23. Jahrgang | Nummer 22 | 26. Oktober 2020

Trump hat die Welt turbulent verändert

von Lutz Kleinwächter

Der 45. Präsident der USA wird angesichts seiner stochastischen Führung in seiner Wirkmächtigkeit unterschätzt. Innerhalb von nur vier Jahren hat Donald Trump – je nach Sichtweise – mit destruktiver und/oder kreativer Rücksichtlosigkeit bei der Durchsetzung US-amerikanischer Interessen, die Weltpolitik offensiv verändert. Ein weiterer Versuch, die USA aus ihrer anhaltenden Machterosion herauszuführen. In den 1990er Jahren schienen sie die einzige Weltmacht zu sein. Die Zeiten dominanter Großmächte waren jedoch schon im Orkus der Wendegeschichte untergegangen. Eine globale Multipolarität war im Entstehen und führte zum anhaltenden Verlust an Durchsetzungsfähigkeit der US-Außenpolitik.

Der Trumpsche Autoritarismus ist geprägt von Deglobalisierung, Neo-Isolationismus und Konfrontation. Der Schwerpunkt machtpolitischer Projektion verschiebt sich dabei vom Militärwesen hin zur Ökonomie, zur Hochleistungstechnologie und in die Außenwirtschaft. Damit einher geht die Auflösung multilateraler Verträge, der Austritt aus internationalen Organisationen und die Einstellung der Beitragszahlungen. Brachial versuchen die USA, erneut einen globalen Systemkampf in Szene zu setzen. Grundüberlegung scheint eine historische Primitiv-Analogie à la Trump zu sein: Der Kalte Krieg im 20. Jahrhundert war geprägt vom bipolaren West-Ost-Konflikt zwischen den Hauptmächten USA und Sowjetunion. Der Kampf endete mit dem Sieg der USA. Die Sowjetunion wurde kaputtgerüstet. Im 21. Jahrhundert stehen die USA und ihre Verbündeten erneut in einem bipolaren Systemkampf – jetzt gegen den Hauptfeind China.

Nach der Vorausschau des Autors vom November 2016 lassen sich die außenpolitischen Aktivitäten der USA unter Trump heute, vier Jahre später, folgendermaßen resümieren:

Die Beziehungen USA-EU spitzten sich in der Trump-Ära zu. Die EU soll für den Systemkampf gegen China vereinnahmt werden oder ihr droht die politisch-ökonomische Schwächung durch Spaltung, letztlich ihre Zertrümmerung als imperialer Konkurrent. Ein Hauptziel ist dabei die „Unterwerfung“ Deutschlands, als stärkstem Staat Europas. Trumps Politik erzielte Wirkungen, wie die Auseinandersetzungen „Transatlantiker“ versus „Europäer“ in Deutschland sowie die zentrifugale EU-Fragmentierung – Extremfall Brexit – zeigen. Das ausgehandelte transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) wurde schon 2016, zu Beginn von Trumps erster Amtsperiode, fallengelassen und die Wirtschaftsbeziehungen fortlaufend mit Handels-, vor allem Zollstreitigkeiten belastet. Im NATO-Bündnis übten die USA massiven Druck auf die europäischen Verbündeten aus. Kristallisationspunkt ist die Forderung Trumps zur Erfüllung des NATO-Beschlusses von 2014 zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Insbesondere Deutschland wurde angezählt und 2020 ein „strafender“ Teilabzug von US-Truppen beschlossen. Das Festhalten Deutschlands – trotz gemeinsamer Sanktionen – an ökonomischen Beziehungen zu Russland und China wurde kritisch bewertet; das Minsk Format von 2015 zur Lösung der Ukraine-Krise wurde von den USA nur punktuell unterstützt; die Arbeit der OSZE lag offensichtlich nicht im Interesse der Trump-Regierung. In der Betrachtung der Beziehungen EU-Russland wurden strategische Konflikte und Widersprüche im transatlantischen Verhältnis sichtbar.

Mit Russland praktizierte Trump einen pragmatischen Umgang. Ein machtpolitischer „Deal“ USA-Russland wurde jedoch über die gesamte erste Amtszeit durch massive innenpolitische Störmanöver der Trump-Gegner sabotiert. Die Hauptvorwürfe drehten sich um die Präsidentschaftswahlen 2015, in erster Linie „Wahlmanipulation und Einmischung“ durch Russland. „Beweise“ dafür waren nicht tragfähig (siehe „Mueller-Report“ 2019). Auf dem Gipfeltreffen mit Russland 2018 unterstrich Trump den exklusiven Großmachtstatus beider – als dominante Atommächte, die weltweit über 90 Prozent der Raketenkernwaffen verfügen. Im Unterschied zu Obama, der Russland 2014 brüskierte und zur „Regionalmacht“ abwertete, ist es für Trump wichtig, einen Nukleardeal zu schließen (analog zu Nixon und Reagan). Das wurde von seinen innenpolitischen Gegnern im Kongress, durch die Falken in der Demokratischen und in der „eigenen“ Republikanischen Partei sowie durch Geheimdienste und Militärs massiv blockiert. Nach dem US-Ausstieg aus dem INF-Vertrag 2019 scheint der Prozess der nuklearen Rüstungsbegrenzung einem vorläufigen Ende entgegen zu gehen. Dennoch, ein Kompromiss zur Verlängerung des New START-Abkommens ist noch möglich.

Die Wirtschaftsbeziehungen der USA zum ökonomisch deutlich schwächeren Russland (im BIP-Vergleich etwa 10 : 1) spielten auch unter Trump keine Rolle. Einzig im Bereich der russischen Energieexporte versuchten die USA, die Beziehungen EU-Russland mit Sanktionen zum eigenen Konkurrenzvorteil und zur Schwächung Russlands zu torpedieren (Stichwort: North Stream 2).

Chinas rasanter Aufstieg – ökonomisch und militärisch – wurde als ernste Herausforderung für die USA im Ringen um globale Dominanz gesehen. Das Hauptfeld des Machtkampfes lag für die Trump-Administration im Bereich der Wirtschaft, insbesondere der modernen Technologien. Eine Entkopplung Chinas vom Westen durch Blockaden wurde vorangetrieben (Huawei, G5, Mikrochips). Angesichts der seit den 1990er Jahren zunehmend schwächelnden eigenen Ex- und Importwirtschaft sowie mit Blick auf die Handelsüberschüsse Chinas initiierte die US-Regierung gemeinsam mit dem Kongress Handels- und Zoll-Konflikte sowie ein Sanktionsregime, das einem Wirtschaftskrieg nahekommt. Kompromisse waren dabei nur kurzfristiger Natur. Das transkontinentale Strukturprojekt „Neue Seidenstraßen“ sollte durch Antibündnisse zum Scheitern gebracht werden. Massiv befeuerten die USA Konflikte zur politischen Destabilisierung Chinas. Stichworte: Hongkong, Uiguren, Tibet, Taiwan, Südchinesisches Meer. Der Ausbruch der Corona-Pandemie in China bot den Anlass für eine massive antichinesische Hetzkampagne, um das Versagen der Trumpschen Krisenpolitik zu verschleiern. Militärisch wird ab und an von einer Neuauflage der „Thukydides-Falle“ fabuliert. Diese fatalistische Kriegs-Apologie, das aufsteigende Mächte Großkriege gegen andere führen, ist schon seit 2300 Jahren fragwürdig; im Zeitalter der Kernwaffen, im Hinblick auf China und die USA jedoch vollends absurd. Trump forderte die Einbindung Chinas in die strategische Rüstungskontrolle. In diesen Zusammenhang sind auch die Gipfeltreffen mit Nordkorea 2018 und 2019 einzuordnen.

Die US-Regionalpolitik unter Trump war geprägt von pragmatischen Kosten-Nutzen-Überlegungen. Wesentliches Element war der bereits im Wahlkampf 2015 verkündete und mehrfach von Trump bekräftigte Rückzug aus „lächerlich endlosen Kriegen“. Das betrifft besonders den Großraum des Nahen und Mittleren Ostens: Realisiert wurden US-Teilrückzüge aus Syrien und dem Irak. Aus Afghanistan soll der vollständige Abzug bis Jahresende abgeschlossen werden – entsprechend dem Vertrag mit den Taliban. Trump ist kein militärischer „Interventionist“. Im Unterschied zu seinen Vorgängern Clinton, Bush jr. und Obama, die völkerrechtswidrig Kriege begannen und militärische Konflikte ausweiteten.

US-Hauptverbündeter im Nahen und Mittleren Osten bleibt Israel. Trump verlegte die US-Botschaft nach Jerusalem und initiierte die Friedensverträge Israels mit den VAE und Bahrein. Die Maßnahmen sind auch Teil des von der Trump-Administration angestrebten „regime changes“ im Iran – zusammen mit der Aufkündigung des Kernwaffendeals mit Teheran, einer erneuten Verschärfung der US-Sanktionen und der Förderung einer israelisch-arabischen Allianz gegen das Land.

Die internationale Staatenwelt befindet sich in einem Prozess gewaltiger Umbrüche. Autoritäre und antidemokratische Herrschaftsmethoden in den Zentren der Weltpolitik – USA, China, Russland, Indien und auch innerhalb der EU – nehmen zu. Unabhängig davon welcher Kandidat (Trump oder Biden, willy-nilly) die anstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA für sich entscheidet, die US-Politik, respektive die Weltlage bleiben hochgradig instabil. Die von Trump zugespitzte neokonservative Politik des „Amerika First“ und der partiellen Deglobalisierung hat Tiefenwirkung. Sie wird die Neuformierung des globalen Kräfteverhältnisses sowie die regionalen Machtkämpfe auch in den nächsten Jahren eines konfrontativen „Kalten Friedens“ prägen.