Willy Brandt, Lichtgestalt – Vor genau 50 Jahren, am 28. Oktober 1968 – Sie waren seit genau einer Woche Kanzler dieser Republik – fiel in einer Regierungserklärung fast beiläufig dieser Satz: „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“ Der wurde als Aufruf zu einem Aufbruch verstanden und steht längst im Stammbuch der politischen Klassiker.
Für die Linken im Lande galt Ihr Aufruf allerdings nicht. Denen bescherten Sie im Januar 1972 erst mal den Radikalenerlass – mit dem Ziel, Kommunisten oder auch nur Menschen, die dafür gehalten wurden, den Zugang zum Öffentlichen Dienst (Lehrer, Hochschullehrer, Post, Eisenbahn, Polizei) zu versperren respektive sie daraus zu entfernen. Zwar wurde der Erlass von der SPD-geführten Bundesregierung 1979 wieder gekündigt, aber es dauerte noch bis 1991, bis auch das letzte Bundesland (natürlich Bayern) diesen Schritt ebenfalls vollzog. Insgesamt waren bis dahin 3,5 Millionen Menschen überprüft worden. Etwa 10.000 Berufsverbote wurden verhängt, die häufig zu erheblichen Lohn- und Gehaltseinbußen führten, unter denen die Betroffenen bis an ihr Lebensende leiden – durch entsprechend niedrigere Renten.
Bis heute werden Sie von Leitmedien für diesen Schanderlass damit exkulpiert, dass Ihre „entspannungspolitische Annäherung an den Osten […] die Abgrenzung zum Kommunismus im Inneren“ brauchte (Die Zeit).
Ihr Biograph Peter Merseburger allerdings vermerkte: „Es ist schon fatal, wenn gerade er, der ja den größeren, nicht zu Gewalt bereiten Teil der rebellierenden Jugend in den demokratischen Prozess integrieren will, seine Unterschrift unter jenen Erlass setzt, der Andersdenkende mit beruflicher Repression bedroht. Wo bleibt da das große Versprechen aus der Regierungserklärung, mehr Demokratie zu wagen?“
Noch 1978 ruderten Sie nur halb zurück: Der Beschluss habe eigentlich „helfen“ sollen, „das gebotene Maß an Rechtssicherheit herzustellen“, es habe jedoch „Missbrauch“ und eine „Verselbstständigung“ gegeben, „zahlreiche Behörden“ hätten eine „Eigendynamik“ entwickelt, den Erlass „restriktiv ausgelegt“. Erst später – zu spät, aber immerhin – gelangten Sie zu der Einsicht, dass der Erlass ein Fehler gewesen sei.
Dr. Carsten Rentzing, Alter Herr – Mein Gott, was haben sich diese Medienfuzzis und Kräuterteetrinkerinnen wieder aufgeregt! Sie sind Mitglied einer pflichtschlagenden Verbindung, und das sei unmöglich mit Ihrem Amt als Bischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen vereinbar gewesen? Warum denn nicht? Die Kirche war dem Schwert im Bedarfsfalle immer näher als dem Ölzweig. Und heißt es nicht, dass der Hirte sich nah bei seinen Schäfchen halten solle? Wenn die zunehmend rechts ticken, können Sie schwerlich links-liberal herumsalbadern wie einige Ihrer Amtskollegen. Ein deutscher Bischof muss auch deutliche deutsche Worte sagen dürfen! Und die Burschenschaften des Coburger Convents? Die seien schließlich den „Grundwerten von Würde, Anstand und dem Respekt vor jeder Person“ und vor allen Dingen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung verpflichtet, wie Sie kürzlich angesichts einer verantwortungslosen Hetzkampagne – so Jörg Urban, AfD-Fraktionschef im sächsischen Landtag – erklärten. Das ist keine Satire, darauf muss man erst einmal kommen. Chapeau! Den mussten Sie nun allerdings doch nehmen.
Elke Büdenbender, Frau des Bundespräsidenten – Auf die Frage, welches Tier das politischste sei, antworteten Sie kürzlich: „Die Ameise. Sie baut Staaten, sie muss sich organisieren, und – das finde ich einfach außergewöhnlich – es funktioniert.“
Woran Letzteres wohl liegen mag?
Womöglich daran, dass Ameisen nicht denken können!
Harald Martenstein, Feststeller – Sie befanden jüngst: „Das Wort ‚Smalltalk‘ haben wir Germans eingedeutscht, ähnlich wie ‚Service‘, ‚Stand-up-Comedy‘ und ‚Brainstorming‘. Ich habe mir im (eingedeutschten) ‚Internet‘ die lange Liste eingedeutschter englischer Wörter angeschaut. Offenbar deutschen wir besonders gern Wörter ein, die etwas bezeichnen, worin wir im internationalen Vergleich nicht gut sind. Auf die Idee, Nörgeln durch ‚Grumbling‘ zu ersetzen oder Anpöbeln durch ‚Insulting‘, ist bei uns jedenfalls niemand gekommen. Bei diesen Kulturtechniken können wir international mithalten.“
Das korreliert übrigens aufs Trefflichste damit, was andere Völkerschaften von uns eingebürgert haben.
Etwa die Franzosen: l’anschluss (Österreichs 1938), le blitzkrieg, le führer.
oder die Spanier: el búnker
oder die Japaner: gasumasuku (Gasmaske)
oder die Rumänen: hingher (Henker)
oder …
Claudia van Laak, Hauptstadtredakteurin des Deutschlandfunks – Ein Journalist dürfe sich nie mit einer Sache gemein machen, und sei sie noch so gut. Diese durchaus umstrittene Maxime hat der verstorbene Hanns Joachim Friedrichs zwar nicht erfunden, aber gern verbreitet. Zwar muss sich tatsächlich erst erweisen, ob der Berliner „Mietendeckel“ gut ist oder nicht. Sie jedenfalls sind über jeden Verdacht erhaben, sich damit gemein gemacht zu haben. Im Gegenteil: In Ihrem DLF-Kommentar haben Sie sich 1:1 die Gegenargumente börsennotierter Wohnungsunternehmen – vulgo Miethaie – zu eigen gemacht: Ein „Mietendeckel“ baue keine Wohnungen, verschrecke Investoren, koste gar Arbeitsplätze … Fehlte nur die arme alte Frau, die auf kräftig erhöhte Mieteinnahmen angewiesen ist, um ihren Lebensabend bestreiten zu können. (Wovon hat sie eigentlich bisher gelebt?) Der Eindruck bleibt, dass Sie Ihren Absprung in die PR-Abteilung von Deutsche Wohnen vorbereiten oder sich als CDU-Pressesprecherin bewerben wollen. Zumindest zur Ehrenmitgliedschaft sollte es reichen.
AfD-Vertreter im Kreistag des Landkreises Rostock, um eigene Gedanken verlegen – Sie haben den Antrag gestellt, im heimischen Kreis den „Überfremdungsnotstand“ auszurufen. Kurzer Faktencheck: Unter den 215.000 Einwohnern des Kreises (zu dem Rostock nicht gehört) leben momentan 7761 Ausländer (3,6 Prozent). Davon sind 3505 EU-Ausländer, die ohnehin Freizügigkeit genießen. 4256 Flüchtlinge und Asylbewerber – die hatten Sie im Sinn – machen demnach rund 2 Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Bundesweit beläuft sich der Ausländeranteil dagegen auf 12,2 Prozent. Der Kreistag lehnte daher eine Diskussion Ihres Antrags ab. Zumal Ihnen entgegengehalten wurde, dass Ihr Antrag abgeschrieben sei: aus einem Antrag in der Rostocker Bürgerschaft, in dem die Erklärung des Klimanotstands gefordert wurde. Sie hätten das Wort „Klima“ lediglich durch „Überfremdung“ ersetzt. Schon mal von Karl Kraus gehört? „Kopfjucken ist keine Gehirntätigkeit.“
Regierung der Niederlande, um Verständnis bemüht – Sie wollen 100 Sprachtrainer durch die Lande schicken, die Beamten helfen sollen, verständlichere Texte zu verfassen. Eine hervorragende Idee. Haben Sie auch schon daran gedacht, Ihre „Direkt-Deutlich-Brigade“ damit zu beauftragen, Politikern nichtssagende Sprechblasen abzugewöhnen? Da wäre nicht nur in den Niederlanden viel zu tun. Allerdings hört man, dass die Betroffenen lieber „Coaches“ engagieren, die sie im Gebrauch diverser sinnfreier Floskeln erst trainieren.
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