von Bettina Müller
[Papiergeraschel. Kater Sheldon steht hochkonzentriert vor einem Spiegel im Rheinsberger Schloss und probt für seine nächste Regierungserklärung.]
Liebe Untertanen,
es ist allgemein bekannt, dass ich ein edler Herrscher im Reiche Rheinsberg bin, dem von früh bis spät nur das Wohl seiner Untergebenen am Herze liegt. Der sich aufreibt, gar aufopfert für sie, der mit Herzblut immer ein offenes und gechiptes Fellohr für sie hat und 24/7 nur seine karitative Seite zeigt. Von mir wird man nie ein böses Wort hören, nie bin ich unwirsch oder gar zornig. – „Hallo, hallo, Sie da! Ja, Sie da unten, der Mann in froschgrün. Ach so, Sie sind der Gärtner. Wofür habe ich Sie denn eigentlich nach Versailles in die Lehre geschickt, dass Sie mir jetzt mein royales Profil als rohen Klumpen in den Buchs schneiden? Perlen vor die Säue, kann ich da nur sagen. Unglaublich, ein Affront, das wird noch ein Nachspiel haben, Sie Tölpel. Wie jetzt, freestyle? Das soll der neue Trend in Paris sein? Das können die da ja bei dem Emmanuel machen, wie sie wollen, aber hier nicht! Gießen Sie doch besser mal die Rosen da hinten. Ja, genau, die da, meine neue preisgekrönte Züchtung ‚Sheldonia Divinia‘.“ – Wo war ich stehen geblieben, bevor ich hier so jäh unterbrochen wurde? Ach ja, meine Gutmütigkeit, ja, sie lässt die Menschen dahin schmelzen, ich bin auf dem Zenit meiner Beliebtheit. Doch reizt man mich, Sheldon I., bis aufs blaue Blut, dann werde ich zum Tier. Ach so, das bin ich ja eigentlich schon, aber das tut jetzt nichts zur Sache. Sicher werden Sie sich jetzt fragen: Mon dieu (Glückwunsch, Sie haben die richtige Ansprache gewählt), was hat der Gute denn jetzt schon wieder? Was ist geschehen, dass sich seine bewundernswerte Gelassenheit in Luft aufgelöst hat, für immer perdu. Was ist der Grund für Sheldons Zorn? Ich höre Sie flehen und ein kollektives Weinen erfasst mein Reich. Ihre Anteilnahme tut so gut, mich beschleicht das Gefühl, Ihnen kann ich vertrauen. Und so verkünde ich erschüttert und mit Tränen in den Augen den Grund meiner Rage. Er ist schneeweiß, ungefähr 25 cm groß und heißt „Hasi“.
Eines Abends saß er da. Ganz einfach so. Als wäre er schon immer da gewesen. Starrte mich an mit seinen kleinen roten Äuglein, sein Fell strahlte wie das Weiß aus der Zahnpasta-Werbung. Vor ihm lag eine Möhre, er hatte sich also gerade sein Abendessen vorbereitet. Dann sprach mich dieser Wicht from hell auch noch an: „Mein Name ist Hasi“. Ja und? Und fragte dann noch investigativ weiter: „Und wer sind Sie?“ Dass sich diese kreatinarme Kreatur widerrechtlich im Tucholsky-Museum aufhielt, sich an meinem Unglück labte und dann noch an den Bio-Möhren aus meinem zauberhaften Bauerngarten, wäre allein schon ein Grund gewesen, in Jähzorn zu verfallen und die Trompeten von Jericho aus dem Schlosskeller zu holen. Aber das Schlimme, das Unverzeihliche war: Hasi saß auf meinem Lieblingsplatz an Herrn Tucholskys Schreibtisch! Ohne Läppchen! Ich meine, Möhren färben doch, das gute Holz! Herr Tucholsky würde sich im Grabe umdrehen, wenn der das wüsste. Und an der Tucholsky-Gesamtausgabe war dieser Bursche doch auch schon dran. Hatte dieser Hasi denn gar keinen Respekt?! Und wusste auch noch nicht einmal, wer ich bin. Das ging zu weit! Ich konnte förmlich spüren, wie mein Blutdruck in ungeahnte Dimensionen stieg und mein rötliches Fell zum Flammenmeer wurde. Der Löw’ war los und so setzte ich wutentbrannt zum Sprung auf Hasi an, der sich widerrechtlich Zugang zu meinem Reich verschafft hatte. Im selben Moment duckte sich der illegale Hasi geschickt weg, kicherte albern und hoppelte wie ein geölter Blitz in die sternenklare dunkle Nacht hinaus und ward nie wieder gesehen. Derweil landete ich in hohem Bogen auf dem Schreibtischstuhl, der leider nun mal Rollen hat.
Der löwenartige Sprung und mein unermesslicher Zorn gingen eine gefährliche Symbiose ein, es entwickelte sich eine ungeheuerliche Dynamik, ich rollte schnell, immer schneller, viel zu schnell, Hilfe! – bis ich in einem Affenzahn aus dem Museum herauskatapultiert wurde. Draußen kippte der Stuhl schließlich mit lautem Getöse um, und da lag ich nun: ein Rheinsberger Herrscher, nein, der Rheinsberger Herrscher, im Staub. Gedemütigt, beschmutzt, in seiner Ehre gekränkt. Mit Krümeln im Fell, wo ich doch sonst immer so viel Wert auf Sauberkeit lege. Aber immer noch zart duftend.
Natürlich blitzte es dann wieder einmal in diesen meiner zahlreichen kontemplativen Momente hinein. Schon wieder die elende Presse und wieder hatten die mich in einem schwachen Moment erwischt, so wie neulich, als ich vom Baum in den See gefallen bin und nass wie ein begossener Pudel nach Hause schleichen musste. Am nächsten Tag hieß es dann gleich: „Rheinsbergs Schmach. Unser Landesvater Sheldon I. hat sich eingenässt“. Ich sah somit schon die neuen Schlagzeilen der Sensationspresse vor meinem geistigen Auge: „Hass auf Hasi! Rheinsberger Royal rastet aus. Ist Sheldon I. ein Tierquäler?“ Was dann los ist, kann ich mir ja denken, Tierschützer rennen mir meine bescheidene Bude ein, wollen mich lynchen und in meinem Schlosspark an der nächsten alten Eiche aufknüpfen, an der bestimmt schon die Tölen von diesem Friedrich das Bein gehoben haben.
Gut, werden Sie argumentieren, an dem ganzen Schlamassel ist der Sheldon aber auch selber dran schuld. Was lässt der sich denn von so einem Hasi provozieren? Na ja, aber die Geschichte ging ja noch weiter. Ein paar Tage später kehrte mein treuer Diener Gaston von seinem wöchentlichen Lakaien-Stammtisch „Die Gebeutelten“ aus Berlin zurück. Den Namen habe ich bis heute nicht verstanden, ich behandle mein Personal doch äußerst zuvorkommend. Undankbare Mischpoke, die Prügelstrafe habe ich schließlich schon im letzten Jahr abgeschafft. Wie auch immer, Gaston hat von dem sous chef der Kombüse des Bundestags erfahren – das ist aber jetzt wirklich sehr vertraulich – dass eine gewisse „AKK“ nach Dienstschluss an der Volkshochschule einen Crash-Kurs „Zaubern für Anfänger“ gemacht hat. Dann war sie neugierig und wollte ihre frisch erworbenen Skills gleich an Ort und Stelle ausprobieren. In der Nähe stand gerade ein gewisser Friedrich herum, der ganz demonstrativ in die andere Richtung schaute. Dann gab es einen lauten Knall, seitdem ist der Friedrich verschollen und der Zauberkurs für die nächsten Jahrzehnte ausgebucht.
[Papiergeraschel. Sheldon unterbricht die Probe, sein Coiffeur ist gerade zur Eichentür hineingekommen.]
Schlagwörter: AKK, Bettina Müller, Kater Sheldon, Kurt Tucholsky, Rheinsberg