Die Berliner Polizei hat am 10. Januar 2021 den traditionellen Demonstrationszug zur Ehrung der 1919 ermordeten Sozialisten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht aufgehalten. Das geschah im Berliner Bezirk Friedrichshain, die Demonstranten wollten zum Zentralfriedhof Friedrichsfelde in Lichtenberg – beides im Osten von Berlin. Der Vorwand war: einige junge Teilnehmer trugen FDJ-Fahnen oder hatten FDJ-Hemden an. Die wurden im Westen Deutschlands und Berlins 1951 auf Betreiben des Bundeskanzlers Adenauer verboten. In der DDR gab es sie bis zu ihrem Ende, staatstragend und erlaubt.
Die Linken-Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen, Ulla Jelpke und Alexander Neu versuchten, die im Einsatz befindlichen Polizisten zur Vernunft zu bringen und sie von ihrem rechtswidrigen Handeln abzuhalten, doch vergeblich. Einer maßte sich an, einen Vergleich des FDJ-Symbols mit dem Hakenkreuz zu bemühen. Jeder, der sich auch nur rudimentär mit deutscher Nachkriegsgeschichte befasst hat, weiß, dass die FDJ 1946 als breite antifaschistische Jugendorganisation geschaffen wurde. Dass sie sich im Zuge der Entwicklung der DDR zur „Kampfreserve der Partei der Arbeiterklasse“ verengte, ist ein anderes Thema. Erste Gruppen, die sich „Freie Deutsche Jugend“ nannten, hatten sich bereits vor dem zweiten Weltkrieg in der Tschechoslowakei, Frankreich und Großbritannien gegründet – dort sahen diese Gruppen ihre Hauptaufgabe vor allem in der Unterstützung der jüdischen Jugendlichen, die mit den Kindertransporten nach Großbritannien ausreisen durften. Die britische Gruppe löste sich 1946 auf, viele ihrer Mitglieder remigrierten in die Ostzone und übernahmen später wichtige Funktionen in der DDR. Offenbar hat der zitierte Polizist seinen Vergleich auch deshalb angestellt, um dieses antifaschistische Erbe zu diskreditieren.
Die Zeitung neues deutschland kommentierte den Vorgang erwartungsgemäß kritisch. Der Zugriff sei „verwerflich“, und zwar aus zwei Gründen: „Erstens mussten die Teilnehmer der Demonstration den Eindruck gewinnen, die Polizei hätte dies nicht gewagt, wenn es zeitgleich wie all die Jahre zuvor das stille Gedenken gegeben hätte und viel mehr Linke zur Ehrung von Karl und Rosa auf der Straße gewesen wären.“ Zweitens rückte wegen des Polizeieinsatzes ein Marschblock enger zusammen, was ihn wiederum in Kollision mit den Corona-Regeln brachte. Von Seiten der Polizei sei dann per Durchsage erklärt worden, dass es angesichts von Corona überhaupt eine Gnade sei, demonstrieren zu dürfen. Das Demonstrationsrecht sei jedoch – so weiter neues deutschland – keine Gnade der Obrigkeit, sondern ein im Grundgesetz verbrieftes Grundrecht.
Das ist alles richtig, trifft jedoch den Kern der Sache nicht. Im Grunde hatte die BRD die DDR nur einmal formaljuristisch als tatsächlich gleichberechtigt behandelt, nämlich beim Abschluss der Verträge zur deutschen Einheit. Sowohl im Zwei-Plus-Vier-Vertrag 1990 als auch in den deutsch-deutschen Verträgen zur Herstellung dieser Einheit. Dass dies am Ende inhaltlich unter der Voraussetzung des westdeutschen Übergewichts geschah und in jedem Ministerium der DDR-Regierung unter de Maizière die westdeutschen „Berater“ hockten, die die entsprechenden Entscheidungen durchsetzten, so dass am Ende BRD-Verhandler Wolfgang Schäuble (CDU-West) die Verträge im Grunde mit sich selber, vertreten durch Herrn Günther Krause (CDU-Ost) machte, steht auf einem anderen Blatt.
Völkerrechtlich und staatsrechtlich betrachtet hatten die Regierungen zweier souveräner Staaten miteinander verhandelt und kontraktiert. Dazu gehörte, dass die staatlichen Symbole der DDR und die der in ihr agierenden politischen und gesellschaftlichen Kräfte und Institutionen nicht illegalisiert werden konnten. Das wäre auch mit Akteuren wie Lothar de Maizière, Peter Michael Diestel und Walter Romberg nicht zu machen gewesen. Allerdings hatte es Theo Waigel (CSU), der damals Finanzminister in der Kohl-Regierung war, später bedauert, dass die DDR-Symbolik 1990 nicht verboten wurde.
Die Vorgänge am 10. Januar in Berlin sind in diesem Sinne als ein Versuch zu betrachten, DDR-Symbole nicht nur zu verteufeln, sondern real zu verbieten. Damit wird nicht nur die Vertragslage von 1990 zu revidieren versucht, sondern das stellt einen offenen Bruch geltenden Rechts dar. Selbst formaljuristisch – wie albern das auch sein mag – hätte die von Westberlin aus geführte Berliner Polizei das FDJ-Hemd vor dem Schöneberger Rathaus einziehen können, in Berlin-Friedrichshain nicht.
Das ist besonders bemerkenswert, als dass im Jubiläumsjahr der deutschen Vereinigung 2020 alle möglichen Leute, vor allem aus dem Westen, die mehr oder weniger für die in diesen 30 Jahren geschaffenen deutschen Zustände verantwortlich sind, gefragt und ungefragt Krokodilstränen vergossen und beschworen, die Ossis künftig stärker zu berücksichtigen. Tatsächlich sind sie nicht einmal in der Lage, die Rechtsordnung zu achten.
Hinzu kommt: Es gibt keinen juristischen Sachwalter der DDR-Seite in den deutsch-deutschen Verträgen mehr, weil die DDR als Völkerrechtssubjekt verschwand. Insofern liegt es auch an den Bundestagsabgeordneten der Linken, derlei Rechtsbrüche künftig zu unterbinden. Die Sprecher der Berliner Linken sind gefordert, dies auch in der Berliner Regierungskoalition durchzusetzen. Wenn schon Andreas Geisel, der Innensenator von der SPD, der in der DDR nicht nur SED-Mitglied, sondern vermutlich auch FDJler war, das geltende Recht in seinem Zuständigkeitsbereich nicht durchzusetzen vermag.
Schlagwörter: DDR, Einigungsvertrag, Erhard Crome, FDJ, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg