von Peter Arlt
Einst, in den 1960er Jahren, begann für mich der Parcours mit dem Weg zum Hansering, hinauf zum Theater, an der Universität vorbei zur Kunst in der Moritzburg Halle (Saale) – ein Kunstmuseum, das mich vor allem mit Werken der klassischen Moderne und der Kunst aus der DDR immer wieder anzog. Heute hat die Kunstsammlung ihr Museum zurückgewonnen, denn der Direktor Thomas Bauer-Friedrich bekannte sich auch zu der Kunst aus der DDR, holte sie aus dem Depot und zeigt seine Sammlung aus der SBZ/DDR 1945 bis 1990. Es ist vor allem eine Präsentation Hallenser Künstler, von denen Charles Crodel und Erwin Hahs, nach 1945 weiterhin Gustav Weidanz und Karl Müller an der Kunstschule Burg Giebichenstein die klassische Moderne lehrten, so dass Fritz Löfflers im Jahre 1949 feststellte, Halle sei die „vitalste Stadt […] in der ostzonalen Malerei“.
Um Hermann Bachmann scharte sich der Freundeskreis mit Willi Sitte, Fritz Rübbert, Kurt Bunge, Ulrich Knispel, Herbert Kitzel, Jochen Seidel, die zu DDR-Zeiten oft nicht zu sehen waren. Mit dem Bild „Mohn vor der Reife“ von Hermann Bachmann wird daran erinnert, dass er in einer scharfen Kampagne angegriffen wurde, die ihn 1953 nach Westberlin fliehen ließ. Das zurückgelassene Gemälde, das eines „Republikflüchtigen“, wurde beschlagnahmt und – ein besonderes Sammlungsmerkmal – dem Museum übergeben; allerdings 1990 zurückerstattet und wiedererworben.
Mich berührt tief, in meine Biografie eingeschlossene Bilder wiedersehen zu können, angekauft vom Museumsdirektor Heinz Schönemann, der – so sein Wort – „den Ehrgeiz hatte, sich dem legendären Glanz der halleschen Sammlung unter Sauerlandt und Schardt wieder zu nähern“. Dafür sprechen Eugen Hoffmanns goldene Bronze „Das Leben“, 1949/50 (posthumer Nachguss), Walter Arnolds großartige Holzskulptur von 1946 „Leid“, Herbert Stockmanns hoffnungsvolles Gemälde „Die Ersten“, 1946/47 (1959 Schenkung von Charlotte Hammermeister, Halle) oder Carl Crodels „Mythologische Szene“ von 1946/47 (1966 erworben), von anmutiger Farbigkeit und voll tief empfundener harmonisch-heiterer Stimmung. Über den Ankauf von Wolfgang Mattheuers bedeutendem Gemälde „Kain“ von 1965, erfuhr ich von Heinz Schönemann, wie er durch einen Trick vom Ministerium für Kultur die Kaufsumme erhielt und damit die Jury überzeugte, das Bild vom biblischen Brudermord auf der VI. Deutschen Kunstausstellung zu zeigen. Es reflektierte die Kongo-Ereignisse, aber wich vom Vorbildschema ab, um sich aus den Niederungen des abbildhaften „sozialistischen Realismus“ zu prägnanter, sinnschichtenreicher Bildhaftigkeit zu erheben.
Im Albert-Ebert-Kabinett der Moritzburg weisen die Bilder des „naiven“ Künstlers aus, wie er gleichfalls in Mythen schwelgte und beim Urteil des Paris von 1959 mit einer dreifachen Negierung des Urteils verblüffte. Seine Lithografie vom Parisurteil, die hierher passen könnte, war es übrigens, die meine Intention, themenbestimmt mythosbezogene Kunst zu sammeln, bestätigte. Mit ihr konnte ich meine Forschung sinnlich verankern. Nun hat meine Sammlung in der Moritzburg, die keine große Zahl an Grafiken besitzt, einen Ort gefunden, wo sie ihre Funktion bewahren kann und von der reichen ikonographischen Phantasie künden.
Vor dem zweiten Teil der Dauerausstellung, die das historisch wie regional-geografisch gewachsene Profil fortsetzt, ist jetzt die neue Ausstellung Das Comeback / Bauhaus Meister Moderne zu erleben. Ankäufe und Erwerbungen der Moritzburg-Sammlung von 1908 bis hin zum Sommer 1939 werden rekonstruiert für den Wiedergewinn einer bedeutenden Sammlung moderner Kunst. Das belegt der Katalog (448 Seiten, 45,00 Euro), dem die Qualität eines Standardwerks zur Geschichte des Museums Moritzburg Halle zugesprochen werden kann.
Zwischen 1937 und 1942 erlitt mit Aussonderung, Beschlagnahme und Veräußerung durch die Nazis die „konzentrierteste deutsche Sammlung“ (Andreas Hüneke) einen einschneidenden Verlust. Der Katalog weist die verlorenen Werke im bebilderten Verzeichnis aus und sucht, sie neu zu lokalisieren. Wo es möglich war, konnte die Ausstellung sie wieder zeigen. Manchmal glückte sogar ein Wiedergewinn (ein verlorenes großes Aquarell von Christian Rohlfs konnte jetzt angekauft werden); bei 38 Werken gelang die Ausleihe.
Der Reigen führt durch die Zeit von Impressionismus und Expressionismus. Nach dem berühmten Direktor Max Sauerlandt ragt aus der Reihe der Direktoren Alois Jakob Schardt heraus, der mit Lyonel Feininger befreundet war. Er besuchte ihn, Paul Klee und Wassily Kandinsky in Dessau, wo sie am Bauhaus wirkten. Ohne Auftrag, aus Begeisterung malte Feininger die Stadtserie Halle, deren Ankauf der Oberbürgermeister Richard Robert Rive sicherte. Sie bietet als Glanzstück der Ausstellung eine herrlich gehängte Reihe mit sieben Halle-Gemälden (auch aus München, Berlin, Mannheim und Mülheim an der Ruhr) – Weltkunst mit ortsbedingter Note. Im konstruktiven Aufbau setzt Lyonel Feininger den halleschen Dom als visuelle polyphonale Fuge. Und dieser Dom wird überraschend dem Blick aus der oberen Fensterfront des Museums real gewahr.
Als einziges Werk von Paul Klee blieb merkwürdigerweise die „Phantastische Flora“ stets der Sammlung erhalten. Zuerst 1923 in Berlin ausgestellt, kam das Gemälde in Privatbesitz, wurde 1925 in Klees zweiter Gesamtausstellung (Galerie Goltz, München) gezeigt. Wie Wolfgang Büche (Moritzburg Halle) mitteilt, kam sie wahrscheinlich 1928 in die Moritzburg. Vermutlich blieb das Bild, weil seine Inventarisierung erst 1948 erfolgte. Danach wurde es ständig gezeigt, blieb aber im Westen vor 1990 ziemlich unbekannt. Wie freute ich mich, das Bild all die Jahre im Kuppelsaal auf einem der vier parabelförmigen Bögen zu sehen, wie seine Farben feierlich wie ein Kirchenfenster und märchenhaft aufschimmerten, hellere und dunklere, gelbliche, violett-bräunliche und grünliche Töne von Öl- und Wasserfarben. Teils breiten sich die Farbflächen der Mischtechnik im schwingenden Pinselduktus malerisch über das Blatt, teils sind sie von Linien umfangen, die wie ein lockeres Netz das Bild überziehen. Die aufsteigenden Linien umgrenzen pflanzliche Formen. Die horizontalen Linien verbinden sie gitterartig miteinander. Wie bei einem Wandteppich wird ein dekoratives Muster gewebt. Mit Erstaunen nahm ich anfangs wahr, dass es Bleistiftlinien sind, die über die Malerei gehen; etwas, das uns der Zeichenlehrer untersagt hat. Später las ich in dem Buch „Deutsche Malerei“, 1964, wie Georg Piltz Klees Bild, kopfstehend reproduziert, nach normativer Ästhetik kritisierte: „Die Farbe war eher da als die Form“.
Doch ebenfalls 1964 wies im Buch „Meisterwerke der Malerei“ der Weimarer Walter Scheidig auf den musikalischen Gehalt der „Phantastischen Flora“ hin, auf Thema mit Variationen. Die unteren fünf Pflanzenformen gäben das Thema vor, das nach oben hin variiert wird. Diese Flora stelle sich neben die Pflanzenwelt, „so wie sich eine Fuge von Bach neben Vogelgesang stellt“. Damit hat Scheidig am Werk der bildenden, also der sogenannten räumlichen Kunst Musikalisches, also Zeitliches wahrgenommen.
Die simultane mehrdimensionale Mischtechnik entstand 1922 mit Klees bildnerischer Formenlehre. Linien umgrenzen pflanzliche Formen, die Stufe um Stufe emporsprossend zur nächsthöheren andere Formen annehmen. Horizontale Linien, zeiteinteilenden Takte, machen die Bewegung und das Wachstum der Pflanzen, ihr Gewordensein, sichtbar. „Kunst verhält sich zur Schöpfung gleichnisartig“, heißt es bei Paul Klee, der vom Entwicklungsgedanken ausging, der seine Natur- und Weltanschauung wie Kunstauffassung bestimmte. „Der Genesis Dauer verleihend“, ist des Künstlers Sinn.
Das Werden als dauerhaft begreifen und festhalten. So folgt, auf das Kunstmuseum bezogen, der rekonstruierte Wiedergewinn der Sammlung ihrer Genesis, und dem soll nun Dauer verliehen werden.
Das Comeback / Bauhaus Meister Moderne, bis 12.01.2020, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), Friedemann-Bach-Platz 5, täglich 10 bis 18 Uhr, Mittwoch geschlossen.
Dr. phil. habil. Peter Arlt, Jahrgang 1943, emeritierter Professor für Kunstgeschichte-Kunsttheorie der Universität Erfurt; Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin und Mitglied im Verband Bildender Künstler.
Kurator und Katalogautor für Ausstellungen wie „Urteil des Paris“, Gotha 1986, „Mythos und Figur“, Gotha 2001 oder „Abschied von Ikarus. Bildwelten in der DDR“, Weimar 2012/2013.
Autor von Künstlermonografien über Otto Knöpfer, Fritz Keller, Curt Ehrhardt, Ronald Paris und andere.
Schlagwörter: Bauhaus, Halle, Moderne, Moritzburg, Peter Arlt