von Mathias Iven
In der Regel stehen bei Gesamtausgaben die Briefe am Schluss – nicht so bei der im Suhrkamp Verlag erscheinenden, auf immerhin 31 Bände angelegten Berner Ausgabe mit den Werken Robert Walsers. Eine erstmals 1975 vorgelegte Auswahl seiner Korrespondenz versammelte 411 Schreiben. In den zurückliegenden vier Jahrzehnten gab es einen fast unüberschaubaren Zuwachs an Unbekanntem. Das betrifft vor allem Walsers Schriftverkehr mit Verlagen, Zeitschriften, Redakteuren und Autorenkollegen, sprich die „professionelle Seite“ seines Poetenlebens. Sie tritt nun, wie die Herausgeber betonen, deutlicher als bisher hervor und ermöglicht es, „die Entstehungs- und Publikationsgeschichte seines literarischen Werks […] mit präziseren Konturen“ nachzuzeichnen. Die jetzt in drei Bänden vorliegende Ausgabe vereint insgesamt 951 Korrespondenzstücke, davon 765 von Walsers Hand. Hinzu kommen zahlreiche Dokumente, wie Verlagsverträge, Honorarbelege oder Absagen, entsprechende Register und Zeittafeln. Für die Berner Robert Walser-Stiftung leitet diese Edition ohne Zweifel eine neue Phase der Rezeption ein.
„Können Sie vielleicht einen Angestellten in Ihrem geschätzten Büreau brauchen als Schreiber oder so was?“ Mit dieser Frage wandte sich der 19-jährige Walser im März 1897 an Robert Seidel, den Redakteur der in Zürich erscheinenden Arbeiterstimme. Der lud ihn zwar ein, ihn in der Redaktion zu besuchen, doch mehr als gute Ratschläge hatte er nicht zu bieten. „Ich werde es nie vergessen“, so schrieb ihm Walser ein paar Tage später, „dass Sie mich so freundlich empfangen und so gütig beraten haben und ich will arbeiten auf dem Wege, den Sie mir gezeigt haben.“
Im Mai des folgenden Jahres wurden im Sonntagsblatt des Bund sechs Gedichte von Walser veröffentlicht – seine erste Publikation überhaupt. Ermöglicht hatte das Josef Viktor Widmann, Feuilletonredakteur dieser Zeitung und einer der einflussreichsten Literaturkritiker der Schweiz. Doch auch er sah keine Möglichkeit für eine Anstellung. „Ich bin stellenlos“, klagte Walser gegenüber seiner jüngeren Schwester Fanny, „verdammt stellenlos. Ich muß wahrscheinlich wieder Diener werden, Teppiche klopfen und das Fressen darreichen.“
1904 hielt Walser schließlich sein erstes Buch in den Händen: „Fritz Kocher’s Aufsätze“. Für den Insel-Verlag wurde das schmale Bändchen zum Verlustgeschäft. Ein Jahr nach Erscheinen teilte man ihm mit, „dass von 1300 Exemplaren der Auflage […] bisher erst 47 Exemplare abgesetzt worden sind“. Walser ließ sich nicht entmutigen. Er zog 1905 zu seinem Bruder Karl nach Berlin. In rascher Folge entstanden drei Romane: „Geschwister Tanner“ (1907), „Der Gehülfe“ (1908) und „Jakob von Gunten“ (1909), hinzu kamen Gedichte, Aufsätze und kleine, vor allem dem großstädtischen Berliner Leben gewidmete Prosaarbeiten. Man wurde zwar auf ihn aufmerksam, durchsetzen konnte er sich im Literaturbetrieb der Hauptstadt jedoch nicht.
Walser kehrte 1913 zurück in die Schweiz. Zunächst wohnte er für einige Wochen bei seiner älteren Schwester Lisa, dann fand sich ein Quartier in seiner Geburtsstadt Biel. Sieben Jahre lebte er dort in einer „Palastmansarde“, einer kleinen Dachkammer im Dienstbotentrakt des Hotels „Blaues Kreuz“. Während der Zeit des Ersten Weltkriegs wurde er mehrmals zum Wehrdienst herangezogen. Kurz vor dem Ende des Krieges erschien im Huber-Verlag „Poetenleben“, für Walser „eines der hellsten, sonnigsten und freundlichsten Bücher“, das er bis dahin geschrieben hatte. In seiner Ende 1917 in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlichten Rezension verglich Hermann Hesse Walsers Werk mit Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“. Er erklärte zudem: „Wenn solche Dichter wie Walser zu den ,führenden Geistern‘ gehören würden, so gäbe es keinen Krieg“. Jahre später, im August 1943, schrieb Hesse an Walser: „Aber hie und da, wenn ich etwas Schönes lesen will, nehme ich eins von Ihren lieben Büchern und lese darin, gehe mit Ihnen durch die schöne Welt spazieren und habe meine Freude daran. Das habe ich soeben wieder einmal getan und wollte es Ihnen sagen.“
Als ihn dieser Brief erreichte, hatte Walser seine schriftstellerische Arbeit bereits eingestellt. Seit Jahren litt er unter Angstzuständen und Halluzinationen, Anfang 1929 lautete die Diagnose der Ärzte Schizophrenie. Walser kam zunächst in die im Nordosten von Bern gelegene Heil- und Pflegeanstalt Waldau, im Juni 1933 wurde er gegen seinen Willen in die Heil- und Pflegeanstalt Herisau gebracht, wo er bis zum Tode im Jahre 1956 lebte.
„Kaum Beachtetes“, schrieb Walser 1926, „nötigt Achtung ab, wenn man’s einmal wahrnimmt.“ Widmen wir uns also nicht nur Walsers Prosatexten, sondern auch seiner umfangreichen und äußerst interessanten Korrespondenz.
Robert Walser: Werke. Berner Ausgabe, Briefe 1897 bis 1956 (3 Bände), Suhrkamp Verlag, Berlin 2018, 646 / 517 / 360 Seiten, 68,00 Euro.
Schlagwörter: Briefe, Hermann Hesse, Mathias Iven, Robert Walser