Hin und wieder war und ist die Insel Rügen Drehort für Kino-, Fernseh- und Dokumentarfilme und Fernseh-Serien. Begonnen hat es vor mehr als 100 Jahren mit dem längst vergessenen, 1910 in Sassnitz von der „Deutschen Mutoskop- und Biograph GmbH“ gedrehten Kurz-Stummfilm „Pro Patria“ des französischen Filmpioniers Charles Decroix. Über den Filminhalt ist nur bekannt, dass er sich um ein U-Boot drehte.
Rügen fungierte im Laufe seiner Filmgeschichte häufig „nur“ als Kulisse, etwa in „Die Heiden von Kummerow und ihre lustigen Streiche“, einem 1967 gedrehten ersten gemeinsamen Film der Bundesrepublik und der DDR, für den die rügenschen Orte Vilmnitz, Putbus und Bergen als Szenerie für das pommersche Dorf Kummerow dienten.
Die Insel gehörte aber in anderen Filmen auch unmittelbar zur Handlung, so in dem 1931/32 durch die Aafa-Film AG (Berlin) unter Leitung von Regisseur Victor Janson gedrehten Schwarz-Weiß-Film „Lügen auf Rügen“, in dem Binz eine „tragende Rolle“ spielt. Der Inhalt ist schnell erzählt: Ein Bauernmädchen, dessen Foto ohne Wissen der Abgelichteten verschickt worden war, gewinnt im Rahmen eines Wettbewerbs für Zahnpasta-Werbung der Firma „Dändanin“ einen Urlaub auf Rügen. Die Verwirrungen im Ferienort an der Ostsee beginnen, als die Wirtin der Binzer Pension „Seeblick“ den Namen der ahnungslosen Preisträgerin statt „Fräulein Vanda Bilt“ als „Fräulein Vandabilt“ missversteht und schlussfolgert, dass es sich nur um eine US-amerikanische Millionärin handeln könne. Entsprechend fallen Empfang und Bedienung aus, was die Gewinnerin des Wettbewerbs als Teil des Preises fehldeutet. Bald findet sie Gefallen an den nun folgenden zahlreichen Avancen (unter anderem durch einen persischen Prinzen sowie einen verheirateten Geschäftsführer der Zahnpasta-Firma) und verstrickt sich immer mehr in den „Lügen auf Rügen“. Zum Schluss gibt es „natürlich“ ein Happy End: Als die Gefahr der Verhaftung wegen des Verdachts der Hochstapelei droht, offenbart sich der Absender des Fotos (dargestellt durch Paul Hörbiger) gegenüber Vanda Bilt, kann sie von seinen lauteren Motiven überzeugen und zieht mit ihr (Originaltext im Filmprospekt:) „ihrem Glück entgegen“. Untermalt wird der Film mit Liedern von Marc Roland, zu denen ein Dr. Johannes Brandt Texte lieferte – wie: „Für den Zahn, für den Mund, ist probat und gesund, Dändanin“. Der leichte Unterhaltungsfilm bediente die Vorstellung von einem idealen Urlaub Anfang der 1930er Jahre und war deshalb durchaus erfolgreich. In Österreich lief er unter dem Titel „Das Bademäuschen“; auf dem „Illustrierten Filmkurier“ wurde der ursprüngliche Titel einfach überklebt.
1931 kam es zu Querelen um „Lügen auf Rügen“. Die Filmprüfstelle Berlin hatte die Zulassung zur Vorführung des Streifens vor Jugendlichen wegen befürchteter Gefährdung der sittlichen Entwicklung durch die „gezeigten geschäftlichen Methoden und die freiheitlichen Auffassungen des ehelichen Lebens“ untersagt. Die Aafa-Film AG legte dagegen Beschwerde ein, die vor der Film-Oberprüfstelle verhandelt und kostenpflichtig zurückgewiesen wurde. In der Begründung hieß es, dass die Wirkung des Films nicht so tiefgreifend sei, dass Jugendliche durch ihn tatsächlich zu Spekulanten, Betrügern oder Hochstaplern und in ihrer Einstellung zur Ehe wankend würden, wie die Prüfstelle moniert hatte. Allerdings hielt man den „Verbotstatbestand der Gefährdung der geistlichen Entwicklung“ für gegeben, weil Jugendliche nicht von so scharfer Urteilskraft seien, dass sie Schein und Wirklichkeit der im Film unernst dargestellten „gewisse(n) bedenkliche(n) Erscheinungen des Lebens“ unterscheiden könnten.
Interessanter als der Inhalt sind die Umstände rund um den Film und einige seiner Akteure.
Die literarische Grundlage für das von Heinz Goldberg geschriebene Drehbuch, der gleichnamige „lustige Roman“ von Dolly Bruck, erschien 1929 im Verlag der Münchener Illustrierten Knorr & Hirth. Dolly Bruck war ein Pseudonym von Hans Mahner-Mons, Dramaturg, Schriftsteller, Drehbuchautor, Verfasser okkultistischer Kriminalgeschichten und Librettist, der auch als Hans Possendorf firmierte. Seine Werke werden von einigen Rezensenten als „recht fragwürdige literarische Erzeugnisse“ charakterisiert, er selbst wird als „polyglotter Weltenbummler“, auch als „erfolgreicher Vielschreiber“ bezeichnet.
Drehbuchautor Heinz Goldberg, jüdischer Herkunft, musste 1933 Deutschland verlassen und ging nach Wien, 1936/37 in die Sowjetunion, danach wieder nach Wien. Als Österreich 1938 „angeschlossen“ wurde und jüdische Bürger auch in Österreich verfolgt und terrorisiert wurden, konnte er über die Schweiz und Frankreich nach London fliehen. Neben „Lügen auf Rügen“ schrieb Goldberg zwischen 1923 und 1936 24 Drehbücher für Kinofilme und/oder führte dabei Regie (erstes Drehbuch und erste Regie für den Stummfilm „Paganini“). Mindestens zwei Filme, an denen Goldberg beteiligt war, wurden von den Nationalsozialisten verboten oder gar nicht erst aufgeführt, darunter die in Österreich gedrehten Filme „Letzte Liebe“ (1935) und „Heut‘ ist der schönste Tag in meinem Leben“ (1936) wegen der Beteiligung von jüdischen Schauspielern und Produzenten.
Regisseur Victor Janson, zunächst Schauspieler, begann ab 1918 auch als Regisseur zu arbeiten (zuerst für den teilweise im jüdischen Viertel Warschaus gedrehten Stummfilm „Der gelbe Schein“ mit Pola Negri in der weiblichen Hauptrolle). Filmografien verzeichnen ihn bei mehr als 120 Filmen als Schauspieler und in mehr als 40 Fällen als Regisseur. In den Besetzungslisten der frühen DEFA-Produktionen „Figaros Hochzeit“ (1949) und „Das kalte Herz“ (1950) ist Janson als Schauspieler verzeichnet.
Kameramann Friedrich Konrad Guido Seeber galt zu seiner Zeit als Filmpionier, entwickelte zahlreiche Tricktechniken und drehte ab 1909 seine ersten Filme, darunter 1910 den amüsanten Trickfilm „Die geheimnisvolle Streichholzschachtel“. Seeber war als technischer Betriebsleiter der 1899 gegründeten Filmproduktionsgesellschaft „Deutsche Bioscop GmbH“ 1911/12 am Aufbau der späteren „Filmlandschaft Babelsberg“ beteiligt. Er drehte für zahlreiche Filmgesellschaften, darunter ab 1927 für die Aafa-Film AG. 1935 wurde er Leiter der Abteilung Filmtrick der 1917 gegründeten „Universum Film AG“ (Ufa) im Studio Neubabelsberg.
Die Darstellerin der Vanda Bilt wurde 1907 als Maria Stern geboren und ging nach Besuch einer Ballettschule zunächst als Tänzerin auf Tournee. Ihr Vater, ein späterer Direktor bei der AEG, war gegen eine Karriere beim Theater, und soll gesagt haben, „Maria soll weg vom Theater!“. Maria verballhornte „soll weg“ zu ihrem Künstlernamen „Solveg“, unter dem sie weiterhin als Tänzerin, bald auch mit ersten Sprechrollen auf der Bühne und in ersten Filmrollen auftrat. 1924 heiratete sie den Regisseur Ernst Matray, mit dem sie bereits zusammengearbeitet hatte. 1933 musste das Ehepaar aus Deutschland emigrieren; Maria Solveg produzierte als Choreographin zusammen mit ihrem Mann Tanz- und Spielfilme in den USA. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland (1953) schrieb sie auch Skripte für Fernsehfilme. In den 1960er und 70er Jahren wurde sie bekannt für ihre mehrfach ausgezeichneten Dokumentarspiele für das Fernsehen. Im Internet wird Maria Solveg als Allein- oder Mitautorin von sieben Büchern und drei Theaterstücken, als Darstellerin in 19 Filmen sowie als Allein- oder Coautorin von 34 Drehbüchern zu Filmen und Dokumentationen registriert, darunter der TV-Serie „Affäre Dreyfus“ (1968) und der Krimi-Serie „Sonderdezernat K 1“, zu der die Solveg die Bücher für zwölf Folgen beitrug (1972–1975).
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