von Günter Hayn
Alle für die ZEITUNG Schreibenden wissen um die Folgen der fürchterlichen Schreckensherrschaft von Zeilen- respektive Zeichenvorgaben. Man streicht und kürzt und klebt wieder zusammen und ist froh, es endlich hingekriegt zu haben. Und heraus kommt dann so etwas: „In der Konrad-Wolf-Straße hatte ein 62-Jähriger mit seinem Hyundai eine haltende Straßenbahn überholt. Dabei erfasste er den Rentner. Er kam mit Hirntraum in ein Krankenhaus.“ Warum eigentlich wurde der Autofahrer in ein Krankenhaus eingeliefert? Weil er einen „Hirntraum“ hatte? Mit welchem Körperorgan sollte er denn sonst träumen?
Ein anderes biologisches Phänomen vermeldete dasselbe Blatt, es handelt sich um die Berliner Zeitung, tags zuvor. Der Schauspieler Neil Patrick Harris sei an der kroatischen Küste in Kontakt mit einem Seeigel geraten, ein Stachel des Tieres „durchdrang eine Sehne und entzündete sich“. Die Entdeckung entzündeter Stacheln von Seeigeln wirft allerdings veterinärmedizinische Schulweisheiten in die Tonne – aber wenigstens konnte Harris seine unter großem Körpereinsatz betriebenen Studien auf Instagram dokumentieren. Er befindet sich dabei in prominenter Gesellschaft. Viele große Mediziner brillierten mit Selbstversuchen. Manche scheiterten allerdings.
Völlig gescheitert ist kürzlich ein gewisser Jörg Riebartsch in der Ostthüringer Zeitung beim Selbstversuch eines Leitartikels. Nicht an Zeilenvorgaben, die muss Riebartsch nicht beachten. Er ist Chefredakteur des Blattes.
In Thüringen tobte der Wahlkampf, und der Mann wollte den Ramelow-Roten offensichtlich unter strikter Wahrung der Medien-Neutralität eins auswischen. Schließlich muss auch ein Journalist mal seine Meinung sagen dürfen! In seinem Leitartikel stellte er acht Tage vor der Wahl fest, dass die AfD der Gewinner sein werde, da sie „ihr Stimmenergebnis in etwa verdoppeln“ könne. Das ist also der „rechte Rand“. Und der „linke Rand, die Linkspartei und ihre Vorgänger“ hätte „ihren Anteil [immerhin – J. Riebartsch] kontinuierlich von knapp zehn Prozent auf gut 28 Prozent nach Jahrzehnten steigern“ können. Die elegante Kombination von Genus- und Numerus-Fehler stammt nicht von mir … Und lassen wir einmal beiseite, dass der Chefredakteur eines nicht unwichtigen thüringischen Blattes die stärkste Regierungspartei des Landes zur politischen Randerscheinung deklariert. Das scheint dem hausinternen Kodex des Medienkonzerns, dessen Brot der Mann verzehrt, geschuldet zu sein. Verwunderlicher ist eher: Riebartsch redet die Tatsache klein, dass die Linkspartei in Thüringen nicht „nach Jahrzehnten“, sondern seit einem Jahrzehnt kontinuierlich fast dieselben hohen Werte erreicht (2009: 27,4 Prozent, 2014: 28,2 Prozent, die Prognosen für 2019 lagen zehn Tage vor der Wahl zwischen 27 und 29 Prozent). Dass Jörg Riebartsch mit den deutschen Präpositionen nicht sachgerecht umgehen kann, dürfen wir getrost ausschließen. Dass er die Verankerung einer politischen Partei in sehr breiten Wählerschichten nicht sehen kann wohl auch. Dass er sie nicht sehen will, ist etwas anderes. Bei anderen hätte sicher auch er sehr schnell den dummdeutschen Begriff „Volkspartei“ zur Hand gehabt …
Nur wen, in drei Teufels Namen, meint er mit den „Vorgängern“ der Linkspartei? Er benutzt den Plural – kann also nicht nur die PDS meinen. Die SED trat ab 1990 nie zu einer nach bundesdeutscher Definition „demokratischen“ Landtagswahl in Thüringen an. Deren Vorgänger KPD und SPD schon, jedenfalls vor 1933. 1923 bildeten sie sogar eine Koalitionsregierung. Glücklicherweise verhängte der dank des Reichswehrchefs Hans von Seeckt wachsame damalige Reichspräsident Friedrich Ebert (SPD) am 6. November 1923 gegen Thüringen die Reichsexekution. Er ließ durch die Reichswehr den Ministerpräsidenten August Frölich (SPD) samt dessen kommunistischen Spießgesellen zum Teufel jagen. Will uns Riebartsch diese historischen Analogien sozusagen auf Taubenfüßen nahebringen? Reichsexekution geht nicht mehr. Aber die Bundesregierung könnte gegen aufmüpfige Landesregierungen unter Gebrauch des Artikels 37 des Grundgesetzes („Bundeszwang“) „die notwendigen Maßnahmen“ einleiten. Jörg Riebartsch hat da bestimmt ein paar possierliche Ideen. Schließlich will er die Wähler nur davor bewahren, „Elefanten im Porzellanladen“ zu werden. Einer muss schließlich der …
Vorsicht! Jetzt vergreifen wir uns in der historischen Zitatenkiste. Benutzen wir besser das Anamnese-Ergebnis der Berliner Zeitung: „Hirntraum“. Träume sind zeitlich arg begrenzt und gehen vorbei. Obwohl: Am Tag des Erscheinens dieses Textes sind die Wahlen zum 7. Thüringer Landtag Geschichte und deren Ergebnisse nicht mehr veränderbar. Redaktionelle Hirnträume werden aber mit großer Wahrscheinlichkeit weiter vorkommen. Auf von ihnen hervorgerufene Entzündungen sollte man sich einstellen.
Schlagwörter: Günter Hayn, Landtagswahlen, Linkspartei, Ostthüringer Zeitung, Thüringen