‘ – ,Wie hat er reagiert?‘ – Er war sprachlos. Ich glaube, er hatte gar nicht darüber nachgedacht, wie strukturell Rassismus ist.‘“

Ich wäre nicht „sprachlos“ geblieben, sondern hätte wissen wollen, für welchen Hauttyp denn eine Beleuchtungstechnologie unter den obwaltenden Bedingungen entwickelt werden konnte? Die Fotografie- und Kinotechnik wurde im „Norden“ entwickelt, die Protagonisten vor und hinter der Kamera waren wohl bis auf Ausnahmen alle weiß und zu lösen waren in erster Linie technische Probleme. Drehen wir die Sache um: Gesetzt den Fall, die Entwicklung der einschlägigen Belichtungstechnologie wäre im subsaharischen Afrika erfolgt – wäre die Entwicklung vom weißen Hauttyp ausgegangen? Doch wohl vom schwarzen …

Dass „Rassismus die Physik betrifft“ halte ich so für ausgemachten Blödsinn. Dieser Soziologen-Logik folgend, verhielte sich selbst das Licht rassistisch: Dunkle Flächen absorbieren das Licht, was sich in der Beleuchtungskurve in Räumen dadurch ausdrückt, dass sie vor der dunklen Wand überproportional abfällt; bei hellen Flächen verhält es sich exakt vice versa. Ohne sich weiter in die vielschichtige Historie von Filmen und Fotopapieren, ihren Kontrastumfängen und so fort zu vertiefen, wobei nach vielen Experimenten die „weiße“ Haut als „durchschnittlicher“ Hauttypus festgelegt wurde, verwundert es nicht, dass auch noch für die Digitalfotografie diese Norm weiterhin gilt: „Ohne zusätzliches Licht geht bei schwarzen Menschen nichts.“ Wo ist da Rassismus?

In einschlägigen Twitter-Accounts ist zu lesen: „Wenn ihr wirklich Ally’s (womit wohl Allies, also Verbündete, gemeint sind – St.W.) sein wollt, müsst ihr das System ändern: Verzichtet auf Jobs die rein weiß besetzt sind!“ Da ist die Grenze tauglicher Mittel überschritten: Weiß-Sein, für das niemand etwas kann, wird zum Privileg erhoben und zugleich zum Makel gemacht, um dadurch moralischen Druck aufzubauen.

Wenn der Linguistikprofessor (!) Simon Meier-Vieracker von den „großen Metaphernfeldern von Schwarz und Weiß“ spricht und darauf gründend fragt, ob die „weiße Weste“ und das „Schwarzfahren“ „(vielleicht) mit der rassistischen Idee einer weißen Überlegenheit, der ,White Supremacy‘ (korreliert)“, dann – denke ich – wird eine gewachsene Sprache denunziert und für eine fragwürdige Frontstellung missbraucht: Wenige Klicks genügen, um herauszufinden: Schon bei Abraham a Santa Clara (1644–1709) ist die Vorstellung zu finden, dass eine weiße Brustkleidung Kennzeichen eines reinen Gewissens sei. Und „Schwarzfahren” habe nichts mit der Farbe zu tun, sondern gehe auf das jiddische Wort „Shvarts“ zurück, das „arm“ bedeutet; ein Schwarzfahrer ist daher eigentlich ein „armer Fahrer“, was ja manchmal durchaus der Realität entspricht.

Auch folgende Demonstration des Eigensinns lässt mich eher ratlos zurück als dass es mich zum Kombattanten gegen Rassismus machte: „… geht es im Anschluss selten um den Rassismus an sich, sondern darum, dass ich jemandem Rassismus unterstelle“. Oder auch: „Wenn Menschen sich durch rassistische Stereotype verletzt fühlen“, sei dies „eine rassistische Äußerung“. Wird Rassismus so nicht völlig subjektiviert? Wird der Rassismusvorwurf so nicht völlig beliebig; ja ein Mittel, andere grundlos zu denunzieren? Als Autor kann ich nicht steuern, wie meine Worte „ankommen“: Jeder liest oder hört, was er liest oder hört; dafür kann ich als Schreibender oder Lesender nicht verantwortlich sein! Nicht der Text legt fest, was verstanden wird, sondern die „Struktur“, die innere Befindlichkeit des Rezipienten. Mir obliegt die Pflicht, keinen Unsinn zu verzapfen, denn ich bin verantwortlich dafür, was ich von mir gebe, nicht dafür, was der andere versteht. In der Rassismus-Debatte wird das umgedreht.

Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass offenbar geradezu beliebig respektive gezielt – beides schließt sich nicht aus – nach Belegen für allgegenwärtigen Rassismus gesucht wird. Es bleibt das Geheimnis aller dieser Missionare, wie sie den notwendigen Kampf gegen Rassismus befördern können…

So kommt man – denke ich – nicht weiter. Zwar knüpfen die Debatten an die Heterogenität und so an den Entwicklungsstand unserer hochdifferenzierten Gesellschaft an, greifen aber damit paradoxerweise auf den strukturell gleichen Mechanismus zurück, dessen sich der rassistische Rechtsextremismus bedient: Ausgrenzung! Letzterer will das über die Homogenisierung der Gesellschaft – ein Volk, eine Ethnie, eine Kultur – schaffen und kreiert so ein „Wir“ gegen „Die“. Fehlgeleitete Rassismusbekämpfer etablieren desgleichen Unterschiede – und zwar zwischen denen, die ihren teils kruden und absurden Thesen und Anschauungen „Wir sind alle rassistisch sozialisiert“ folgen, und denen, die das nicht tun. „Rassistisch sozialisiert“ wirft auch noch die Frage auf, wie der eigenen Sozialisation denn zu entkommen wäre? Wenn diese doch von Kindesbeinen an in ziemlich dauerhaften Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungsdispositionen mündet?

Die Quintessenz des Ganzen kann nur sein, dass die im Kampf gegen den Rassismus Engagierten ihre abwegigen Thesen, Projekte und Vorhaltungen überprüfen und da, wo notwendig, korrigieren, um sich dann mit den ihnen Wohlgesinnten zusammenzutun. Einer der Protagonisten im Kampf gegen Rassismus, Hasnain Kazim, sagt: „Sondern wir (ich setze ein „sollten“ dazu – St.W.) versuchen, einen Weg des („vernünftigen, tauglichen“ – St.W.) Umgangs mit all diesem Hass zu finden, und andere zu motivieren, ebenfalls die Stimme zu erheben.“ Das halte ich für einen gangbaren Weg.