Im Advent, der Zeit der Besinnlichkeit und Einkehr, kochte im Blättchen-Forum eine Kontroverse um die AfD hoch. Sie hält an und sollte nachgearbeitet werden.
„Wer Visionen hat, der sollte zum Arzt gehen“, meinte Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt zu einer Zeit, als man Rechtsradikale in der BRD noch weitgehend mit der NPD assoziierte. Trotzdem gibt es Parallelen. Die „Visionen“ der AFD zeigten sich über die Jahre in der Gestalt des Euro, des Migranten und des Islams, auch des Wolfes und in Gestalt von Greta.
Die AfD machte und macht daraus angstbesetzte Szenarien – und wird gewählt. Beileibe nicht von allen, aber von viel zu vielen. Warum?
Um es mal so zu versuchen: 1955 wurde in Österreich die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) gegründet. Die Historikerin Margit Reiter deckte in ihrem Buch „Die Ehemaligen“ die personellen wie ideologischen Kontinuitäten zwischen der FPÖ und dem deutschen Faschismus auf. Die ersten Bundesparteiobmänner (Vorsitzende) waren hohe SS-Offiziere; insgesamt hatten sie das Parteiamt bis 1978 inne. Einer war auf der ersten österreichischen Kriegsverbrecherliste erfasst, die SS-Division des anderen war nicht nur an Massakern im Osten beteiligt, sondern hatte auch das jenes in Oradour/Frankreich zu verantworten. In der Bundesrepublik gab und gibt es ebenfalls mehr oder weniger (neo)faschistische Parteien wie die Republikaner, die DVU, DP, die NPD und andere; bis auf die DP („Deutsche Partei“) waren derartige Gruppierungen nie im Bundestag vertreten.
Jörg Meuthen, einer der Bundessprecher der AfD, sieht in der FPÖ „programmatisch unsere Schwesterpartei“. Nun soll nicht der Kurzschluss gezogen werden, ob dieser Liebeserklärung auch die AfD in ein Kontinuum zum Faschismus zu stellen. Im Gegenteil – ideell und personell unbelastet von politischen Zombies wie NPD und Republikanern war die AfD eine Neuschöpfung. Auf ihrem Gründungsparteitag am 14. April 2013 beschloss sie ein Wahlprogramm, in dem die Währungspolitik ganz oben stand und wiederum als erstes „eine geordnete Auflösung des Euro-Währungsgebietes“ gefordert wurde. Unter ihrem Gründer Bernd Lucke konnte die AfD anfangs noch als bürgerlich-konservatives Gebilde durchgehen. Obwohl – irgendwie muss dieses Konstrukt aber auch schon aus seinen Windeln heraus ein Odium verströmt haben, das extreme political animals magisch anzog. Götz Kubitschek jedenfalls hatte schon vor dem Gründungsparteitag Witterung aufgenommen; am 13. März 2013 hatte er einen Blog-Beitrag gepostet: Diese Professoren-AfD habe mit dem Euro ein „Türöffner-Thema“ offeriert. „Unsere Themen (Identität, Widerstand, Gender-, Parteien- und Ideologiekritik) kommen hintendreingepoltert, wenn wir nur rasch und konsequent genug den Fuß in die Tür stellen.“ Wenn man so will, ein früh angelegter Plan zur feindlichen Übernahme.
Bekanntermaßen steht Kubitschek dem 2000 gegründeten Institut für Staatspolitik (IfS) vor, einem Think-Tank, der die ideelle und finanzielle Förderung neurechter Ideen und Personen zum Ziel hat. Insofern trifft auf die AfD nicht zu, dass – wie ein Teilnehmer an der eingangs erwähnten Forum-Kontroverse schrieb – „Parteien in so genannten Denkfabriken (mein Opa nannte so was noch Hinterzimmer) konzipiert und realisiert“ würden. In Teilen kapern konnte das „Hinterzimmer“ die AfD aber inzwischen schon. Jedenfalls war es wohl kein Zufall, dass ein völkischer Politiker wie Andreas Kalbitz schon kurz nach Gründung zur AfD stieß, Mitgliedsnummer 573; heute einer ihrer einflussreichsten Politiker.
Ohne Geld gleichen Parteien Computern im Standby-Modus – stillgelegt. Ohne Geld keine Mitgliederwerbung, kein Wahlkampf, keine politische Diskursfähigkeit. So gab es bald ein beiderseitiges Interesse – Geldgeber, auch anonyme, wollten die politische „Alternative“ befördern und die wiederum war auf finanzielle Unterstützung angewiesen. In den Anfängen der Partei waren deren Aktivisten froh, wenn sich jemand fand, der Kosten unkompliziert beglich – etwa die Mieten für Veranstaltungsräume. Anonyme Spenden kamen von Familienunternehmern, die nicht namentlich genannt werden wollen. Auch war bereits 2013 von mehreren Krediten – darunter zwei über je 500.000 Euro – die Rede. Diese Finanzhilfen zählten zum Insiderwissen in der AfD, oft wussten nur die unmittelbar Beteiligten und Begünstigten Bescheid. Schon für 2013 deklarierte die AfD fast 4,5 Millionen Euro an Spenden.
Nachdem – laut Lucke – die AfD zu einer „latent fremdenfeindliche[n], deutschnationale[n] Partei mit rechtsradikalen Einsprengseln“ mutiert und er aus der Partei gemobbt worden war, wuchs das Verlangen gewisser finanzstarker Kreise, diesen Rechtsdrall zu fördern. Seit März 2016 wurde die AfD bei Landtagswahlen durch den intransparenten „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten“ unterstützt. Hekatomben an Haushalte verteilte Gratiszeitungen und Tausende von Großplakaten sowie Internet-Spots riefen im Namen des Vereins zur Wahl der AfD auf. Der Wert dieser Wahlkampfmaßnahmen liegt bei schätzungsweise sechs Millionen Euro. Die Geldgeber sind bis heute unbekannt. Ohne hier auf weitere Details späterer Parteispendenaffären in der AfD – Eigenwerbung „Saubere Partei“ – einzugehen, die namentlich Meuthen und Alice Weidel betreffen, steht fest, dass mit Strohmännern operiert wurde, dass die gesetzliche Offenlegungspflicht für Großspenden umgangen wurde und desgleichen das Verbot der Parteifinanzierung aus dem Ausland.
Beobachter vermuten, dass einer der Spender August von Finck junior ist, deutscher Milliardär mit Wohnsitz in der Schweiz. August von Finck senior fiel auf als Bewunderer und Finanzier Hitlers. Der Apfel …? Abgesehen davon, dass die Finanzpraxis der AfD sich in keiner Weise von den miesen Gepflogenheiten anderer Parteien unterscheidet, scheint unabweislich, dass ihre finanzstarken Hintermänner fanden, was sie suchten: eine unterstützungswerte politische Gruppierung, die ihren Ansichten entspricht.
Sechs Jahre später ist Kubitscheks Strategie aufgegangen: Die Euro-Kritik spielt quasi keine Rolle mehr, Björn Höckes „Flügel“ beherrscht die Agenda. Auf Marktplätzen bestimmt üble Hetze den Ton, der „Migrant“ und der „Islam“ als Mimikry-Begriffe für Xenophobie und Chauvinismus, amalgamiert mit autoritärem Staatsverständnis und Geschichtsrevisionismus. Die AfD verantwortet so massive Normenverschiebungen innerhalb des politischen Diskurses; bis hin zum Apokalyptischen: Der Untergang des Vaterlandes sei nahe und man könne ihm nur durch die Annahme eines historischen Rettungsauftrages entgegenwirken. All das verfängt bei großen Teilen der AfD-Wählerschaft, weil es ihre – unter tätiger Mithilfe der AfD hervorgebrachte – Weltsicht trifft.
Ist es nun so, dass „die AfD reaktionär und rückwärtsgewandt sein (mag), sie ist im Kern aber nicht ‚rechter‘, als es die CDU von Alfred Dregger war“, wie einer der an der Forum-Kontroverse Beteiligten schrieb?
Dregger war von 1967 bis 1991 unter anderem als stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU und Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nicht ohne Einfluss, aber nicht prägend für die Gesamtpartei. Als prominenter Vertreter ihres nationalkonservativen Flügels äußerte er sich zur deutschen Geschichte, namentlich zum Zweiten Weltkrieg, in völlig inakzeptabler Weise. Die gesamte CDU war damals deutlich konservativer als heute: Sie stand für die Wehrpflicht, die Atomkraft und vieles mehr. Die in diesem Zeitraum relevanten rechtsextremistischen Parteien waren die NPD (1964 gegründet), die DVU (1971) und Die Republikaner (1983). Hatten sie größere politische Bedeutung? Keineswegs. Und schon gar nicht verglichen mit der AfD.
Was folgt daraus? Offenbar kann eine stramm konservative Partei rechtsextreme Gruppierungen, in denen sich natürlich auch Konservative tummeln, klein halten. Und zwar unter der conditio sine qua non, dass diese Partei ihre Reihen gegen Kader und Mitläufer dieser Gruppierungen schließt und sich gegen deren Deutungsmuster immunisiert; also den „Dammbruch nach rechts“ verhindert.
Das Ende der Weimarer Republik lieferte Gegenteiliges: Konservative Eliten und Parteien, befangen in organisatorischer Schwäche und ideologischer Rückständigkeit, meinten zu ihrem politischen Frommen mit der NSDAP paktieren zu sollen, um diese am Gängelband zu führen, und mussten dann erleben, dass letztere obsiegte.
Die konservativen Kritiker der Merkel-CDU haben ein Problem. Jeder einzelne mag seine Meinung dazu haben, was den diffusen politischen Konturen und der Entpolitisierung der Politik durch Merkel an konservativen Pflöcken entgegengesetzt werden müsse, aber zusammen kommen sie auf keinen gemeinsamen Nenner. Daher schielen die ersten bereits in Richtung AfD …
Schlagwörter: AfD, CDU, konservativ, rechts, Stephan Wohanka