von Frank-Rainer Schurich
Bücher über Berlin gibt es bekanntlich wie Sand am Meer, und manche Titel, die sich in den sogenannten Bestsellerlisten und im Buchhandel aneinanderreihen, kann man glatt vergessen. Hans-Joachim Kösters „Berliner Bauern-Geschichten“ sind dagegen eine kleine Sensation auf dem hart umkämpften Berlin-Buchmarkt – und dennoch kaum in einer Buchhandlung zu finden. Vielleicht deshalb, weil sich der Leser die historischen Spuren von Ackerbau und Viehzucht in der Hauptstadt nicht so richtig vorstellen kann.
Da wird ihm geholfen! In unterhaltsamen Episoden wirft der Stadtbegleiter, wie das Buch im Untertitel heißt, Schlaglichter auf die Landwirtschaft Berlins, erzählt Geschichten von bahnbrechenden Entwicklungen, erfinderischen und schlauen Bauern, weitsichtigen Reformern und kuriosen Debatten, von Ordens-, Raub- und Glücksrittern, tüchtigen Wissenschaftlern (wie Albrecht Daniel Thaer) und ideenreichen Unternehmern. Und von Ereignissen, die fast vergessen sind.
Ein Beispiel: König Friedrich Wilhelm I. erließ 1731 ein „Renoviertes Edikt wegen Ausrottung der Sperlinge“. Der Feldsperling als Körnerfresser und damit bedeutender Getreideschädling war damals ein harter Nahrungskonkurrent. Das arme Volk hatte nur sehr wenig zum Essen und hungerte. Jeder Bauer hatte nun den Kampf gegen die Sperlinge unerbittlich und mit scharfer Klinge aufzunehmen und zwischen Johannis und Michaelis (24. Juni bis 29. September) jährlich 12 Sperlingsköpfe an die Obrigkeit abzuliefern, andere Untertanen auf dem Lande je sechs Köpfe. Für jeden fehlenden Sperlingskopf war ein Dreier bei der Armenkasse des Ortes zu entrichten. Aufgrund des Sperlingsedikts sammelten allein die Ämter in der Kurmark (heute weite Teile von Brandenburg) bis 1740 über drei Millionen Sperlingsköpfe ein. Ein Massaker!
Auch viele Orte in Berlin sind landwirtschaftshistorisch von Interesse. Wir lesen, dass nahe des Roten Rathauses einst der Rübenzucker entdeckt und der erste preußische Kaffee hergestellt wurde, dass sich der Maurermeister Bolle mit seinen Milchprodukten zum Original entwickelte und ein Landwirt aus Weißensee mit seiner Erfindung den Kartoffelanbau befeuerte. Und erstaunt müssen wir feststellen, dass die Kartoffel einen langen, aber sehr erfolgreichen Weg vom kurfürstlichen Lustgarten auf die märkischen Äcker zurücklegen musste. Auch gegen Widerstände. Ein gewisser Prof. Eschke, wohl ein Wirtschaftsweiser der damaligen Zeit, warf 1799 ernsthaft die Frage auf, ob der allzu häufige Genuss von Kartoffeln nicht doch zum Wahnsinn etwas beitrage.
Friedrich II., der ja die Kartoffel unters Volk brachte, räumte in seiner Politik der Landwirtschaft einen großen Raum ein. „Die Landwirtschaft ist die erste aller Künste“, schrieb er einmal an den Philosophen und Aufklärer Voltaire, „ohne sie gäbe es keine Kaufleute, keine Höflinge, keine Könige, Dichter und Philosophen. Nur das ist wahrer Reichtum, was die Erde hervorbringt.“ Das klingt wirklich wie ein politisches Programm.
Zum Umwelt- und Naturschutz werden wir aufgeklärt, dass die Slawen, die vor allem im 6. Jahrhundert in die ostelbischen Gebiete eingewandert waren, eine extensive Landwirtschaft betrieben – sie waren vor allem Fischer und Jäger. Sie führten die Zeidelei, die Wald-Bienenzucht ein. Dabei wurde nur so viel Wachs und Honig halbwilder Bienenvölker entnommen, dass man deren Existenzgrundlage nicht gefährdete. Eine sehr frühe Form des nachhaltigen Wirtschaftens.
Ein möglicher Grund für die Wanderungsbewegung der Slawen war der Klimawandel. Im Jahr 536 verdunkelte sich der Himmel, und die Sonne war monatelang nicht zu sehen. Im heutigen El Salvador war es zu einem gigantischen Ausbruch des Vulkan Ilopango gekommen, und weitere Vulkanausbrüche mit globalen Auswirkungen folgten, so dass auf der Nordhalbkugel bis ungefähr 660 eine kleine Eiszeit herrschte. Siedlungen in Höhenlagen und landwirtschaftliche Grenzstandorte mussten aufgegeben werden. Die wasserreichen ostelbischen Niederungen boten bessere Lebensbedingungen. Die Einwanderer etablierten einen bescheidenen Ackerbau, wobei die Ackerlandgewinnung meistens durch Brandrodung erfolgte.
Vielleicht das noch aus diesem informativen und überaus lehrreichen Buch: Nach zahlreichen Weinskandalen wurde bereits 1498 das „Reichsgesetz gegen Weinfälschung“ verabschiedet. Es ist das älteste Verbraucherschutzgesetz, denn wie alle Biertrinker wissen, erließ man das Bayerische Reinheitsgebot zur Bierherstellung erst am 23. April 1516.
Zwei Karten (von Kreuzberg und Mitte) sind dem Stadtbegleiter beigefügt. Der Wanderer kann also die historischen Orte problemlos suchen und finden. Am Ende findet man eine Zeittafel, einen Museumsüberblick und die ausführliche Beschreibung der „Steinernen Chronik“ am Roten Rathaus. Auf 36 Tontafeln wird auf einem das Rathaus umlaufenden Reliefband die Geschichte der Stadt von der Christianisierung bis zur nationalen Einigung im neu entstandenen Kaiserreich von 1871 erzählt – mit vielen landwirtschaftlichen Bezügen. Ein Straßen- und Ortsverzeichnis sowie ein sehr feines Literaturverzeichnis runden das Buch ab.
Hans-Joachim Köster: Berliner Bauern-Geschichten. Ein Stadtbegleiter für Landwirte und Landliebhaber. Berliner Geschichten Bd. 2., Verlag Dr. Köster, Berlin 2019, 150 Seiten, 9,95 Euro.
Schlagwörter: Berlin, Frank-Rainer Schurich, Hans-Joachim Köster, Landwirtschaft