Das Geld ist eine Schlüsselkategorie der Ökonomie und die Geldtheorie mithin ein Forschungsgebiet der Wirtschaftswissenschaften. Diese aber verfolgen seit Ablösung des Merkantilismus, also spätestens seit Adam Smith, eine Doktrin, wonach alle wesentlichen Beziehungen und Abläufe in der Wirtschaft realen Charakters sind, und das Geld mithin „neutral“, also eigentlich unwichtig ist, nur ein „Schleier“, der über den realen Prozessen liegt. Am deutlichsten ausgesprochen hat dies 1848 John Stuart Mill, indem er behauptete, dass es in Wirtschaft und Gesellschaft „nichts Bedeutungsloseres“ gebe „als Geld“. Auch wenn diese Auffassung mehr als einmal widerlegt worden ist, so wurde sie vom Mainstream doch aufrechterhalten und bildet sie bis heute eine grundlegende Annahme der neoklassischen Ökonomik und ökonometrischer Modelle. Die Folge ist, dass die Geldtheorie in der wirtschaftstheoretischen Arbeit vernachlässigt wurde und das Geld hier oftmals eine geradezu stiefmütterliche Behandlung erfuhr.
Dies aber erwies sich für andere Disziplinen gerade als Chance. Sie erblickten hierin eine willkommene Gelegenheit, ihr Terrain auszudehnen und sich das Geld als Gegenstand ihrer eigenen Forschungs-, Lehr- und Publikationstätigkeit anzueignen. Zuerst war es die Geschichte, dann die Soziologie, schließlich die Philosophie, die ihre Hände nach dem Geld ausstreckten. Dann kamen die Kultur- und Religionswissenschaften, die Anthropologie und Ethnologie, die das Geld für sich entdeckten. Jetzt sind es Philologen, Sprach- und Literaturwissenschaftler, die das „Geld“ als ihre Beute ansehen, sich intensiv damit befassen und die Welt dann mit ihren linguistischen Erkenntnissen überraschen.
Grundsätzlich sind alle Bemühungen, dem Geld neue Eindrücke und Facetten abzugewinnen, als Bereicherung aufzufassen. Nicht zuletzt profitieren schließlich auch Ökonomen davon, wenn sich Nichtökonomen mit ihrem Gegenstand befassen. Trans- und Interdisziplinarität sind Errungenschaften in der wissenschaftlichen Arbeit, die nicht infrage gestellt werden sollen. Es gibt hier jedoch ein Problem, das das positive Urteil einer nichtökonomischen Beschäftigung mit monetären Themen mitunter trübt. Dies ist die Tatsache, dass es sich beim Geld, wenn auch nicht ausschließlich, so doch vor allem, um eine ökonomische Kategorie handelt, wozu es bereits einen Fundus an ökonomischem Wissen gibt. Dies scheinen einige fachfremde Autoren zu vergessen, wenn sie sich dem Geld und der Diskussion monetärer Phänomene widmen. Es darf daher nicht verwundern, wenn es als Reaktion hierauf zu kritischen Meinungsäußerungen von Ökonomen kommt. Dabei geht es weniger um interdisziplinäre Konkurrenz als um methodologische Disziplin und wissenschaftliche Bescheidenheit.
Das jüngste Beispiel für eine übergriffige Beschäftigung mit geldtheoretischen Problemen stellt das neue Buch von Eske Bockelmann „Das Geld“ dar. Der Autor, seiner Profession nach klassischer Philologe und Germanist, geht hier drei Problemen auf den Grund: erstens der Frage, wie eine Welt ohne Geld ausgesehen haben könnte, zweitens der Fragestellung, wie das Geld in die Welt gekommen ist und drittens dem Problem, was das Geld eigentlich ist. Das Buch ist flott geschrieben und auch für einen größeren Leserkreis gut verständlich. Neben vielen Vorzügen weist es aber auch einige Schwächen und Fehler auf. Die Grundkonzeption des Werkes ist eindeutig geldkritisch. Dies wird gleich auf den ersten Seiten deutlich, wenn der Autor (s)ein „heftiges Unbehagen“ gegenüber dem Geld erklärt und betont, dass dieses „zu Recht“ besteht und immer weiter zunimmt. Als Alternative entwirft er das Bild einer „Welt ohne Geld“. Als Quellen dienen ihm dafür die Ilias und die Odyssee, Herodot, Aristoteles, das Nibelungenlied, Hartmann von Aue, David Graeber und Karl Polanyi. Seine „Welt ohne Geld“ ist eine glückliche Welt und sie reicht sehr weit in die historische Zeit hinein, bis an die Schwelle zum Kapitalismus. Eine Auseinandersetzung mit Wirtschaftshistorikern oder anderen Forschern über die Geldentstehung und über archaische Geldformen vermeidet der Autor. Sein einziger Kontrahent ist ein anderer Nichtökonom, Christoph Türcke, der in seinem Buch „Gier“ ganz ähnlich wie Bockelmann argumentierte, dabei aber zu einem gänzlich anderen Ergebnis gekommen ist: Für ihn ist Geld kein Resultat zivilisatorischer Entwicklung. Er geht vielmehr davon aus, dass bereits die ersten Hominiden im Besitz von Geld gewesen sind. Eine derart steile These lässt sich kaum mehr toppen. Unser Autor tendiert deshalb zum entgegengesetzten Extrem: Für ihn gibt es richtiges Geld erst seit Beginn der Neuzeit! Dies gelte im Übrigen, so Bockelmann, auch für vieles andere, für den Staat, der zeitgleich mit dem Geld entstanden sein soll, für den Kredit, für die Warenproduktion, für das private Eigentum et cetera. Bockelmann erzählt anhand hübscher Geschichten, alter Sagen und moderner Mythen, wie sich das mit dem Geld in der Weltgeschichte zugetragen hat und erklärt den Lesern dabei das „kleine Einmaleins“ noch einmal. Diesmal aber ganz anders, als es die meisten in Erinnerung haben. Um seine originellen Thesen halbwegs plausibel darstellen zu können, unternimmt er einen Kunstgriff und erklärt kurzerhand alles Geld zu Kapital. „Geld ist Kapital“ – so lautet seine Kernthese. Und alle bisherige ökonomische Theorie von Ricardo über Marx und Schumpeter bis zu Paul Mason ist damit abgetan. Endgültig. Dies allein schon deshalb, weil diese auf der „irrigen Unterscheidung zwischen Geld und Kapital“ beruht. Auch wenn sich einige Ausführungen Bockelmanns durchaus amüsant und mit einem Gewinn an literarischer und philologischer Bildung lesen lassen, so dürfte das Buch insgesamt, ethisch, politisch und ökonomisch, eher zu einer Fehldiagnose und -orientierung beitragen. Denn nicht das Geld ist für alle Fehlentwicklungen des Kapitalismus, für die sozialen Probleme, die Armut in der Welt, die Umweltkrise und so weiter verantwortlich, sondern das Kapital, der neoliberale Kapitalismus, vielleicht auch Donalds Trump und Co. Davon aber will unser Autor absolut nichts wissen. Für ihn wäre die komplette Abschaffung des Geldes die einzig richtige Lösung. Ein Festhalten daran, so sein Fazit, wäre dagegen ein großer Fehler, der nicht nur den vor dreißig Jahren untergegangenen Sozialismus zu Fall gebracht hat, sondern der uns auch heute in eine Katastrophe führen wird. – Ich habe das Buch mit Ausdauer und großer Geduld gelesen. Eine Kaufempfehlung aussprechen möchte ich dafür aber nicht.
Eske Bockelmann: Das Geld. Was es ist, das uns beherrscht, Berlin: Matthes & Seitz 2020, 368 Seiten, 28,00 Euro.
Schlagwörter: Eske Bockelmann, Geld, Kapital, Ulrich Busch