23. Jahrgang | Nummer 20 | 28. September 2020

Wenn der Schwanz mit dem Hund

von Jan Opal, Gniezno

Fast wäre Polens Regierungslager auseinandergefallen. Justizminister Zbigniew Ziobro glaubte sich seit der im Juli gewonnenen Wahlschlacht auf der Rechtsaußenflanke der Nationalkonservativen profilieren zu müssen, indem er mal diesen, mal jenen Haken schlug. Unter Druck gesetzt werden sollte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, den er nicht ausstehen kann. Der Krug ging zum Brunnen, bis schließlich Jarosław Kaczyński der Kragen platzte. Der nun suchte die schnelle Entscheidung.

Einst nahm der ehrgeizige Ziobro die Rolle des Kronprinzen ein, viele setzten auf ihn, sobald es um die künftige Nachfolge Kaczyńskis ging. Doch Ziobros Vorstellungen zerstoben an der rauen Wirklichkeit, Kaczyński schmiss ihn einfach raus. Der Geschasste suchte den neuen Anlauf mit einer eigenen rechtskonservativen Partei – dem Solidarischen Polen. Als solche trat sie 2015 einem größeren nationalkonservativen Block bei, in dem allerdings Kaczyńskis Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) unangefochten den Ton vorgibt. Auf dem gemäßigt konservativen Flügel bildet übrigens Jarosław Gowin, der bereits im Frühjahr dieses Jahres in den offenen Clinch mit Kaczyński geriet, das Gegenstück. Anders gesagt: Die im Sejm über die absolute Mehrheit verfügende nationalkonservative Fraktion setzt sich zwar aus drei unterschiedlichen Parteien zusammen, doch hat nur die große Kaczyński-Partei tatsächlich das Zeug, ins Parlament einzuziehen, um dann die beiden anderen noch mitzunehmen. Die werden gebraucht, um die äußeren Flanken zu besetzen, so dass die Abgrenzung gegen die Nationalisten-Faschisten einerseits und die moderaten Konservativen andererseits in jeder Hinsicht stimmt.

Nach der Wiederwahl Andrzej Dudas zum Staatspräsidenten kündigte Kaczyński für den Herbst eine umfangreiche Umbildung der Regierung an, nur Ministerpräsident Morawiecki sei seines noch Amtes sicher, hieß es etwas übertrieben aus der Umgebung des Parteiführers. Zugleich sollte Morawiecki den wichtigen Posten des Stellvertreters in der Kaczyński-Partei bekommen. Ziobro machte Kaczyński daraufhin ein anderes Angebot: Das Solidarische Polen löse sich auf und marschiere in die Reihen von PiS, Ziobro aber werde ebenfalls zum Stellvertreter Kaczyńskis ernannt. Dieser lehnte umgehend ab, nun war der Justizminister wieder am Zuge.

Keck blies er im August – ohne weitere Rücksprache – zur ideologischen Offensive, wollte plötzlich, dass Polen die Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt verlasse, provozierte mit unglaublichen, auch brutalen Mitteln das Milieu von Lesben und Schwulen. Sein Argument: Nun sei die Zeit gekommen zu handeln, nicht nur zu reden. Er wollte Morawiecki in der Öffentlichkeit als einen Maulhelden vorführen, wo es doch darauf ankomme, bei der Verteidigung des öffentlichen Raumes gegen die gefährliche Ideologisierung von links den ganzen Mann zu zeigen. Im Grunde versuchte er, endlich in die sichtbare Tat zu setzen, wozu andere – auch Kaczyński – seit Monaten und Jahren immer wieder aufriefen: die Verteidigung der christlichen Fundamente unserer Zivilisation.

Anfang September war allerdings klar, dass es so nicht weitergehe, dass eine künftige Regierung die beiden Hauptprotagonisten – Morawiecki und Ziobro – nebeneinander nicht mehr aushalten werde. Eine Entscheidung musste her, die nun Kaczyński auf unnachahmliche Art fällte. Dem Quasi-Koalitionspartner wurde zunächst brutal der Stuhl vor die Tür gesetzt, allerdings mit der klitzekleinen Möglichkeit, in letzter Minute doch noch einmal zu Kreuze zu kriechen, weil Kaczyński und PiS sehr wohl in der Lage seien, die Regierung anders weiterzuführen oder sogar vorzeitige Neuwahlen zu riskieren. Nach einem qualvollen Wochenende kapitulierte der Justizminister, er wolle auf dem Posten bleiben, hieß es jetzt, akzeptiere die von Kaczyński gestellten Bedingungen. Nichts war am Montag danach noch übrig von dem kampfeswütigen Ziobro, der Ritter aus dem Hochsommer streckte die Waffen. Jede politische Initiative des Solidarischen Polen solle künftig, bevor sie das Licht der Öffentlichkeit erblicke, erst mit der PiS-Führung, also mit Kaczyński abgesprochen werden.

Um den Konflikt zwischen dem spürbar geschwächten Justizminister und Morawiecki jetzt im Lot zu halten, will Kaczyński wohl selbst ins Regierungsgeschäft einsteigen. Er könnte, so wird kräftig gemunkelt, künftig ein Sicherheitskomitee leiten, dem die Aufsicht über das Justiz-, das Innen- und das Verteidigungsministerium obläge. Beim Blick zurück stolpert der Betrachter über Józef Piłsudski, denn der hatte seinerzeit auch gerne versucht, aus ähnlicher Position die Zügel in der Hand zu halten. Und in der angelegten Konstruktion dieser Republik sind es jene Ministerien, die unter Lech Wałęsa und Aleksander Kwaśniewski mehr oder weniger im gesicherten Einflussbereich des Staatspräsidenten verblieben. Jetzt übernimmt also der Parteiführer!