von Klaus Joachim Herrmann
Russische Büchsen gezuckerter Kondensmilch sind bei Kubanern als Mitbringsel stets hoch willkommen. Sie wecken schwärmerische Erinnerung an jene Zeit, da in der zähflüssigen süßen Masse ein Löffelchen noch lange stehen blieb und es auf der Karibikinsel noch alles zu geben schien. Auch Erdöl und manches andere nicht immer nur lebenswichtige Gut.
Nun beeilte sich Russlands Vizepremier Juri Borissow, Armeegeneral und zuständig für den militärisch-industriellen Komplex, mit einer knappen Klarstellung nach den Gesprächen seines Präsidenten Wladimir Putin mit dessen kubanischen Amtskollegen Miguel Mario Díaz-Canel Bermúdez Ende Oktober in Moskau: Es gehe heute um beiderseits vorteilhafte, pragmatische Beziehungen und hartes Verhandeln.
Die Begründung, wie zu Zeiten der Sowjetunion solle es nicht wieder werden, war wohl als Lehre aus einem Verlustgeschäft zu verstehen. Doch auch Havanna dürfte zustimmen: so süß wie die Milch aus der Büchse war die Freundschaft, war Druschba mit Moskau nie. Es herrschten zuweilen auch saure Zeiten.
Eines Tages gab es für Kuba dann nichts mehr, gar nichts. Nicht einmal den früheren Lieferanten. Das Russland unter Boris Jelzin hatte die Nachfolge der aufgelösten Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) angetreten. Es war eine Zeit, die Oligarchen zeugte. Für bedürftige Genossen blieb nichts übrig. Kein Tropfen Öl tropfte mehr zu Vorzugsbedingungen in leere kubanische Tanks. Nach 1991 konnte die Insel mangels Devisen nur noch zehn Prozent der dringend benötigten Menge importieren. Traktoren und Mähdrescher blieben ebenso stehen wie Industriebetriebe, die Infrastruktur brach zusammen. Der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) der sozialistischen Länder löste sich auf wie deren System. Die ach so exotischen US-Oldtimer auf der verbliebenen sozialistischen Insel sind nicht die einzigen ihrer Art. Dort rollen weiterhin auch LADA und Moskwitsch – sie sind nur nicht so fotogen.
Die USA assistierten den flüchtigen ex-sowjetischen Klassenbrüdern und Kampfgenossen gern – mit weiterer Verschärfung ihrer Wirtschaftsblockade gegen das abtrünnige Eiland. Das von US-Präsident Trump just wiederbelebte Helms-Burton-Gesetz stammt genau aus dieser Zeit. Fidel Castro rief in der revolutionären Not die „Período Especial en Época de Paz“ (Sonderperiode in Friedenszeiten) aus. Was diese wirklich bedeutete, erfahren wir seit unserem ersten Kubabesuch 1995 bei Freunden bis heute immer wieder nur in bewegenden Momentaufnahmen. Erfindungsreichtum und höchste Kunst der Improvisation gehörten dazu, Hunger wahrlich nicht zuletzt.
Die Sowjetunion hatte sich die Stärkung des „sozialistischen Vorpostens“ in Sichtweite der USA viel kosten lassen. Täglich landeten Schiffe mit allen nur denkbaren Gütern an. Heute mag die UdSSR in den wiederhergestellten Beziehungen vergessen sein, wie russische Medien titeln. Die Folgen brüderlich fester Umarmungen sind es nicht.
Natürlich war die „Insel der Freiheit“ hohes strategisches Gut. Natürlich suchte der Kreml dort stets durchzusetzen, was er jeweils für geboten hielt. Nicht nur das sozialistische Beispiel, auch Stationierung und Abzug seiner Raketen. Eine universelle Versorgung des „Leuchtturms der Freiheit“ förderte dort nicht zwangsläufig Produktivität, Effektivität und Arbeitseifer. Schon in den 60er Jahren forderte Comandante Che Guevara als Kubas zuständiger Minister eine eigene Industrialisierung und den Abschied von der Zuckerrohr-Monokultur. Für ganz Lateinamerika sah er darin den Weg zur Überwindung neokolonialer Abhängigkeit – von kapitalistischen Ausbeutern ebenso wie von sozialistischen Brüdern. Doch die Industrialisierung der Insel misslang, die Zafra – eine Schlacht um kaum erreichbare zehn Millionen Tonnen Rohrzucker – wurde geschlagen. Was die bärtigen Revolutionäre nicht gekonnt und was die Kommunisten im Kreml nicht gewollt haben, bleibt umstritten. „Russland begleitete stets mit besonderer Sympathie die unabhängigen Positionen Kubas und dessen souveräne Politik“, versichert Russlands Präsident heute.
Einen „komplizierten Moment“ beschwört derweil der Präsident Kubas und verweist auf die „Eskalation der Aggression der USA gegen Kuba“. Venezolanische Tanker werden vor Kubas Küsten gestoppt, die Landwirtschaft kommt nicht mehr ohne Ochs und Ross aus. Auf hunderten Kilometern der Autopista von Havanna nach Ost oder West begegneten Reisenden in diesem Oktober zuweilen nur ein halbes Dutzend Fahrzeuge. „Moskau intensiviert seine Kontakte mit Havanna, während Washington Kuba mit Sanktionen bestraft“, verweist die Internetzeitung Gasjeta.ru auf den größeren Zusammenhang.
Der erinnert unweigerlich an erbarmungslosen Kalten Krieg, der hier trotz gewisser Entspannung unter der Präsidentschaft Barack Obamas niemals beendet wurde. Seit sechs Jahrzehnten versucht Washington nach Art des Mittelalters mit einer Blockade die Kubaner in Rückständigkeit, Krise und Hunger und damit zur Aufgabe von Regierung und System zu zwingen. Das reicht bis hin zu arroganten Albernheiten wie einem Einreiseverbot für Kubas 88-jährigen Altrevolutionär Raúl Castro und – versehen mit Sippenhaft nach unseligen Vorbildern – für seine Familie.
Allein zwischen April 2018 und März 2019 habe die Blockade einen Schaden von 4,3 Milliarden Dollar verursacht, rechnet Gerardo Peñalver Portal, Kubas Botschafter in Moskau, vor. Die russisch-kubanischen Beziehungen hingegen erleben jedoch laut seiner Exzellenz „ihre beste Periode in den letzten 30 Jahren“. Allein in den vergangenen fünf Jahren sei der Warenaustausch von 180 Millionen Dollar auf 500 Millionen Dollar gestiegen. Mit russischer Hilfe und Krediten würden derzeit die Eisenbahn und die zwei größten metallurgischen Werke modernisiert.
Russische Firmen rechnen sich Perspektiven besonders auf den Gebieten Maschinenbau, Öl-, Gas- und Chemieindustrie, Kommunikation, Schiffbau, alternative Energie und anderen aus. Doch mit der Schlagzeile „Langsame Wiederherstellung nach allen Revolutionen“, zeigte sich das Wirtschaftsblatt Kommersant anlässlich des Besuches des russischen Premiers Dmitri Medwedjew Anfang Oktober in Havanna nüchtern. Trotz russischer Investitionen in die Infrastruktur sei eine schnelle Erholung der kubanischen Wirtschaft unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht zu erwarten.
Fehlendes Tempo ist ein hartnäckiges Problem. Nach dem Erlass von 35 Milliarden Dollar Altschulden im Jahr 2014 durch Russland sollten die verbliebenen zehn Prozent durch Moskau reinvestiert werden. Doch erst 2018 begannen beide Seiten mit der Erörterung der Zahlungsmodalitäten und der Projekte, wie Kommersant– Autor Dmitri Butrin recherchierte. Bei der Wiederherstellung der Partnerschaft mit Kuba seien die Beziehungen gut, aber der wirtschaftliche Austausch schwach und Investitionen faktisch nicht vorhanden gewesen. Jetzt gebe es auf Kuba wieder russische Maschinen und Fernsehgeräte, freute sich Premier Dmitri Medwedjew bei seiner Visite. Nicht zu vergessen russische Lokomotiven, die zu dem dringenden Großvorhaben einer Modernisierung der Eisenbahn gehören. Das ist auf 15 Jahre veranschlagt. Gesprochen werde auch über neue Flugzeuge und die Reparatur der vorhandenen, hieß es. Kuba seinerseits liefere Edelsteine, Metalle und landwirtschaftliche Produkte. Nicht zu vergessen wären das Angebot wunderbarer Strände und gepflegter touristischer Einrichtungen – allein im Vorjahr stieg die Zahl russischer Touristen um fast 30 Prozent. Die US-Amerikaner blieben freilich zunehmend weg.
„Wir stellen in vollem Umfange unsere Beziehungen mit Kuba wieder her“, erklärte Medwedjew. Nicht beantworten wollte er freilich die Journalistenfrage, ob mit KP-Chef Raúl Castro die Einrichtung von Militärstützpunkten besprochen worden sei. Das sei am Rande des Besuches gemunkelt worden. „Lasst sie reden“, versetzte der Premier wortkarg.
Sicherheitsfragen waren kurz zuvor Thema des Kuba-Besuches von Armeegeneral Nikolai Patruschew, Sekretär des russischen Sicherheitsrates. Es hat schon einen besonderen Klang, wenn Militärs wie er auf „strategische Partnerschaft und einen zuverlässigen Verbündeten“ verweisen. Ob die Abhörstation „Lourdes“ aus Sowjetzeiten nach ihrer Schließung um die Jahrtausendwende wieder ins US-Telefon- und Funknetz gehen soll, blieb offen. Kein Geheimnis hingegen ist die Ausreichung eines Kredites über 38 Millionen Euro für den Verteidigungssektor.
Klügere US-Politiker wie der Demokrat Patrick Leahy mahnen schon seit längerem, dass eine Zusammenarbeit mit Kuba dem wachsenden Moskauer Einfluss entgegen wirken könnte. Die Russen würden das entstandene Vakuum füllen, „dieses befindet sich nur 140 Kilometer von Florida entfernt“, verbreitete die Moskauer Iswestija die Sorge des Senators aus Vermont.
Wenn auch die Insel keine weltpolitische Schlüsselrolle mehr einnimmt, bleibt sie doch – zwischen den feindlichen atomaren Supermächten gelegen – dem fernen Russland immer noch um Welten näher als dem unmittelbaren Nachbarn Nordamerika. „Kuba und Russland: eine Beziehung, die die Zeiten überdauert“, titelte die kubanische Granma. Bei seinem Abstecher nach St. Petersburg fühlte sich Díaz-Canel „wie zu Hause“. Der Parlamentspräsident der heimlichen Hauptstadt, Wjatscheslaw Makarow, schwärmte, das Wort „Kuba – meine Liebe“ gelte nicht nur für seine, sondern auch Russlands junge Generation.
Schlagwörter: Klaus Joachim Herrmann, Kuba, Russland