Das Schlosstheater. Auf! nach Potsdam, an einem milden Herbstdonnerstag. Durch den weiträumigen, gepflegten Park von Sanssouci westwärts zum Neuen Palais. Etwas versteckt im südlichen Seitenflügel des Prunkbaues finde ich den Eingang. Vom Foyer aufwärts, aufwärts über bequeme Treppen. Und dann: Sesam-öffne-dich, das Juwel im Stil des Späten Rokoko. Dem Auge ein verwirrender Anblick in Weiß und Gold und Rot, welcher aber der Räumlichkeit heitere Beschwingtheit verleiht. Thalia und Melpomene über der Bühne, die Musen der komischen und tragischen Dichtkunst, kennzeichnen den Ort.
Friedrich II., seit 1740 auf dem preußischen Thron und bereits als Kronprinz den Musen zugetan, drängt auf eine Beförderung der Künste. Seine Neigung gehört der Dichtung und dem Schauspiel (Friedrich pocht dabei auf französische Sprache und Spielart), vor allem aber der Musik in allen ihren Varianten.
Im September des Jahres 1741 geschieht die Grundsteinlegung für die Oper Unter den Linden. Ihre Widmung soll lauten: Apoll und den Musen. Hofkapellmeister Carl Heinrich Graun wird nach Italien beordert, um gute Sänger zu werben. Im Eiltempo entsteht in der Residenz Potsdam, der Stadt mit der sich Friedrich besonders verbunden fühlt, Schloss Sanssouci auf dem Weinberg. Zwei Millionen Taler sind für den Schlossbau im Park (Neues Palais) vorgesehen. Und darinnen ein Theater. Die Gesamtleitung übernimmt ab 1764 Carl von Gontard. Dem König unterbreitet er für das schöne Detail Grundriss und Kostenvoranschlag. Kalkulation Nr. 1: 18.011,16 Reichstaler. Abgelehnt, weil zu teuer. Kalkulation Nr. 2: 14.341,17 Reichstaler. Noch zu teuer. Dazu des Monarchen Randbemerkung: „10.000 Taler, nicht mehr, das übrige Seindt apothequer Rechnungen, darnach kann es bestellet werden.“ Von Gontards Vorschlägen wurde nichts „bestellet“. Kurzer Prozess. Bauleiterwechsel.
Johann Christian Hoppenhaupt der Jüngere und Jan Bouman der Ältere, die beide bereits an der Einrichtung des Theaters im Potsdamer Stadtschloss tätig waren, erhielten den Zuschlag. Ihre Pläne sahen einen ansteigenden amphitheatralischen Aufbau des Zuschauerraumes vor. Keine Loge für den König! Friedrich II., der Musikliebhaber, soll seinen Platz in der dritten oder vierten Reihe eingenommen haben, um möglichst in der Nähe des Klanges zu sein.
Hoppenhaupts Angaben gleichen dem Bild, das sich vor mir auftut. Palmbäume im Goldglanz schmücken beiderseits die Bühne und zwischen ihnen, der Bestimmung des Hauses folgend, Musikinstrumente. Kastagnetten, Schellentrommel und Becken (ich sehe die berühmte Tänzerin Barbarina Pirouetten drehen). Hermen tragen den zweiten Rang. Und allenthalben zieren Blumengirlanden und Putten, feingeknüpfte Netze und „Schnerkel“ den Raum. Golden auf weißem Grund. Alles überstrahlt von einer großen Sonne, und nunmehr von einem Lüster, der sie an Schönheit fast überbietet.
Im Mai 1768 finden die Arbeiten ihren Abschluss. Die Berlinischen Nachrichten von Staats- und Gelehrten Sachen teilen am 23. Juli 1768 mit, dass am „Montage“ [dem 18. Juli] zum ersten Mal vor dem König ein Oratorium von Johann Adolph Hasse zur Aufführung kam. – In welcher Reihe saß die Majestät während der Eröffnung?
Friedrich II. bevorzugte, neben dem französischen Schauspiel, italienische Opern, die Opera buffa und auch Oratorien. Sein musikalisches Empfinden und der Eigensinn lehnten jedoch deutschsprachige Interpreten ab. Als die umjubelte Sopranistin Elisabeth Mara, geborene Schmeling als Sängerin in Vorschlag kam, soll er in ungalanter Weise gesagt haben: Lieber „von einem Pferde eine Arie vorwiehern lassen, als eine Deutsche in meiner Oper als Primadonna zu haben.“ Eine Gesangsprobe überzeugte ihn letztlich doch, und wenig später erhielt „die Mara“ ein Engagement auf Lebenszeit an der Berliner Oper.
Der Zeitgeschmack änderte sich und mit ihm die Einstellung der preußischen Thronfolger zur Theaterkultur. Deutsche Schauspieler und neue Stücke hielten Einzug in Friedrichs gehütetem Theaterhaus. Ludwig Tieck, Dichter, Dramatiker und Übersetzer, inszenierte. Wilhelm August Iffland, Schauspieler, Dramatiker und Intendant des Nationaltheaters am Gendarmenmarkt in Berlin, den Goethe als besten Darsteller seiner Zeit bezeichnete, agierte. Felix Mendelssohn-Bartholdy komponierte die mehrteilige Schauspielmusik (op. 61) zu Shakespeares „Ein Sommernachtstraum“, die unter der Regie von Ludwig Tieck am Sonnabend, den 14. Oktober 1843 im Schlosstheater ihre Uraufführung erlebte.
252 Jahre eines historischen, kostbaren Kunsttempels fordern seinen umsichtigen Erhalt. Modernisierung der technischen Anlagen und Restaurierungen lösten einander ab, ohne grundsätzlich in Architektur und Ausstattung einzugreifen. – Im Sommer 2020 öffnete das Theater nach längerem „Ruhestand“ und frisch herausgeputzt wieder seine Pforten. Die Sitzreihen sind mit rotem Samt überzogen, jeder Zierrat, bis auf den kleinsten „Schnerkel“, glänzt, als habe man ihn gestern erst poliert.
Das Spiel beginnt. Faust. Der Tragödie Erster Teil. – Der Doktor stöhnt das große ACH… über die Unzulänglichkeit seines Wissens und jagt als Zweifelnder, Gepeinigter durch die Höhen und Tiefen des Lebens, vergebens auf der Suche nach dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält.“ – Vom Ensemble „Poetenpack“ trefflich nachempfunden und überzeugend – ohne Brimborium – dargestellt, gemäß den Goethischen Worten: „Laßt Phantasie, mit allen ihren Chören, / Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft, / Doch, merkt Euch wohl! Nicht ohne Narrheit hören.“ – Am Ende sekundenlange Stille. Danach großer Beifall.
Schlagwörter: Faust, Friedrich II., Goethe, Renate Hoffmann, Schlosstheater Potsdam