von Renate Hoffmann
„Der herausragende Schmuckkünstler und Glaskunstmeister René Lalique ist weltweit bekannt. Seine Schöpfungen können in mehr als fünfzig Museen von Japan bis in die Vereinigten Staaten Amerikas, von Portugal bis England bewundert werden …“ Da ihn die ganze Welt kennt und ich nicht, war es an der Zeit, ihn kennenzulernen. Auf in die Vogesen. Nach Wingen-sur-Moder, eine kleine Ortschaft im Département Bas-Rhin (Nieder-Rhein) und „elsässisch“.
Hügelland; Täler, Wälder, kleine Dörfer. Der „Regionale Naturpark Nordvogesen“ weckt die Wanderlust. Sie war es nicht, die René Lalique (1860–1945), den bereits berühmten, fantasiebegabten, weltweit bekannten Künstler in diese Waldgegend trieb. Seine in Combs-la-Ville (im Großraum Paris) 1913 erworbene und betriebene Glashütte konnte die Flut der Aufträge nicht mehr bewältigen. Zur Erweiterung suchte Lalique nach einem neuen Standort. Er fand ihn in den Nordvogesen. Die Gründe dafür waren plausibel: Seit dem Mittelalter gehörte die Landschaft den Glasmachern und stand in bestem Ruf. Die Voraussetzungen für dieses Gewerbe, Holz als Brennmaterial und Quarzsand, waren in ausreichendem Maße vorhanden. Und die langwährende Tradition hatte für hochqualifizierte Fachkräfte gesorgt. Im Jahre 1921 eröffnete der Glaskunstmeister die „Verrerie d’ Alsace“. Dem vorausgegangen war das ungewöhnliche Leben des Monsieur René Lalique.
Mit einem ausgeprägtem Zeichentalent begabt und mit offenen Sinnen für die Natur und ihren Reichtum an Pflanzen und Tieren, absolvierte er in Paris und England verschiedene Bildungsstätten. Und erlernte bei dem führenden französischen Goldschmied und Juwelier Louis Aucoc die Technik der Schmuckgestaltung.
Laliques Entwürfe, getragen von hoher Sensibilität, begeistern seinen Lehrmeister. Nicht nur Aucoc, auch weitere bekannte Juweliere möchten von ihm mit Vorzeichnungen bedient werden. Es beflügelt ihn. Von den Entwürfen für Andere wagt er den Schritt zur eigenen Schmuckherstellung und übernimmt eine Juwelierwerkstatt. Nun brechen die Dämme. Seine Kreativität kennt keine Grenzen. Der Experimentierfreudige führt neue Werkstoffe in die Schmuckkunst ein. Horn, Leder, Glas, Email, Elfenbein verarbeitet er bedenkenlos mit edlen Metallen und edlen Steinen. Émile Gallé, ein Vertreter des Jugendstils in Frankreich, urteilt über Laliques Arbeiten, sie seien „die Vorstufe des modernen Schmucks.“ Die zahlende Gesellschaft und Prominente lassen bei ihm arbeiten, unter ihnen die Schauspielerin Sarah Bernhardt.
Laliques Weg führt, wahrscheinlich auch über die Verwendung von Email, dem glasähnlichen Schmelzfluss, zur ausschließlichen Beschäftigung mit Glas und seinen Möglichkeiten. Aus dem Schmuckkünstler wird der engagierte Glaskunstmeister. Er durchläuft zwei Perioden der Kunstgeschichte: Art Nouveau und Art Deco. Von beiden profitierend, ohne den persönlichen maßvollen Stil aufzugeben.
Eine Begegnung wird für ihn zur großen Anregung. Lalique trifft Francois Coty, den Parfümeur par excellence. Ein kostbarer Duft verlangt ein kostbares Gefäß. Den Flakon. Der vom Glas Besessene gestaltet für Coty eine Welt der Schönheit und der Harmonie.
Dabei bleibt es nicht. Lalique nimmt sich der Tafelkultur an. Leuchter, Schalen, Schüsseln, Gläser, Vasen erstehen, ansprechend in Form und Dekor. Die Meinung des Künstlers: „Das Volk ist das Reservoir der künftigen Kunst: Man muss es mit ihr vertraut machen, anstatt es mit Scheußlichkeiten vollzustopfen.“ In diesem Sinne strebt er die Serienproduktion an, zu erschwinglichen Preisen und unter strenger Wahrung der Qualitätsmerkmale.
Gewiss, in mehr als fünfzig Museen weltweit können die Arbeiten des Künstlers bewundert und bestaunt werden, jedoch den eigenen Musentempel erhielt er erst im Jahr 2011. Der elsässische Ort Wingen an der Moder bot ihm Haus- und Bleiberecht im architektonisch und gestalterisch gelungenen „Musée Lalique“.
Der Schmuck. Ach, welche Verführung. Broschen und perlenbesetzte Diademe aus verschlungenen floralen Motiven, dem Jugendstil verpflichtet. Colliers, die in ihrer Zartheit den Schimmer des Dekolletés betonen. Der große trapezförmig angelegte Broschenanhänger, den zwei Pfauen schmücken, deren Schweife die ganze Pracht der eitlen Vögel entfalten, würde sich auf einem nachtblauen Samtkleid wunderbar ausnehmen. Hingegen der Anhänger „Libellenfrau mit ausgebreiteten Flügeln“, unübertroffen in seiner Zerbrechlichkeit (Gold, in Gold gefasstes polychromes Fensteremail und Diamanten) bedarf des feinen durchscheinenden Chiffons.
Die Sammlung der Flakons offenbart Laliques überschwängliche Fantasie. Schmal, rund, flach, kantig, rechteckig, quadratisch, herzförmig. Durchsichtig oder stellenweise satiniert. Die Verschlüsse sind die eigentliche Zier der Gefäße. Der Künstler versah sie mit Rosengerank, Schwalben und Pfauen, Brombeergezweig und schönen Frauen. Je länger ich diese kleinen Kunstwerke betrachte, desto häufiger narrt mich der Geruchssinn mit Düften von Veilchen und Lavendel und Mimosen.
Die ausgestellten Gegenstände der Tafelkunst verraten den Schmuckgestalter. Den Gläsern, in feinster Manier ausgeführt, gebühren nur erlesene Weine.
Laliques Ideenreichtum, sein Können und das Bestreben, dem Werkstoff Glas die innewohnenden Eigenschaften abzugewinnen, führen ihn zu großen und kleinen Skulpturen. Delphine im Wellengewoge. Sie umkreisen einander, begegnen sich zärtlich und zeigen die Lust am Spiel. Zwei Katzen (Neuauflage eines Auftragswerkes für Ernest Hemingway von 1932). Die eine beobachtet, die andere schnurrt. Wenn Stille herrscht, kann man es hören.
Die drei „F“s, so heißt es, würden den Künstler in der Motivwahl stets begleiten: Fauna, Flora, Frauen. Die weibliche Schönheit verwandelt er in Nymphen, Göttinnen und Meerjungfrauen. So will es in Sonderheit die so genannte „Bacchantinnen-Vase“, deren Herstellungsprozess man an einem Modell verfolgen kann. Es ist Laliques Huldigung an die Frauen. Er lässt die biegsamen Schönen in sinnbetörendem Reigen um die Kristallvase ziehen. Sie sollte nur – angemessen – mit Rosen und Weinlaub gefüllt werden.
Eingefügt in das Ausstellungskonzept sind Szenerien der Weltausstellung 1900 und der Internationalen Kunstgewerbeausstellung 1925 in Paris, die René Lalique zu Ruhm und Ansehen verhalfen.
Als Abschiedsgeschenk erhalte ich ein Sprühfläschchen mit Eau de Parfum „Soleil“. Ich werde es tragen. Und, wie es der Hinweis verspricht, dem wohligen Gefühl des Morgenlichts und dem Duft von Mandarinen, Jasmin und Café au Lait nachspüren.
Schlagwörter: Elsass, Glaskunst, Renate Hoffmann, René Lalique, Vogesen, Wingen-sur-Moder