23. Jahrgang | Nummer 22 | 26. Oktober 2020

Wolfgang Harich – Flucht und Heimkehr

von Andreas Heyer

Wolfgang Harich, geboren am 9. Dezember 1923 in Königsberg, gestorben am 15. März 1995 in Berlin, erlebte das Ende des Zweiten Weltkrieges im Untergrund als Teilnehmer des antifaschistischen Widerstandskampfes. In der SBZ und den ersten Jahren der DDR gehörte er zu den wichtigen Intellektuellen des kulturellen Neuaufbaus. Eng befreundet mit Georg Lukács, Bertolt Brecht, Ernst Bloch, Georg Klaus und anderen wirkte er unter anderen als Journalist, im Aufbau-Verlag, an der Humboldt-Universität sowie als Chefredakteur der 1953 gegründeten Deutschen Zeitschrift für Philosophie. Am 29. November 1956 wurde er von der Staatssicherheit festgenommen und schließlich am 9. März des nächsten Jahres wegen „Bildung einer konspirativen staatsfeindlichen Gruppe“ zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Einige Tage vor Weihnachten 1964 wurde er etwas vorzeitig aus der Haft entlassen.

Bei seiner Entlassung hatte ihm die Stasi die unmissverständlich gesagt, dass er sich nie wieder philosophisch oder politisch betätigen dürfe. In den folgenden Jahren arbeitete er daher auf Honorarbasis für den Akademie-Verlag und schuf sein literaturwissenschaftliches Werk „Jean Pauls Revolutionsdichtung“, das 1974 erschien – eine seiner letzten Publikationen in der DDR. Es folgten nur noch zwei Aufsätze.

In dieser Zeit hatte Harich bereits damit begonnen, sich intensiv mit der ökologischen Problematik auseinanderzusetzen. Als erster Marxist äußerte er sich 1975 zu der Thematik – in seinem umstrittenen Buch „Kommunismus ohne Wachstum“, das nur im Westen erscheinen konnte. In der DDR versuchte er in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre immer wieder, mit seinen ökologischen Mahnungen Gehör zu finden und irgendwie für den Staat tätig zu werden. Alle seine Eingaben, Briefe, Anliegen und anderes mehr wurden jedoch konsequent unterdrückt. Gleichzeitig nahmen die Angriffe auf ihn zu (beispielsweise in der Einheit und in der Weltbühne).

Ende 1978 fühlte er sich derart in die Enge getrieben, dass er einen Entschluss fasste, zu dem er sich weder 1956 vor seiner Verhaftung (er war trotz verschiedener Warnhinweise von einer Reise nach Hamburg nach Ost-Berlin zurückgekehrt) noch nach seiner Entlassung wegen seiner marxistischen Einstellung hatte durchringen können: Er zog es in Erwägung, die DDR zu verlassen. Im November und Dezember jenes Jahres schrieb er mehrere Briefe an Klaus Höpcke, in denen sich dieser Sinneswandel verfestigte.

Am 11. Januar 1979 stellte er seinen Antrag auf Übersiedlung „in den kapitalistischen Teil des deutschsprachigen Raums“ – in einem Brief an den Rat des Berliner Stadtbezirks Friedrichshain. Da er auf dieses Schreiben keine Antwort erhielt, wandte er sich am 8. März direkt an Erich Honecker. Dieser Brief wird im Anschluss an diese Einführung abgedruckt.

Nach verschiedenen Rücksprachen und Diskussionen scheint auf höchster staatlicher Ebene der Entschluss gefasst worden zu sein, dem Antrag auf Ausbürgerung Harichs (um die dieser Honecker bat) aus Angst vor den öffentlichen Reaktionen im Westen nicht zuzustimmen. Dieser erhielt stattdessen ein auf 750 Tage beschränktes Ausreisevisum, das später um ein Jahr verlängert wurde. Seinen DDR-Personalausweis musste er zwar abgeben, aber mit seinem Reisepass konnte er jederzeit in die DDR ein- und ausreisen. Am 24. Oktober 1979 schrieb er, sich bereits in Österreich befindend, an seine Schwester Gisela Wittkowski: „In den Monaten vor meiner Abreise nach Wien war ich aus verschiedenen Gründen noch ziemlich kopflos. So beging ich den schweren Fehler, meinen Ausreise- mit einem Ausbürgerungsantrag an den Staatsrat zu verbinden. […] Ihr – Gerhard (sein Schwager – A.H.) und Du – wart es, die mir daraufhin androhtet, mit mir jede Beziehung abzubrechen. Es war gut, und wir können heute alle heilfroh darüber sein, und ihr wart es sofort, dass mir dann im Namen Honeckers die Abteilung Wissenschaft im ZK der SED (Prof. Gregor Schirmer) von der Ausbürgerung abriet. Die Tatsache nun, dass ich, unter Beibehaltung meiner Staatsangehörigkeit, ein bloßes befristetes Ausreisevisum, gültig bis 30. April 1981, erhielt, will ernst genommen sein, und ich nehme sie ernst.“

Harichs Visum war ursprünglich nur auf Österreich beschränkt, wurde aber in den folgenden Monaten immer weiter ausgedehnt, zuerst für Spanien (wo eine Übersetzung von „Kommunismus ohne Wachstum“ erschienen war), später für Frankreich und Italien und schließlich auch für die Bundesrepublik und Westberlin.

Heimisch wurde er in den Jahren, die er im Westen war, nie. Er lebte, wie er selber formulierte, immer aus dem Koffer, war ständig unterwegs, kam nie zur Ruhe. Am schönsten waren für ihn die Monate in Osnabrück, als Untermieter des Kunsthistorikerehepaars Jutta Heldt und Norbert Schneider, sowie seine Aufenthalte in München und Starnberg, wo er von Dezember 1980 bis April 1981 eine eigene kleine Wohnung bezog. Er nahm in diesen Monaten an zahlreichen Konferenzen und Tagungen teil, schrieb viele Briefe und kleine Aufsätze, beteiligte sich an Diskussionen und versuchte, mit all seinen Äußerungen und Handlungen, die neu gegründete Partei Die Grünen zu unterstützen. Doch so wichtig ihm dieses Wirken auch war: Ständig sich intensivierend meldete sich in seinem Inneren das Heimweh nach Berlin, erst als diffuses Gefühl, anschließend immer stärker zu dem Entschluss führend, in den Osten zurückzukehren. Was dem entgegenwirkte, war seine Überzeugung, dass er die Grünen nicht im Stich lassen dürfe. Im Oktober 1981 war er dann wieder in Ost-Berlin. Eine Entscheidung, wie er beispielsweise Gregor Schirmer schrieb, für immer. Zuerst unternahm er von Ost-Berlin aus noch mehrere Reisen zu Vorträgen und Kongressen in der Bundesrepublik, im Dezember tauschte er seinen Reisepass dann wieder gegen einen Personalausweis um.

Eines war für ihn in seiner Zeit im Westen nie in Frage gekommen: Sich als politischer Flüchtling registrieren zu lassen. An Ernst Bloch hat er mehrfach kritisiert, dass dieser das getan hatte. Harich verstand sich als „loyaler Staatsbürger der DDR“ und lehnte auch jeden Kommentar zu seiner Haftzeit gegenüber den Medien ab. Durch seine Weigerung ergaben sich für ihn manche Schwierigkeiten – am fundamentalsten war sicherlich die Berechnung seiner Rente, da die Bundesrepublik seine Zuchthaushaft in Bautzen nicht für rentenrelevant hielt.

Der Preis für seine Rückkehr in den Osten war hoch: Die völlige Abkehr von der Ökologie. Schirmer und andere Parteifunktionäre versuchten nun, ihn zu einer Auseinandersetzung mit Friedrich Nietzsche zu überreden. Nach einem Jahr legte er sein Veto gegen diese Beschäftigung ein und durfte sich bis zum Ende der DDR mit Studien zur Philosophie seines einstigen akademischen Lehrers Nicolai Hartmann beschäftigen. Aber, gewarnt durch verschiedene Anzeichen, die er im Westen wahrgenommen hatte, ließ ihm die Rückkehr Nietzsches in die Öffentlichkeit keine Ruhe. Er begann nun, parallel zu seinen Arbeiten über Hartmann, einen großen Teil seiner Kraft in den Kampf gegen Nietzsche und, damit verbunden, für die „Rückkehr“ des Vermächtnisses seines Freundes Georg Lukács in das Kulturleben der DDR zu investieren.

Als sich am 24. November 1989 schließlich die Grüne Partei der DDR gründete, bat er bereits am nächsten Tag darum, in derene Reihen aufgenommen zu werden. Die DDR konnte ihm sein ökologisches Engagement nun nicht mehr verbieten. Diese Geschichten aber sind an anderer Stelle zu berichten.

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Wolfgang Harich: Brief an Erich Honecker (8. März 1979):

Hochverehrter Herr Vorsitzender!

Unter schmerzlichem Bedauern, aber auch nach reiflicher Überlegung habe ich mich zu dem Entschluss durchgerungen, an Sie das Ersuchen zu richten, mich aus der Staatsangehörigkeit der Deutschen Demokratischen Republik zu entlassen und es mir schon in nächster Zeit zu ermöglichen, in den kapitalistischen Teil des deutschsprachigen Raums überzusiedeln.

Als Gegner jeglicher Verwendung von Kernenergie, der militärischen wie der friedlichen, beabsichtige ich, mich für den Rest meines Lebens in der Republik Österreich niederzulassen, deren Bevölkerung am 5. November 1978 mit ihrem Votum gegen die Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf für die gesamte internationale Umweltschutzbewegung ein Zeichen von historischer Bedeutung gesetzt hat. Nach der österreichischen Hauptstadt ziehen mich im Übrigen auch schwerwiegende private Gründe, die mein Lebensglück betreffen und denen ich um so weniger widerstehen zu müssen glaube, als ich, auf Grund einer im September 1975 erfolgten komplizierten Herzoperation (doppelter Bypass), seit 11. Dezember 1978 arbeitsunfähig geschrieben bin und jetzt meine Invalidisierung unmittelbar bevorsteht. Entscheidend ist jedoch, dass ich die mir noch verbleibende, stark reduzierte Leistungsfähigkeit bis zum letzten Atemzug dazu nutzen möchte, mich von Wien aus in die Kampffront der Ökologisten, der sogenannten Grünen einzureihen, die sich in mehreren Ländern Westeuropas zu formieren begonnen hat – verpflichtet der Erhaltung des Lebens auf der Erde und gleichermaßen geeignet, der Bourgeoisie den kapitalistischen Ausweg aus ihrer derzeitigen Krise verstellen zu helfen.

Mein Entschluss steht im Einklang mit Überzeugungen, die ich bereits 1974/1975 in meinem Buch Kommunismus ohne Wachstum? Babeuf und der Club of Rome, Reinbek bei Hamburg (Rowohlt-Verlag), 1975, dargelegt habe. Gegen dieses Buch ist erst indirekt, von Harry Nick im Doppelheft 5/6 von 1976 in der Einheit, und später auch direkt, von Rolf Dlubek im Marx-Engels-Jahrbuch, Nr. 1, Berlin, 1978, heftig polemisiert worden, ohne dass mir Gelegenheit gegeben worden wäre, darauf öffentlich zu erwidern. Von dem Buch eine DDR-Ausgabe zu veranstalten, gelang mir nie. Und dreieinhalb Jahre lang schlugen hier alle meine Bemühungen fehl, auch nur in bescheidenen Ansätzen den einen oder anderen Gedanken des Buchs im eigenen Land publizistisch vertreten zu dürfen, geschweige denn praktisch zum Tragen zu bringen.

An diesen entmutigenden Erfahrungen ändert sich, wie ich glaube, auch dadurch nichts, dass nunmehr noch im Lauf des Jahres 1979 bei der Akademie der Wissenschaften der DDR eine interdisziplinäre Kommission für globale Probleme ökologisch fundierter Zukunftsforschung gebildet werden soll und dass, auf hartnäckiges Betreiben desjenigen Staatsfunktionärs, der meinen Bestrebungen relativ am aufgeschlossensten gegenübersteht, des stellvertretenden Kulturministers Klaus Höpcke, Herr Prof. Dr. Gregor Schirmer von der Abteilung Wissenschaften beim Zentralkomitee der SED mir neuerdings in Aussicht gestellt hat, in die Tätigkeit dieser Kommission mit einbezogen zu werden. Bedenklich stimmt mich bereits, dass auch nur in Erwägung gezogen wird, nicht der Ökologie oder der Philosophie, sondern ausgerechnet der bei uns durchweg wachstumsorientierten Wirtschaftswissenschaft die Rolle einer Art Leitdisziplin in jenem Gremium zuzuweisen, noch bedenklicher, dass das Gremium von der Umweltschutzpraxis in der DDR losgelöst arbeiten und für sie in keiner Weise zuständig sein soll. Vollends sind die Bedingungen, die an meine Mitarbeit geknüpft werden – sie laufen darauf hinaus, mich zur Selbstisolation zu verpflichten –, offenkundig von Misstrauen eingegeben und daher für mich diskriminierend und unannehmbar.

Unter diesen Umständen scheint es mir für alle Beteiligten das Beste zu sein, wenn ich Professor Schirmers Angebot dankend ablehne und daraus die Konsequenz ziehe, unser Land zu verlassen. Ich stelle dies ohne Bitterkeit fest. Ich erhebe gegen Partei und Regierung keine Vorwürfe. Denn der eigentliche Fehler liegt, wie ich jetzt hier erkenne, bei mir: Allzu lange habe ich in meinem Verhalten dem borniert moralisierenden Vorurteil gehuldigt, dass ‚jeder zuerst vor der eigenen Tür kehren‘ müsse, statt zu begreifen, dass vielmehr dort zuerst gekehrt werden muss, wo der meiste Dreck liegt; will sagen: Dort, wo Profitmaximierung und Kapitalverwertungszwang jene Konsumexzesse bedingen, die zwangsläufig ihrerseits die ärgsten Auswüchse an Ressourcen-Verschwendung und Umweltzerstörung hervortreiben. Das ist gerade in den hochindustrialisierten Metropolen des Kapitalismus, in den USA, den EG-Ländern und Japan der Fall, weshalb ja wohl nicht zufällig, in dialektischem Gegenzug zu den vorherrschenden Tendenzen, gerade dort auch zuerst das entsprechende Krisenbewusstsein, etwa in Form der Kassandrarufe des Club of Rome, erwacht ist und wenig später solche im Kern zutiefst antikapitalistischen Bewegungen wie die Bürgerinitiativen für Umweltschutz, wie die Zusammenschlüsse zu ‚grünen‘ und ‚bunten‘ Wählerlisten, wie die Massendemonstrationen gegen Kernkraftwerke usw. auf den Plan getreten sind (von Verzweiflungstaten wie der Selbstverbrennung eines Umweltschützers in Hamburg oder den Bombenanschlägen nach der Abstimmungsniederlage der Kernkraftgegner in der Schweiz gar nicht zu reden).

Dorthin, in genau dieses Milieu gehöre ich, falls ich meine gegen Wirtschaftswachstum, Großtechnik, destruktive Produktivität und verschwenderischen Konsum abzielenden Auffassungen am richtigen Platz in die Tat umsetzen helfen will. Ich gehöre nicht mehr, längst nicht mehr in die ohnehin um vieles sparsamer wirtschaftenden, materiell anspruchsloseren, bescheidener lebenden sozialistischen Länder, deren politische Führungskräfte, durch den westlichen Konsumerismus von außen und innen unter Druck gesetzt, die Vorzüge ihres Systems noch nicht bzw. in nur sehr engen Grenzen dazu ausnutzen können, ökologischen Erfordernissen vor der Ökonomie den Vorrang einzuräumen.

Natürlich setze ich mich dem Vorwurf aus, mit vorliegendem Ausbürgerungsantrag jetzt dieselbe Entscheidung zu treffen, die ich noch vor kurzem, im Sommer 1977 – und das obendrein öffentlich, in westlichen Massenmedien – an einigen Schriftstellern und Künstlern der DDR hart gerügt habe. Bitte übersehen Sie, Herr Vorsitzender, nicht den Unterschied: Ich wollte damals drohendem kulturellen Substanzverlust der Republik entgegenwirken, und solchen Verlust ihr selber zuzufügen, würde ich schuldig sein nur dann, wenn ich meinem ursprünglich eigenen Metier – der Publizistik, Kritik und Philologie, der Bearbeitung des Grenzgebiets von Literaturwissenschaft und Philosophiegeschichte – in den letzten Jahren noch treu geblieben wäre. Davon indes kann gar keine Rede sein. Schon mein zweites, umfangreicheres Buch über Jean Paul (erschienen 1974) habe ich nur ungern, mit schlechtem Gewissen vollendet, überzeugt, mir den Luxus nutzlosen Tuns zu leisten, und mich darüber hinwegtröstend mit dem Hintergedanken, mein gestiegenes Autoren-Renomée anschließend sogleich in die ökologisch-wachstumskritische Waagschale werfen zu können.

Womit gesagt ist: Die Republik verlöre in mir, wenn sie mich gehen ließe, gar keinen Kulturschaffenden mehr, sondern einen von futurologischen Ängsten besessenen Fanatiker, der im Land selbst sich bestenfalls auf die Rolle eines halbwegs loyalen Querulanten reduzieren ließe, ihr im Westen dagegen, bei der Schwächung der dem Klassenfeind zu Gebote stehenden technologisch-industriellen Kraft, noch gute Dienste zu leisten im Stande wäre.

Gute Dienste vor allem bei der Abwehr reaktionär ablenkender Manipulationen, denen die ökologistische Bewegung von Seiten desselben Klassenfeindes ausgesetzt ist. Die Grünen plädieren immer für eine weit vorausblickende Politik. Sie treten dafür ein, dass heute, jetzt, sofort die Weichen für das Leben noch ungeborener Generationen richtig gestellt werden. Und sie vergessen dabei mitunter nächstliegende, akute Gefahren, die aus Wettrüsten und Kriegsvorbereitung erwachsen und, wenn es nicht gelänge, sie zu bändigen, binnen kurzem solch unvorstellbare Zerstörungen herbeiführen würden, dass es gar keine Weichen mehr gäbe, die noch in irgendeine Richtung gestellt werden könnten. Die Grünen bringen aber andererseits auch, weil es ihnen so dringlich um die Erhaltung des Lebens auf der Erde geht, überaus günstige Voraussetzungen mit, vor solchem Vergessen bewahrt, ihm, wenn nötig, blitzschnell entrissen zu werden. Bedenken Sie bitte, Herr Vorsitzender, dass selbst ein erzbürgerlicher Vertreter des rechten Flügels der Grünen, der Bundestagsabgeordnete Herbert Gruhl, seinen Anfang Juli 1978 erfolgten Austritt aus der CDU in erster Linie damit begründet hat, dass diese Partei zur Neutronenbombe Ja und Amen gesagt hatte. Marxistisch geschulter Bündnispolitik dürfte es somit unschwer gelingen, den Kampf für den Frieden mit dem Schutz der natürlichen Umwelt, für die Schonung der Ressourcen zur Einheit zusammenzuschließen. Und meinen Einfluss dahingehend geltend zu machen, das wäre überhaupt die vornehmste Aufgabe, der ich mich im Westen zu widmen gedächte.

Ich gestehe, ziemlich unglücklich zu sein über den auch in der DDR mehr und mehr um sich greifenden Konsumerismus. Ich verurteile die Spraydosen, den motorisierten Individualverkehr, die Zersiedelung der Landschaft durch Eigenheime und Datschen und manches Ähnliche mehr. Aber mit jeder Zeile, jedem Wort der hervorragenden Rede, die Sie, Herr Vorsitzender, jüngst auf der Berliner Tagung des Weltfriedensrates gehalten haben, bin ich voll und ganz, ohne die geringste Einschränkung einverstanden. Eröffnen Sie – ich bitte Sie darum – durch Genehmigung meines Gesuchs mir die Möglichkeit, den Geist dieser Ihrer Rede mit den Bestrebungen der Ökologisten zu vermitteln.

Indem ich Ihnen um des Friedens willen, zum Segen des Volkes der DDR und im Interesse der arbeitenden Menschen aller Länder Gesundheit und weitere Erfolge wünsche, indem ich in Ihrer Person auch der SED den Gruß eines aufrichtigen Sympathisanten entbiete, verbleibe ich in Respekt und Ehrlichkeit Ihr Wolfgang Harich.

Andreas Heyer, Jahrgang 1974, ist Herausgeber der „Nachgelassenen Schriften“ Wolfgang Harichs. Die Edition erscheint seit 2013 im Tectum-Verlag und soll 2022 abgeschlossen sein. Über Harichs Aufenthalt im Westen informiert anhand vieler Briefe und Dokumente der Band „Das grüne Jahrzehnt“, der im Dezember erscheinen wird.