Meine Fundstücke im Kunstgestrüpp: Erst Wessis und Ossis im Zirkus, danach in der Wohnküche …
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Die Deutsche Bank feiert 1990 das beste Gewinnerjahr ihrer Geschichte; im Osten springt die Arbeitslosenzahl von Null auf mehr als vier Millionen; die Gehaltsdivergenz zwischen Ost und West beträgt gegenwärtig bis zu 1000 Euro; 80 Prozent der Ost-Führungsposten besetzen bis heute Westle … So (und so weiter) steht es geschrieben auf dem eisernen Vorhang, bevor der sich hebt zum „postzirzensischen Kessel Buntes, einem deutschen Theater im Deutschen Theater“ (korrekt: in dessen Kammerspielen). So viel zu Vorwort und Untertitel der Berliner deutsch-deutschen Befindlichkeitsshow von Jürgen Kuttner und Tom Kühnel mit dem machohaften Titel „Hasta la Westler, Baby!“
Klaro Baby, dass bei dieser Jubiläumsfeier zur Wiedervereinigung die coolen Westler die Cowboys sind und die Ostler die armen Indianer. So stand es ja quasi schon gepinselt auf dem Eisernen. Und so geht es weiter hin und her zwischen – so Kuttner selbstironisch – Quatsch und Reflexion, wobei deren Rezeption wiederum einigermaßen abhängt von Kenntnisstand und Standpunkt des Betrachters.
„Hat sich viel verändert in 30 Jahren Einheit?“, fragt eingangs hämisch Jürgen Kuttner im feinen Entertainer-Frack und zieht bei der Antwort diabolisch die Augenbrauen hoch: „Ein bisschen schon!“ Doch keiner wolle heutzutage behaupten, alles habe hundertprozentig geklappt. Womit – erst mal – sämtliche Kenntnisstände und Standpunkte vereinigt wären.
Aber das ändert sich schnell, was Absicht ist. Und Widerspruch, Nachdenklichkeit, Wut oder Häme provoziert in allen Lagern. Sowie reichlich Gelächter, was wiederum das Beste ist an diesem grellen Mix aus schmerzlichen Tatsachen und Phantomschmerzen, aus betonierten Vorurteilen und kalten Tatsachen, aus unverschämten Halbwahrheiten, peinlichen Blödeleien und frechen Scherzen, die alle sehr direkt oder bloß irgendwie mit deutsch-deutschen Befindlichkeiten zu tun haben.
Überhaupt, ohne nachhaltiges Kopf- und Bauchweh genießbar wird diese nostalgisch gefärbte Melange zum einen durch die zirzensische Könnerschaft des Ensembles, anderseits durch den teils subtilen, teils brachialen Kühnel-Kuttner-Humor, dem Zynismus so wenig fremd ist wie Selbstironie.
Wird doch der Riss, der durchs Deutsche geht, schon geografisch vorgeführt. Mittels einer Landkarte „Das ostelbische Deutschland im 18. Jahrhundert“ sowie des Kommentars des englischen Historikers James Hawes (Jahrgang 1960; gespielt von Peter René Lüdicke): „Man hätte die Elbe nie überqueren sollen. Ostdeutschland war von Anfang an ein Fehler.“ So viel zur Wurzel allen Übels …
Dann gibt es eine historische Hütchenspiel-Nummer namens „Einigungsvertrag“ als postdramatisch-zirzensisches Reenactment mit Katrin Klein und Bozidar Kocevski, der einem Springteufel gleich aus der Schachtel springt und goldene, goldige, eherne Worte der Vertragsverhandler ausstößt. Eine brisante Collage. Die Herren Krause & Schäuble dürften den Kopf schütteln. Oder?
Eine andere Nummer das Speed-Dating mit Maren Eggert als neunmalklug Verständnis heuchelnde Westzicke und Lüdicke als tumber Ossi-Bär. Am Ende verkrampfte Umarmung nahe dem Erstickungstod. Oder die Nummer mit Kuttner, der sich nackt macht, sorgfältig mit Öl einschmiert und in einen Glaskasten steigt voller Federn, dazu aus dem Off O-Ton Honecker mit seiner Verteidigungsrede anno 1992, zu der Kuttner sich „federn“ lässt.
Ohne viel Federlesen zwischendurch immer wieder die Tonspur mit eingesprochenen Bruchstücken aus Michael Eberths Erinnerungsbuch „Einheit“ (im Alexander Verlag Berlin). Eberth war der hochmögende West-Dramaturg, der nach 1990 vom Intendanten Thomas Langhoff engagiert wurde, um das Ost-DT auf zeitgenössisch-westlich-gesamtdeutsche Diskurshöhe zu bringen. Eberth fremdelte notorisch, fand weder den rechten Ton zum erfolgsverwöhnten Ensemble noch die rechten Stücke der Stunde, scheiterte auf ganzer Linie und verschwand alsbald. Ein auch für Eberth peinlicher Versuch (der mürrische Graukopf saß zur Premiere im Saal), Momente der ziemlich komplexen DT-Wendegeschichte mit einigen Erinnerungsfetzen eines kurzzeitig Betroffenen zu illustrieren. Doch was ist schon komplex in einer Remmidemmi-Revue. Da bestechen ein paar Spotlights, ansonsten unterhält Kunterbuntes, was freilich Geschmackssache ist. Doch wer Lust auf Trash hat …
Deshalb flugs weiter mit poppigen Nummern voll Schlagergesangs aus Bonner und DDR-Berliner Zeiten (Live-Musik: Matthias Trippner), dazwischen Politsong-Geschunkel mit Becher-Eislers Leninlied „Er rührte an dem Schlaf der Welt“ und Funny von Dannens „Bundesadler“-Song. Ein Kessel Buntes eben. Mit Indianern und Cowboys im diversen Waschsalon. Und natürlich mit Abba „The Winner Takes It All“.
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Da hat die Dramaturgie tief in den Archiven gewühlt – ihr Fundstück: Ein Script von Jurek Becker fürs Fernsehen Anfang der 90er Jahre „Wir sind auch nur ein Volk“. Schon der Titel stellt klar: Es geht ums Deutsch-Deutsche, um Annäherungen und Abstoßungen, und es geht lustig zu. Beckers skizzenhafter Text war wohl die Vorstufe eines größeren Fernsehprojekts, nämlich einer Familienserie, die gesellschaftspolitische Friktionen mit Witz ins Persönlich-Intime übersetzt und in Küchen, Wohn- und Schlafzimmer kräftig krachen lässt. Immerhin sendete das Erste 1994/95, drei Jahre vor Jurek Beckers frühem Tod, ein paar Folgen – alles längst vergessen.
Und jetzt im Potsdamer Hans-Otto-Theater wieder ausgegraben. Passt ins Jubiläum 30 Jahre Wiedervereinigung; die entsprechenden Konflikte sind ja bis heute nicht kleiner geworden.
Zum Gerüst der Story: Die ARD plant eine Serie – ein Straßenfeger soll’s werden – übers konfliktreiche Zusammenkommen von Ost und West, chartert den Autor Steinheim (Reneé Schwittay), der sich eine typische Ex-DDR-Familie suchen soll zur Grundlagenforschung und „authentischen Recherche“. Das Säckel für Spesen und Honorare ist prall gefüllt, und auch Familie Grimm, das Studiensubjekt, kann Geld gut gebrauchen.
Papa Grimm (Jon-Kaare Koppe), Dispatcher, ehemals SED, ist langzeitarbeitslos; Mutter Grimm (Kristin Muthwill) war und ist Lehrerin; Sohn Theo (David Hörning) ist abgebrochener Philosophiestudent und sein Opa (Joachim Berger) Rentner. Des Weiteren geistern noch Schwäger und Schwägerinnen, Freunde und Freundinnen in grotesk komischen, albernen oder traurigen Auftritten durchs Grimmsche Gehäuse.
Dafür baute die ingeniöse Bühnenbildnerin Susanne Maier-Staufen einen wie im DDR-Nostalgiemuseum zu bestaunenden Wohnturm, aus dem sich beim Drehen immerzu neue Kemenaten wundersam herausklappen lassen.
Unser mit Tonband, Stift und Fotoapparat bewaffneter ARD-Forscher hat also unentwegt zu tun, den leicht prekären, von diversem allgemeinmenschlichen Zwist überlagerten Grimmschen Alltag zu beobachten. Er entdeckt erquickliches Material wie der Osten, aber auch wie der Westen tickt. Findet jede Menge Vorurteile, aber auch jede Menge Wahrheiten – schöne und schlimme.
Doch Papa Grimm meint – Jon-Kaare Koppe als lakonischer Komödienkönig im Spiel –, alles noch drastisch anreichern zu müssen. Auch, um die öffentlich-rechtliche Geldquelle am Sprudeln zu halten. So engagiert er einen Kumpel, der den ehemaligen Schlapphut mimt, um gehörig Stasi-Geruch, Altlast-Frust und Widerstandsgeist zu verbreiten.
Dem Genre der Serie gemäß könnte man das aufschlussreich komische Spielchen zwischen den liebenswert schlitzohrigen Grimms und dem netten naiven ARD-Autor fortschreiben bis ins Unendliche. Doch ohne Vorwarnung stoppt die Fernsehzentrale das Projekt. Kein Geld mehr für Grimms. Keinen Job mehr für Steinheim. Schluss mit lustig, gerade als man sich anschickte, einander freundschaftlich näher zu kommen.
Das alles klingt nach großer Komödie, bleibt aber vom Autor bloß angedeutet. Also strengt sich Regisseur Maik Priebe mächtig an, die auf Brettel-Höhe kabarettistisch angesiedelten Szenen und Szenchen aufs große Format zu wuchten und mit langem Atem für „Figurentiefe“ hingebungsvoll auszumalen. Gut zwei Stunden lang. – Aber: Viel Gepinsel und Gekleckse machen noch kein starkes Bild. Hätte er doch nur die Chose als kompakt grellen, schnellen Comic dem vergnügungssüchtigen Publikum vor den Latz geknallt. Trotzdem viel verständnisinniger Beifall.
Schlagwörter: Deutsches Theater, Hans-Otto-Theater, Jurek Becker, Jürgen Kuttner, Reinhard Wengierek, Tom Kühnel