von Stephan Wohanka
Kürzlich berichtete ein Nachrichtenmagazin, dass „gewisse Familienunternehmer“ der AfD in ihrer Gründungsphase als „klandestine Geldgeber“ zur Seite standen. Man kann wohl davon ausgehen, dass es die Anti-Euro-Partei des Volkswirts Bernd Lucke – das war die AfD damals noch – ohne diese Anschubfinanzierung gar nicht so weit gebracht hätte; der Mann und seine Ansichten mussten publik gemacht werden und dazu bedurfte es nun mal gewisser Gelder, um Säle für Parteitage zu mieten, um Materialien zu drucken. Aber Geld allein? Es bedarf schon auch einer Idee, um eine Partei zu gründen. Die bestand, wie gesagt, in der Kritik am Euro. Sie sollte sich als politisch nicht sehr nachhaltig erweisen …
Als im Januar 2015 ein gewisser Götz Kubitschek der AfD beitreten wollte, schrieb derenVorsitzender Lucke entsetzt an seine Vorstandskollegen: „Bei Pegida und bei Legida ist Kubitschek im schwarzen Hemd und offener brauner Uniformjacke aufgetreten. Ein Narr, wer darin nicht eine bewusste Anspielung auf die faschistischen Bewegungen im Europa der zwanziger und dreißiger Jahre sieht“; die AfD dürfe „Leuten wie ihm keine Plattform geben“. Kubitscheks Mitgliedsantrag wurde abgelehnt. Heute gehört Lucke der AfD nicht mehr an, während Kubitschek mehr Einfluss hat als je zuvor. Ja – nehme ich Quintessenz dessen, was folgt, ist er Mastermind der rechtsnationalen Strömung dieser Partei.
Wichtiges aus seiner Vita ist schnell erzählt: Er studierte auf Lehramt, diente als Reserveoffizier der Bundeswehr in Bosnien. Diese Zeit prägte ihn; das zeigen seine oft militärische Sprache, auch seine Neigung zu Strategischem, wie Beobachter bemerken. Sein auf dem Rittergut in Schnellroda praktiziertes Lebensmodell als Selbstversorger spiegelt Kubitscheks Verachtung für die Konsumgesellschaft wider und ist Teil seiner Selbststilisierung. Kubitschek siezt seine Frau, und das Mahl leitet eines der Kinder mit einem Tischspruch ein. Letzteres kann sympathisch oder Marotte sein, hier steht es für mehr, für Großes …
Kubitscheks Lieblingsautor ist Carl Schmitt; wenigstens zitiert er den häufig. Er denkt konsequent entlang Schmittscher Schemata – etwa in der Frage, wer Feind sei und wer Freund, und so folglich auch, wer dazu gehört oder nicht. Desgleichen ist die sogenannte Konservative Revolution der 1920er und 1930er Jahre – liebevoll zu „KR“ verniedlicht – mit ihrem antiliberalen, antiparlamentarischen und auch antimodernistischen Gedankengut ein häufig wiederkehrendes Thema Kubitschekscher Überlegungen. Man kann auch heute Liberalismus, Parlamentarismus und namentlich die „Westbindung“ der Bundesrepublik aus mancherlei Gründen kritisch beurteilen. Verfolgt man jedoch, wie Kubitschek das konsequent tut, unter dem Rubrum Neue Rechte heute eine stringente „Anti-Agenda“ – „das Wasser in Bewegung halten, bevor es wieder zufriert“ –, ja, was will man dann? Doch wohl eine fundamentale Abkehr von dem Weg, den die Bundesrepublik nach 1945 eingeschlagen hat, ergo wohl ein anderes deutsches Land. Und zugleich eine rückgreifende Kontinuität seiner vermeintlich homogenen Sozial- und Kulturgeschichte – oder wie sollte die ideelle Verschränkung von Konservativer Revolution und Neuer Rechter anders gedeutet werden? Folglich erhebt sich die Frage, was Kubitschek für „das Deutsche“ oder „das Eigene“ hält.
Die Deutschen, sagt er, seien „ein Volk mit einer besonderen Disposition“. Deutsch sei, das „Geistige, das Ideelle extrem ernst zu nehmen, auch total zu übersetzen in die Wirklichkeit hinein“ und „wirklich in so ideellen Maßstäben zu denken und zu handeln“. Diese verklärt-idealistische Geisteshaltung provoziert regelrecht den Einwand, dass die Merkelsche Asylpolitik und die gesellschaftlich breit aufgestellte „Willkommenskultur“ gegenüber Flüchtlingen doch desgleichen in „ideellen Maßstäben“ denkt und handelt. Natürlich empfindet Kubitschek das Ineinssetzen der – seiner – deutschen Orientierung mit Merkels Asylpolitik als „unziemlich, ja ehrenrührig“, wie Zeugen berichten. Was nicht verwundert, denn, so Carl Schmitt „erklärt ein Teil des Volkes, keinen Feind mehr zu kennen, so stellt es sich nach Lage der Sache auf die Seite der Feinde und hilft ihnen, aber die Unterscheidung von Freund und Feind ist damit nicht aufgehoben“.
Aber Deutschsein geht nach Kubitschek noch weiter, nämlich bis zur „Sehnsucht nach dem Totalen, nach dem Risslosen, nach Etzels Saal, nach dieser Treue bis in den Tod, die eben nicht ausweicht, um weiterzuleben, sondern stehenbleibt, bis es nicht mehr geht“.
Erinnert dieses Tremolo nicht bis in Begrifflichkeiten hinein an die romantisierenden, elitär-völkischen, morbiden Wahnwelten eines Botho Strauß, ist das nicht die „Remythisierung unserer Lebenswelt“ (Klaus Dermutz), die Suggestion einer deutschen Wesensart, die es – wenn überhaupt – zumindest so (noch) gar nicht gibt?
Keinesfalls, folgt man Kubitschek, denn die von Schnellroda ausgehende geistige Bewegung lege sich „wie ein Gewebe, wie ein Netz […] über die Dinge“. Der thüringische AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke tankt folglich an diesem „Ort der geistigen Regeneration“ ideell auf und futtert dort sein „geistiges Manna“. Auch André Poggenburg, von 2014 bis März 2018 Vorsitzender der AfD Sachsen-Anhalts, ist ein Duzfreund Kubitscheks. Im März 2015 veröffentlichen Höcke und Poggenburg gegen den Kurs des Parteivorstands noch unter Lucke die „Erfurter Resolution“, die als die Gründungsurkunde ihrer rechtsnationalen Parteiströmung gilt und die sie „Der Flügel“ tauften. Wie zu lesen ist, stammt der Entwurf der Resolution von Kubitschek, der aber nicht als Autor in Erscheinung trat. Dass es dem Trio gelang, die AfD nach rechts zu verschieben, liegt – denke ich – offen. Heute ist der „Flügel“ wichtiger Machtfaktor in der AfD und will verhindern, dass die Partei zu schnell im Establishment ankommt. Kubitschek nennt ihn den „impulsiven Teil“ der Partei.
Kubitschek denkt, Höcke lenkt. Im Juni 2018 schrieb Kubitschek in der von ihm herausgegebenen Sezession (treffliches Eigenlob): „Sezession ist maßgeblich. Das bedeutet: Vieles, was an der AfD und an anderen Widerstandsprojekten grundsätzlich, kompromißlos, nicht verhandelbar und angriffslustig wirkt und ist, wurde in unserer Zeitschrift vorausgedacht, ausformuliert und in die Debatte erst eingespeist“. Die soziale Frage sei das „Kronjuwel“ der Linken; es könne ihr durch „eine glaubwürdige und entschlossene AfD“ genommen werden. Kurz darauf echote Höcke vor Parteifreunden vom „Flügel“: „Wenn wir als AfD glaubwürdig und entschlossen bleiben, dann können wir der Linken dieses Kronjuwel jetzt abjagen!“ Mentor Kubitschek hörte zu.
Eine beachtliche Volte angesichts eines eher neoliberalen Parteiprogramms, das Parteichef Meuthen so auf den Punkt brachte: „Die AfD steht sehr klar auf einem klassisch ordoliberalen Fundament.“ Nach Kubitscheks strategischer Beurteilung sei die soziale Frage vielmehr „neben der Flüchtlingspolitik und der EU eine der Säulen, auf denen die AfD stehen kann“. Wohlwollend sieht Kubitschek, dass sich Freund Höcke mit der Forderung durchgesetzt hat, einen Parteitag mit sozialpolitischer Ausrichtung abzuhalten.
Damit ist die AfD im Mainstream rechtspopulistische Parteien angekommen, denn laut dem Politologen Marcel Lewandowsky seien diese bis Anfang der 2000er Jahre neoliberal eingestellt gewesen, um dann auf einen linkeren ökonomischen Kurs umzuschwenken; so die österreichische FPÖ und der seinerzeitige französische Front National, nun „Rassemblement National“: „Einen solchen ideologischen Wandel können wir nun auch bei der AfD beobachten – nur in einem viel kürzeren Zeitraum“. Eine Stimme in der AfD, Le Pen und Anhang für „reine Sozialisten“ haltend, fasst bündig zusammen: „Man kann schließlich national und sozial eingestellt sein“.
Politisch-praktisch erkennt Kubitschek in „Ungarn […] ein Vorbild für Deutschland“, das ein „liberaler Staat mit illiberalen Korsettstangen“ sei.
Ach, Du Ungarn: Immer einmal Sehnsuchtsort vieler; nun schon wieder einiger. Nur waren und sind die Gründe jeweils andere.
Quellenangaben für sämtliche Zitate liegen der Redaktion vor.
Schlagwörter: AfD, Carl Schmitt, Götz Kubitschek, Mastermind, Stephan Wohanka